UKRAINE-SWYDOWETS: Olympisches Delirium

von Nicholas Bell, EBF, 09.05.2021, Veröffentlicht in Archipel 303

Eine grössenwahnsinniges Wintersportprojekt, fanatischer, irrationaler Entwicklungsdrang der Wirtschaft, Missachtung einer wunderschönen Bergregion und alles durchzogen von Korruption: Das ist die traurige Realität hinter der Ankündigung des ukrainischen Premierministers, dort mehrere grosse Skigebiete zu bauen und die Olympischen Winterspiele 2030 in die Karpaten zu holen.

Seit dreieinhalb Jahren kämpfen unsere Freunde und Freundinnen von der „Free Svydovets Group“ (FSG), einer der ersten landesweiten Umweltbewegungen in der Ukraine, gegen den Plan, ein riesiges Skigebiet im wunderschönen Svydovets-Gebirge(1) zu bauen.

Wir haben im Archipel schon mehrmals über Svydovets berichtet. Erinnern wir uns daran, dass ein paar Bewohner·innen von Lopukhovo, einem Dorf an den Hängen dieses wilden und unberührten Massivs, eines Tages im Jahr 2017 von einem Projekt zur Errichtung eines touristischen Komplexes mit mehr als 60 Hotels, 120 Restaurants, 33 Skiliften, 230 Kilometer Pisten, Einkaufszentren und sogar einem Flugplatz hörten. Alles soll auf den Gipfeln dieser riesigen Grasfläche gebaut werden, so weit das Auge reicht. Dies wäre eine echte Katastrophe für die Artenvielfalt, für die Wasserwege und insbesondere für den Fluss Crna Tisza (Theiss), dessen Quelle in diesem Massiv liegt. Von Anfang an prangerte die FSG die Absurdität an, eine solche Station in einem nur 1881 Meter hohen Gebirgsmassiv errichten zu wollen, und das noch dazu im Zeitalter der globalen Erwärmung. Das zukünftige Resort soll bis zu 28.000 Tourist·inn·en auf einmal beherbergen. Um die Investoren wird viel Geheimniskrämerei betrieben, obwohl die FSG nachgewiesen hat, dass hinter diesem Projekt die Firma Skorzonero steht, deren Kapitalanteile mehrheitlich dem sehr umstrittenen Oligarchen Igor Kolomoisky gehören.

Öffentlichkeitsarbeit

In den drei letzten Jahren hat die FSG in ihrem Kampf gegen diesen Wahnsinn sowohl auf ukrainischer als auch auf internationaler Ebene viele Punkte gesammelt. Zahlreiche Artikel wurden zu diesem Thema veröffentlicht, unter anderem in renommierten Zeitungen wie der New York Times, der Neuen Zürcher Zeitung und der Tribune de Genève. Mehrere FSG-Delegationen wurden im Europäischen Parlament (EP) und in der Europäischen Kommission empfangen. In seinem jüngsten Jahresbericht über das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU, der am 11. Februar angenommen wurde, prangerte das Europäische Parlament «das illegale Skigebietsprojekt in Svydovets» an (Auszug aus §122 des Berichts). Der Berichterstatter, der deutsche Europaabgeordnete Michael Gahler (CDU), und Viola von Cramon (Grüne), deutsche Vizepräsidentin der EP-Delegation für die Beziehungen zur Ukraine, haben wiederholt ihre entschiedene Ablehnung bekräftigt, sowohl bei Treffen mit dem Premierminister Denys Shmyhal oder in Briefen an Präsident Wolodymyr Zelensky.

Konventionsmissachtung

Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass sich die ukrainischen Behörden in diesem Fall nicht an die wichtigsten internationalen Konventionen halten. Dazu gehören die Espoo-Konvention zur grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (das Projekt in Svydovets wird erhebliche Auswirkungen auf die Nachbarländer haben)(2) und die Berner Konvention zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere sowie ihrer natürlichen Lebensräume. Beschwerden an beide Konventionen sind in Bearbeitung.

Wenige Tage nach der Verabschiedung des Berichts durch das Europäische Parlament fand am 24. Februar dieses Jahres ein Staatsforum zur Entwicklung der ukrainischen Infrastruktur statt, an dem Präsident Zelensky teilnahm. Anwesend waren auch Alexander Schewtschenko, Mitbegründer des Luxus-Skiortes Bukovel in den Karpaten und Geschäftspartner von Igor Kolomoisky, sowie der österreichische Unternehmer Gernot Leitner, ein alter Hase in der Wintersportbranche und Berater des Internationalen Olympischen Komitees. An diesem Forum wurde ein Memorandum unterzeichnet, in welchem die Bewerbung der Ukraine für die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele im Jahr 2030 und in diesem Zusammenhang der Bau mehrerer grosser Skigebiete angekündigt werden. Vor allem Borzhava, ein weiteres Gebiet der Karpaten mit einer Höhe von etwa 1600 Metern, wird genannt. Doch nicht nur… Auf einer Pressekonferenz am 4. März bestätigte der Premierminister, Denys Shmyhal, dass «es nicht nur das Skigebiet in Borzhava gibt, sondern wir generell ein grosses Potenzial für die Entwicklung von Skigebieten in den Karpaten haben.» Es sei die Vision des Präsidenten, hier Investoren alle Möglichkeiten zu geben, Skigebiete zu schaffen. Er hoffe, dass Borzhava nicht das einzige Projekt sein wird, das in diesem und im nächsten Jahr gestartet wird.

Er bestätigte auch, dass der Initiator des Borzhava-Projekts tatsächlich Gernot Leitner ist. Daraufhin wurden ihm einige Fragen von "Schemes", einer Gruppe Investigationsjournalist·inn·en von Radio Svoboda gestellt. (3) Sie hatten nämlich die höchst dubiose Rolle dieses österreichischen Unternehmers und seiner ukrainischen Partner eingehend untersucht. Leitner war bereits an der Organisation der Olympischen Spiele in Sotschi, Russland, im Jahr 2014 beteiligt gewesen, wo er der Korruption beschuldigt worden war(4). Er ist eine der Schlüsselfiguren im "olympischen" Plan des Büros von Präsident Zelensky. In der Akte befindet sich ein Foto vom Sommer 2020 von einem Treffen im Büro des Präsidenten mit Leitner. Bereits 2019 sagte Zelensky: "Wir haben das Potenzial, die Alpen Osteuropas zu werden. Im Moment ziehen wir Projekte für Skigebiete in Slavske und Borzhava in Betracht".

Betrug und Korruption

Die Untersuchung von „Schemes“ ist voll von Details über die korrupten und betrügerischen Praktiken von Gernot Leitner und seinen ukrainischen Freunden. Dazu gehört Wladyslaw Kaskiw, der in der Zeit von Präsident Viktor Janukowitsch(5) Vorsitzender der „Staatlichen Agentur für nationale Investitionen und Projekte“ war. Im Grossen und Ganzen stellt sich heraus, dass dieser bereits 2010 davon geträumt hat, die Olympischen Winterspiele 2022 zu organisieren und dafür ein grosses Budget genehmigt wurde. Die Firma „Masterconcept Consulting“, deren Präsident und Inhaber Leitner ist, war an der Vorbereitung der Olympiabewerbung der Ukraine beteiligt.

Allerdings war die Ukraine am Ende nicht Gastgeberin der Spiele, und ein erheblicher Teil des Budgets verschwand. Den Ermittler·inne·n zufolge wurden «-zig Millionen Dollar aus dem Staatshaushalt an eine Reihe von Unternehmen überwiesen, deren Hauptsitz nicht in der Ukraine liegt». Es war vor allem die österreichische Firma „Teleferic Holdings“, die damals eine grosse Anzahl von Hektaren in den Karpaten erwerben konnte, genau dort, wo jetzt ein Skigebiet geplant ist: in Borzhava. Der eigentliche Nutzniesser: Gernot Leitner.

Im Jahr 2019 wurde das Grundstück in Borzhava an eine andere, diesmal slowakische Firma „Carpathian Mountain Resort“ übertragen, deren Eigentümer wiederum Leitner ist. Eine Untersuchung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) ist im Gange, und 500 Hektar in Borzhava wurden beschlagnahmt. Aber all das hat Zelenskys Kabinett nicht davon abgehalten, sich mit dem österreichischen Unternehmer der Öffentlickeit zu präsentieren und den Bau eines Touristenkomplexes auf konfisziertem Land zu erwägen. Leider wurde auch nicht verhindert, dass Vladyslav Kaskiv kürzlich zum Mitglied des Regionalrates von Transkarpatien gewählt wurde.

Die Korruption stoppen!

Präsident Zelensky scheint hin- und hergerissen zu sein zwischen der dringenden Notwendigkeit, die in der Ukraine endemische Korruption zu bekämpfen, und seinem Wunsch, dieses von Korruption durchzogene olympische Projekt weiter zu verfolgen. Am 24. März wurden die NABU-Ermittler·innen aktiv und liessen Volodymyr Yatsenko verhaften. Yatsenko war einer der leitenden Angestellten der PrivatBank, die Igor Kolomoisky gehört hat und die im Zentrum eines der grössten Veruntreuungsskandale Europas stand. Nach der Entdeckung des Verschwindens von 5,5 Milliarden Dollar wurde die PrivatBank verstaatlicht. Aber gerade wegen Kolomoisky hat Zelensky Präsident werden können, da er auf einem der Fernsehkanäle des Oligarchen ein beliebter Schauspieler war. Erst nach langem Zögern entschied er sich, gegen seinen früheren Unterstützer Kolomoisky zu handeln.

Die Wahl von Joe Biden zum Präsidenten der Vereinigten Staaten spielt dabei eine zentrale Rolle. Die amerikanische Regierung hat gerade Sanktionen gegen Kolomoisky und seine Familie verhängt und ihnen die Einreise in die USA untersagt.

Wann sind Leitner, Kaskiv und andere an der Reihe? Und wann wird die Ukraine endlich den unschätzbaren Wert dieser schönen Berge und natürlichen Wälder in den Karpaten verstehen? Auf jeden Fall wird die „Free Svydovets Group“ ihren Kampf fortsetzen und auch versuchen, eine andere Form des Tourismus vorzuschlagen, die sanfter und auf die Natur ausgerichtet ist.

Nicholas Bell, EBF

  1. Siehe auch «The Svydovets Case», herausgegeben von Free Svydovets Group, Bruno Manser Fonds und Longo maï: https://freesvydovets.org
  2. Bereits im Mai 2018 hat die ungarische Regierung in Kiew um eine solche Studie ersucht. Inzwischen haben weitere Länder das Gleiche getan.
  3. Radio Svoboda sendete diese Umfrage am 28. Januar 2021. Die englische Übersetzung ist verfügbar unter freesvydovets.org
  4. Boris Nemzow, der Oppositionspolitiker, der einige Jahre später ermordet wurde, veröffentlichte einen Bericht, nach dem mindestens die Hälfte der für die Organisation dieser Olympiade bereitgestellten Gelder veruntreut wurde.
  5. Viktor Janukowitsch wurde durch die Revolte auf dem Maidan-Platz gezwungen, 2014 aus dem Land und nach Russland zu fliehen.