SCHWEIZ: Referendum gegen das neue Anti-Terrorgesetz

von Claude Braun, EBF Schweiz, 15.11.2020, Veröffentlicht in Archipel 297

Am 25.September 2020 hat das Schweizer Parlament ein neues Anti-Terrorgesetz angenommen. Im Namen der Terrorismusbekämpfung werden wichtige Grundgesetze ausgehebelt und der Rechtsstaat ausgehöhlt. Glücklicherweise haben die Jungparteien der Grünen, der Grünliberalen und der SP sowie einige weitere Organisationen das Referendum dagegen ergriffen [1]. Wenn also innerhalb von drei Monaten 50.000 beglaubigte Unterschriften der Bundeskanzlei übergeben werden, muss in der Folge zwingend eine Volksabstimmung über das geplante Gesetz stattfinden. In der Schweizer Ausgabe dieses Archipels finden Sie einen Referendumsbogen vor. Wir bitten Sie, diesen zu unterschreiben und auch Bekannte dafür zu gewinnen.

Weite Terrorismus-Definition

Um als Terrorist_in zu gelten, müsste man neu weder einen Terrorakt vorbereiten noch ausführen. Es würde reichen, wenn die Polizei den Verdacht hat, man könnte in Zukunft terroristisch tätig werden. Dabei wird eine sehr weit gefasste Definition der terroristischen Tätigkeit konstruiert. Die Definition verlangt keinerlei Bezug zu einer Straftat oder einer sonstigen Gefährdung mehr. Für einen Verdacht reicht das Bestehen von «Anhaltspunkten», dass die betroffene Person «eine terroristische Aktivität ausüben wird», unter anderem durch die «Verbreitung von Furcht und Schrecken». Mit dieser extrem weit gefassten Definition können auch militantere politische Aktionen etwa im Tierschutz- und Umweltbereich als «terroristische Aktivität» verfolgt werden. Das Gespenst der „Ökoterroristen“ geistert seit langem durch die Staatsschutzberichte. Dasselbe gilt für zahlreiche Exilorganisationen und deren Exponent*innen.

Verletzung des Rechts auf Freiheit

Das Gesetz sieht unter anderem einen elektronisch per Fussfessel überwachten Hausarrest vor. Dabei handelt es sich um die einzige Massnahme, die von einem Gericht angeordnet werden muss. Alle anderen in dem Gesetz vorgesehenen Zwangsmassnahmen, wie z.B. Meldepflicht und Ausreiseverbot, verfügt das Bundesamt für Polizei alleine auf Vorschlag einer Kantonspolizei oder des Nachrichtendienstes des Bundes. Beschwerden dagegen haben keine aufschiebende Wirkung. Der Hausarrest stellt einen Freiheitsentzug dar und verstösst gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese verbietet es, einem Menschen willkürlich das Recht auf Freiheit, aufgrund einer diffusen Vermutung, zu entziehen.

Verletzung der Kinderrechtskonvention

Die Massnahmen können auch gegen Kinder angewandt werden: Hausarrest darf bereits 15-Jährigen auferlegt werden, andere Massnahmen gelten bereits bei 12-Jährigen. Das ist ein Verstoss gegen die UNO-Kinderrechtskonvention und wird bereits von der UNO kritisiert.

Abbau von Grundrechten

Die beschlossenen Massnahmen verstossen gegen Grund- und Menschenrechte. 62 Schweizer Rechts-Professor_inn_en [2] haben den Bundesrat und das Parlament – leider erfolglos – vor diesen Rechtsverletzungen gewarnt. Die NGO-Plattform Menschenrechte [3] hatte im Vorfeld der Abstimmung im Parlament versucht, die zahlreichen kritischen Stellungsnahmen den Abgeordneten nahe zu legen, um sie von der Unterstützung des Vorhabens der Bundesrätin Karin Keller-Sutter, Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Justiz und Polizei EJPD, abzubringen. Leider sind die rechtsbürgerlichen Abgeordneten mit einer beinahe 100-prozentigen Parteidisziplin der JA-Parole ihrer Parteileitungen gefolgt.

Ein endloser Kampf?

«Die Schweiz sendet ein fatales Signal in die Welt hinaus». So lautet der Titel eines empfehlenswerten Interviews mit Fionnuala Ní Aoláin, der Sonderberichterstatterin der UNO für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Terrorismusbekämpfung, das am 17.9.20 in der online-Zeitung „Republik“ erschienen ist [4]. Frau Ní Aoláin sagt darin unter anderem: „Ich bin in Nordirland aufgewachsen, wo wir jahrzehntelang mit einem bewaffneten Konflikt konfrontiert waren. Ich spreche als jemand, für den alltägliche Gewalt und Angst eine Lebensrealität waren und keine abstrakte Bedrohung. Aber ich sage allen, die behaupten, Menschenrechte stünden einer effizienten Terrorismusbekämpfung im Weg: Nur wenn man Terrorismus mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpft, wird man die Gewalt beenden. Wenn Sie im Kampf gegen den Terrorismus das Gesetz brechen und die Menschenrechte missachten, dann begeben Sie sich in einen endlosen Kampf, den Sie nicht gewinnen können. Unzählige Studien und Auswertungen zeigen, wie schädlich staatliche Verstösse in dieser Auseinandersetzung sind. Sie alle zeigen, dass die nie endende Spirale der Gewalt, die zahlreichen, zum Teil schweren Konflikte mit bewaffneten Gruppen durch die Rechtsbrüche der involvierten Staaten nicht nur verlängert, sondern regelrecht befeuert wurden.“ In diesem Sinn fordern wir alle Leserinnen und Leser von Archipel in der Schweiz dazu auf, das Referendum zu unterschreiben, um damit einen klaren Protest auszusprechen. Grund- und Menschenrechte müssen verteidigt werden! Claude Braun

  1. Internetseite des Referendum-Komitees: https://www.terror-nein.ch
  2. Vollständiger Wortlaut und UnterzeichnerInnen-Liste des Briefes: www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2020/antiterror-gesetz-aushoehlung-des-rechtsstaates/pmt-offener-brief.pdf
  3. www.humanrights.ch fasst 90 schweizerische Nichtregierungsorganisationen zusammen
  4. https://www.republik.ch/2020/09/17/anti-terror-gesetze-uno-sonderbeauftragte-fionnuala-n-aol-in-interview