Trotz Kriminalisierung unterstützen Menschen weiterhin Geflüchtete an der kroatischen EU-Außengrenze.
Über das unbewohnte, hügelige Hochland südlich von Bihać pfeift eisiger Wind, Mitte März keine Spur von Frühling. Hier, an der Landstraße nach Sarajevo, 26km ausserhalb der Stadt, liegt der verlassene Weiler Lipa, ein Ort, der letzte Weihnachten traurige Berühmtheit erlangte: Das IOM (International Organisation for Migration) stellte seine Arbeit im provisorischen Flüchtlingslager ein, etwa 1.000 Menschen waren plötzlich sich selbst überlassen. Bilder vom brennenden Camp und verzweifelt im Schnee umherirrenden Flüchtlingen erreichten unsere Medien. Die UN-Organisation IOM betreibt mit EU-Geldern mehrere Camps in Bosnien.
Nach Monaten sind wir wieder nach Bosnien aufgebrochen, um zu sehen, wie die Situation sich verändert hat, was wir tun können und um Freund*innen zu besuchen. Einer davon ist Daka, Geograph, Umwelt- und Menschenrechtsaktivist, der Friends of the Earth Bosnia gründete und viele Jahre leitete. Er ist derzeit der einzige bosnische Einwohner von Lipa und besitzt Land und Ruinen drei km vom Camp entfernt. Während des Krieges vertrieb die kroatische Armee hier die serbische Bevölkerung, so auch seine Familie. Als das Flüchtlingslager letztes Jahr errichtet wurde, hat er sich in einem Wohncontainer zwischen den Ruinen der Bauernhäuser niedergelassen, Wasser schöpft er aus einer Quelle in der Nähe, zwei Photovoltaik-Panele spenden Strom. Im Januar und Februar, nachdem das IOM die Versorgung eingestellt hatte und die Not am größten war, hat er, finanziert vom Kochkollektiv Zürich, auf seinem Gelände viermal wöchentlich Lebensmittelpakete mit Mehl, Öl, Zwiebeln und andere Hilfsgüter an die Geflüchteten ausgegeben. Sie laden ihre Handys bei ihm auf. Er wurde mehrfach von der Polizei aufgesucht, aber das hat ihn nicht eingeschüchtert.
Im Herzen von Sarajevo hat Ines den gemeinnützigen Verein Compass mit einem Begegnungszentrum für Geflüchtete und Einheimische ins Leben gerufen. Fünf Freiwillige, in der Mehrheit Frauen, halten den Raum von Montag bis Freitag geöffnet, mit einem Free-shop für Nahrungsmittel, Kleidung und manchmal auch Smartphones. Man kann dort auch Wäsche waschen und duschen. Der hintere Raum dient derzeit als Lagerfläche, soll jedoch zu einem größeren Begegnungsraum umgebaut werden, wo die Leute auch verweilen können. Die Kommunikation mit den Geflüchteten läuft über Messenger, WhatsApp und Instagram, damit nicht alle gleichzeitig kommen. Am Anfang haben sie 30 Leute täglich erwartet, momentan kommen im Schnitt 120 am Tag. Compass ist mit anderen Organisationen gut vernetzt, wie etwa dem Taucher-Verein, wo die Geflüchteten schwimmen lernen können, oder der Schwulen-Lesben Bewegung. Der Verein arbeitet aber auch mit dem Danish Refugee Coucil, dem roten Kreuz und IOM zusammen.
In Velika Kladuša, dem nordwestlichsten Städtchen Bosniens direkt an der kroatischen Grenze, hat sich die Situation seit unserem letzten Besuch merklich verschlechtert. Die von internationalen Freiwilligen geführte Erste-Hilfe-Station in einer ehemaligen Bar und die Kleiderausgabe sind aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Die Hilfe kann nur noch heimlich und nachts geleistet werden. Mehrere Gruppen einheimischer und internationaler Freiwilliger teilen sich die Arbeit auf und machen trotz Kriminalisierung und rassistischer Übergriffe weiter. Im Flüchtlingslager Miral, das für 700 Personen gedacht ist, leben 1.100 alleinreisende Männer auf engstem Raum, die Krätze grassiert, die medizinische Versorgung ist äusserst schlecht. In der Umgebung hausen weitere 300 bis 400 Menschen in verlassenen Gebäuden, den Squats, ohne Wasser, Strom und Fenster, oder im Wald unter freiem Himmel. Die Corona-Pandemie ist hier nur eines von vielen Problemen. Die in- und ausländischen Ehrenamtlichen versorgen die Menschen so gut es geht mit Lebensmitteln, Brennholz, Kleidung und verarzten sie. Das muss heimlich geschehen, weil in Bosnien nur offizielle Hilfsorganisationen dazu berechtigt sind. Werden Ausländer*innen von der Polizei erwischt, müssen sie Geldstrafen zahlen und werden des Landes verwiesen.
Um ihre Arbeit zu legalisieren, hat Alma, eine junge Lehrerin, mit bosnischen Freundinnen den Verein Rahma gegründet, auf Arabisch Mitgefühl. Alma hat schon Morddrohungen erhalten. Rahma betreibt ein gut geführtes Lager mit Kleidung, Schuhen und Hygieneartikeln. Die Mitglieder fahren in ihren privaten PKVs zu den Squats, um Lebensmittel auszuteilen. Andere Bosnierinnen spenden etwas Geld, lassen Geflüchtete bei sich duschen oder waschen ihre Kleider. „Bosnian people are good people, but croatian police is terrible,“ sagt uns ein junger Flüchtling, der abends mit anderen auf dem Weg zur Grenze ist. Werden sie abgefangen, weigert sich die kroatische Polizei, ihr Asylgesuch entgegen zu nehmen, zerstört ihre Handys, nimmt ihnen Ausrüstung, warme Jacken oder gar die Schuhe weg und jagt sie zurück nach Bosnien. Oft werden die Flüchtlinge verprügelt, durch den eiskalten Grenzfluss getrieben oder gefoltert.
Diese Menschenrechtsverletzungen an den EU-Aussengrenzen beobachtet und dokumentiert Border Violence Monitoring Network (BVMN), ein Zusammenschluss von 14 Organisationen, in dem Freiwillige seit 2017 mit Betroffenen der illegalen Pushbacks Interviews führen und in monatlichen Berichten dokumentieren. Auf dem Rückweg treffen wir in Zagreb Aktivistinnen von Are You Syrious (AYS) und Center for Peace Studies (CPS), die bei BVMN mitarbeiten. Milena (AYS) macht die Menschenrechtsarbeit gegenüber dem EU-Parlament und hat im Dezember mit BVMN das Blackbook of Pushbacks herausgegeben, eine 1.500 Seiten starke Dokumentation. 900 Fälle von illegalen Pushbacks an den EU-Außengrenzen mit mehr als 12.000 betroffenen Personen sind darin dokumentiert.
Wegen ihrer engagierten Menschenrechtsarbeit sind diese mutigen, jungen Frauen unglaublichen Repressionen und Verleumdungen vom kroatischen Staat ausgesetzt. Mitglieder werden der Schlepperei bezichtigt, ohne Angabe von Gründen stundenlang auf Polizeistationen festgehalten und persönlich bedroht, weil sie die Arbeit der Grenzpolizei kritisieren. Diese Einschüchterungsversuche machen auch vor dem Privatleben nicht Halt. So wurde der Lebensgefährte von Tajana Tadić, der Geschäftsführerin von AYS, von der kroatischen Geheimpolizei vorgeladen. Omer ist Iraker und erhielt 2018 Asyl – was in Kroatien äusserst selten passiert. Als er die Aufforderung, mit der Geheimpolizei zusammenzuarbeiten, ablehnte, wurde Omer unter dem Vorwand, er gefährde die Sicherheit, der Asylstatus aberkannt. Da ihm jederzeit die Abschiebeung in den Irak droht, hat er Kroatien inzwischen verlassen. Nach den Dublin-Vereinbarungen kann er jedoch nach Kroatien zurückgeschoben werden, wo er nicht sicher ist.
Wir bitten euch Protestbriefe an den Präsidenten Kroatiens, den Innenminister, die Ombudsfrau und die kroatische Botschaft eures Landes zu verschicken, um Omer zu unterstützen. Musterbriefe und weitere Informationen zu den Hintergründen findet ihr hier auf unserer Website (auf [deutsch], auf [englisch] und die [AdressatInnen]).
Inzwischen hat Herr Mahdi Kroatien verlassen können und in Deutschland um Asyl angesucht. Deshalb ist es z.Zt. nicht sinnvoll, Protestbriefe an die kroatische Regierung zu schicken. Wir hoffen, dass er dort Sicherheit finden wird. (Anmerkung der Redaktion vom 29.4.2021)