Kann man politische Ökologie aktiv betreiben, ohne Öko-Bürger zu sein? Welchen Typus von politischen Subjekten bringt ökologischer Bürgersinn hervor? Welche Vorstellung hat der Öko-Bürger von sich als von der Natur separiertes Wesen? Wo sind die Grenzen einer so gearteten politischen Subjektwerdung? Eine Analyse der Untertöne des Artikels «Tout-à-l’éco» («Alles Öko»), erschienen in der französischen Zeitschrift Z. Zweiter Teil
Die politischen Bestrebungen der einzelnen Menschen finden wieder neue Ansatzpunkte, aber in einer völlig pervertierten Art und Weise. Wir meinen aktiv zu sein, sind jedoch zugleich der Mittel für ernsthafte Aktionen beraubt.
Entstehung von Ressentiments
Vor allem andern erfordert eine Ökologie, definiert als Wissenschaft, die systematische Inanspruchnahme des Urteils von Experten. Damit nun nicht jeder Bürger unter Minderwertigkeit zu leiden hat, wird er versuchen, ein Maximum an Informationen über das Ausmaß der ökologischen Katastrophe zusammenzutragen. Wissen ist Macht. Indem der Sklave sich zum Nachbeter der Reden des Herrn machte, saß er der Illusion auf, selbst der Herr zu sein. Uns reicht es aber nicht, die Katastrophe nur zur Kenntnis zu nehmen, so als wäre die Beschreibung des Zustandes ein Ziel an sich. Bevor wir zur Tat schreiten oder unsere Lebensweise in Frage stellen, sollten wir uns nämlich erst einmal davon überzeugen, ob der Klimawandel wirklich den vorausgesagten Umfang hat oder ob Handywellen wirklich gesundheitsschädlich sind. Und wenn die Experten sich dann aber irren oder uneins sind, können radikale Veränderungen getrost auf später vertagt werden. Denn die «kleinen Gesten des Alltags» reichen doch fürs erste völlig aus.
Dieses Zurückgreifen auf die Expertise tritt an die Stelle einer echten politischen Debatte um gemeinsame Werte und Ziele und gibt der Bürokratisierung von sozialen Beziehungen neuen Schub. Demnach wären die Menschen ohne Expertenmeinung unfähig, selbst zu entscheiden, was gut für sie ist. «In allen Diskursen der wissenschaftlichen Schwarzmalerei erkennt man deutlich dieselbe Vorliebe für eine detaillierte Darstellung von unerbittlichen Zwängen, die von nun an auf unserem Überleben lasten würden. Die Sachverständigen in den Verwaltungen drängen sich darum, schlechte Neuigkeiten triumphierend zu verkünden, die schließlich jeglichen Disput über eine Beherrschbarkeit durch den Menschen als überflüssig erscheinen lassen.»1 Macht man das Spielchen von Gutachten und Gegengutachten mit, so vergisst man, sich nach der politischen und sozialen Angemessenheit unserer Lebensweise zu fragen. Selbst wenn man nichts über die Schädlichkeit von Handywellen weiß, kann man doch eine beklagenswerte Wirkung dieser Objekte auf die menschlichen Beziehungen konstatieren. Es genügt, eine beliebige Straße entlang zu spazieren, und eine «ungesellige Menge» von Kommunizierenden läuft an einem vorbei, unfähig, sich zu begegnen, von ihrem Display oder dem Anruf eines anderswo Weilenden völlig in Anspruch genommen.
Andererseits hält ökologischer Bürgersinn uns ständig vor, dass wir doch alle verantwortlich sind für die Katastrophe. Dies ist ja längst erwiesen. Nur muss nunmehr diese Bürde jeder für sich tragen, weil wir nicht fähig sind, eine kollektive Verantwortung auf uns zu nehmen. Auf diese Weise verinnerlichen wir individualistische Denk- und Verhaltensmuster. Dies aber ist eine wesentliche Ursache für die ökologische und politische Krise. Weil wir über unsere wirklichen Bedürfnisse nicht gemeinsam reflektiert haben, sind wir in diese Lage geraten und folgen der Logik des «schlechten Gewissens»: Der Einzelne kann seine Befreiung nur in Formulierungen denken, die seine Unfreiheit verlängern. Jedes Bewusstwerden seiner selbst impliziert die vorhergehende Unterwerfung. «Die Vorstellung selbst von Reflexion, begriffen als Struktur des In-Erscheinung-Tretens eines Subjektes, ist die Konsequenz einer ‚Besinnung auf sich selbst’; dies ein wiederholter Selbstverweis, der dahin kommt, das zu formen, was man unpassenderweise ‚das Gewissen’ nennt. Es gibt keine Deformation des Subjektes ohne ein leidenschaftliches Festhalten an Unterwerfung.»2 Nur deshalb sind wir zu Selbstfindung getrieben, weil uns die Macht über unser Leben genommen wurde (und wird). Ein neuartiges Anteilnehmen reproduziert wiederum Herrschaftslogik. «Ich bin verantwortlich, also muss ich mich zwingen - für das Wohl aller.» Die Verinnerlichung von Zwang vollendet eine auf Teilhabe gegründete Herrschaft. Davon zeugt das zeitgleiche und massive Auftreten von Quartiervereinen, den Anschein von direkter Demokratie erweckend und Speerspitze ökologischen Bürgersinns. Diese Initiativen versammeln sich, disputieren, treffen Experten, geben Rechenschaft, machen Vorschläge etc., haben aber keinerlei Entscheidungsgewalt. So bestätigt Pascal Bolo, stellvertretender Bürgermeister von Nantes, in einem für Nantes Métropole gegebenen Interview: «Diese Quartiervereine kommen vom Nachdenken über das ‚Zusammenleben’ zum ‚Gemeinsamen Tun’ (…) Jeder Abgeordnete, der eine Absprache anbahnt, muss den betreffenden Anwohnern ein Dialogangebot unterbreiten mit dem Hinweis darauf, was verhandelbar ist und was nicht.»3 «Gemeinsames Tun» hat zur Bedingung, dass der Abgeordnete vorher festlegt, was verhandelbar ist - ein schönes Beispiel von Demokratie …4 Schließlich und endlich gehen die ökologisch überzeugten Bürger zum Angriff auf die Uneinsichtigen über, gestützt auf reichlich Schuldzuweisungen. Die Allereifrigsten dabei ähneln häufig schon sehr regelrechten Missionaren in Sachen Bildung. «Du hast das Licht nicht ausgemacht beim Verlassen des Zimmers, das ist doch wohl nicht schwer, oder!?» Ah, welche Freude, andere auf frischer Tat zu ertappen, mit dem Finger auf diese Verantwortungslosen zu zeigen! Andere zu disziplinieren bleibt das beste Mittel, sich in der Illusion der eigenen Freiheit zu wiegen. So ist das Verhindern von mehr Autonomie in den politischen Bestrebungen gleichfalls der Sinnsuche des Öko-Bürgertums geschuldet. Der Einzelne wird so zum Adressaten eines paradoxen Gebotes: Werde zum Urheber deiner eigenen Passivität.
Politische Ökologie ohne Öko-Bürger
Die Verinnerlichung der Katastrophe und die Abhängigkeit von Experten hat ein solches Maß erreicht, dass jeglicher sich ökologisch gebender Diskurs per se einen alternativen Touch bekommt: nachhaltige Entwicklung (die staatliche Version von ökologischem Bürgersinn) oder Rückkehr in die «Steinzeit» (von vorgeblich soften Varianten der Anhänger des Nullwachstums bis zu radikaleren Ausformungen der Öko-Manie). Man hat gewissermassen eben doch nicht die Wahl. Entweder folgt man der Logik von «nachhaltiger Entwicklung» in der einsamen Hoffnung, die drohende Katastrophe noch etwas aufhalten zu können oder man beschleunigt diese mit noch radikaleren Positionen bei der Ablehnung der Industriegesellschaft. Da, wo Latouche oder Rosanvallon5 dazu aufrufen, «den Kapitalismus aus unseren Köpfen zu verbannen», wäre es vielleicht angebracht, dasselbe auch für die Ökologie zu fordern. War diese nicht die meiste Zeit in der Menschheitsgeschichte selbstverständlicher Bestandteil unserer Gewohnheiten? Man kann heutzutage das Wort Ökologie nicht mehr aussprechen, ohne sie im selben Atemzuge zur Karikatur zu machen. Die Absicht, mit jeglicher Herrschaft zu brechen, was zeitweise auch mit dem Wort Ökologie assoziiert wurde, bleibt dennoch Forderung des Tages. «Keinerlei Befreiung ist möglich, kein Versuch, die menschlichen Beziehungen und die Beziehungen zwischen Mensch und Natur in Einklang zu bringen, wird erfolgreich sein, bevor nicht jegliche Hierarchie abgeschafft wurde, womit nicht nur soziale Klassen, nicht nur ökonomische Ausbeutung, sondern alle Formen von Herrschaft gemeint sind.»6
Die Menschen werden erst dann aufhören, die Natur als auszubeutende oder zu bewahrende Reserve zu betrachten, wenn sie sich von ihren Herrschaftsideen konsequent verabschieden.
Solange sie aber der Vorstellung anhängen, es sei legitim, wenn bestimmte Personen Anderen ihre Lebensweise diktieren, werden sich wiederum nur Herrschaftsverhältnisse unter den Lebenden herstellen lassen. Das Herrschen über eine als außerhalb von uns begriffene Natur ist lediglich der Ausdruck, das Symptom von Machtbeziehungen, die die Menschen voneinander trennen. Eines erscheint einleuchtend: Wenn es sich als legitim erweist, über einen anderen Menschen zu herrschen, der doch ein autonomes Wesen ist, bleibt auch anderen Formen des Lebens (als niedere eingestuft, weil es ihnen an Autonomie fehlt) nur übrig, sich unseren Wünschen zu fügen. So haben die Menschen nicht immer gedacht. Das Menschengeschlecht an sich ist also nicht verantwortlich für die ökologischen Probleme, sondern bestimmte Gesellschaftsformen, die Herrschaftsstrukturen hervorbringen und legitimieren. So ist das Erscheinen des modernen Staates, der das «Monopol der legitimen physischen Gewalt» (Max Weber) für sich beansprucht, ursächlich mit der Idee verbunden, dass ein Teil der Gesellschaft für alle zu entscheiden hat. Der größte Teil der Gesellschaft ist so in eine Position der Minorität gebracht, was eine Politik des Erbarmens und der Schulmeisterei rechtfertigt. Hans Jonas, der die «wohlwollende Tyrannei» preist, heißt damit die Ohnmacht der Menschen in einer Demokratie gut. Sie müssen dirigiert werden, denn sie sind nicht fähig, anstehende Entscheidungen zu treffen. Das meint nichts anderes, als den Teufel mit dem Beelzebub austreiben: Werden die Menschen fortdauernd im Zustand der faktischen Verantwortungslosigkeit gehalten, nimmt sie dies letztlich noch mehr in die Pflicht. Derartige Vorstellungen werfen zugleich auch einen Schatten auf das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt.
«Wir müssen den Planeten retten», als ob wir selbst nicht dazugehören würden.
In Begriffen der politischen Ökonomie ausgedrückt beruht die kapitalistische Produktionsweise auf der Ausbeutung der Arbeitskraft, auf der effektiven Ungleichheit zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen. Die Industrialisierung der Produktion führt den auf die Menschen ausgeübten Druck zur Perfektion und ist der Höhepunkt der Vergeudung natürlicher Ressourcen. Staat, Kapital, Industrie – dreimal hat die Gesellschaft sich für ein verheerendes Einwirken auf die Umwelt entschieden. Nur durch den Verzicht auf jene Formen der Machtausübung kann es gelingen, derartige Effekte auszuschalten. Solange Menschen soziale Systeme errichten, in denen sie einen Teil der Gesellschaft unterjochen, werden sie sich weiter dem Gefühl der Allmacht hingeben - Ursache ihrer ökologischen Probleme. Keine Tyrannei, nicht einmal eine grüne, kann «wohlwollend» sein, weder für die Menschen noch für die Natur. Das Projekt einer «Ökologie der Freiheit»7 ist möglicherweise dazu angetan, selbst die Vorstellungen von «ökologischem Bürgersinn» und «partizipativer Demokratie» umzustürzen, zwei Begriffe, die vorerst auf das Gegenteil von dem schließen lassen, was sie angeblich bedeuten. Diese wörtlich zu nehmen, würde den Weg hin zu einer Ökologie freimachen, die dieser Bezeichnung würdig wäre - aber mit dem bereits erwähnten Risiko, dass das Denkschema beibehalten wird, welches sie hervorgebracht hat. «Sie fordern mehr ökologische Verantwortung und mehr Mitsprache. Es sei. Wenn wir verantwortlich sein sollen für die Auswirkungen der Politik von Staat und Wirtschaft, dann müssen wir auch deren Akteure sein.» Auf dem Gebiet der Wirtschaft ist die Frage, welche Güter und auf welche Art und Weise produziert werden, von den Arbeitern und denen, die diese benutzen werden, zu beantworten.8 Auf dem Gebiet der Politik ist die Ausgestaltung des öffentlichen Raumes, die Festlegung auf Verkehrsarten und von Wohnverhältnissen Sache derjenigen, die die Siedlungen bewohnen. Verantwortung, sei diese ökologische Verantwortung oder nicht, ist nur sinnvoll in und mit Autonomie.
* siehe Archipel Nr. 188
- René Riesel und Jaime Semprun, Catastrophisme, administration du désastre et soumission durable, Paris, Encyclopédie des Nuisances, 2008, Seite 15
- Judith Butler La vie psychique du pouvoir, Paris, Léo Scheer, 2002, Seite 113
- Siehe «Les nouveaux Conseils de quartier nantais» in Nantes Métropole, März/April 2010
- Siehe «Ville durable, l’éthique du toc», in Z Nr. 4, 2010, Seite 80
- Serge Latouche, französischer Ökonom und Philosoph, gilt als ein Vertreter des Konzepts der Wachstumsrücknahme; Pierre Rosanvallon, französicher Historiker
- Pierre Rosanvallon, Le capitalisme utopique, histoire de l’idée de marché, Paris, Seuil, 1999
- Untertitel von Une société à refaire von M. Brookchin,
- Vgl. Artikel «Un bon vieux conseil d’ouviers» in Z Nr. 3