Was können wir gegen die weltweit fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft tun? Sie zerstört Natur und Umwelt, dereguliert das Klima und geht zu Lasten der Menschen, die in der ländlichen Welt arbeiten. Landflucht, Bauernsterben, der Verkauf von fruchtbarem Land an multinationale Konzerne, kurzum die Zerstörung der Grundlagen der Ernährungswirtschaft und die schamlose Ausbeutung von Landarbeiter·inne·n sind einige Aspekte und Konsequenzen dieser verheerenden Entwicklung. Am 7. und 8. Februar 2020 findet in Bern eine Versammlung statt, in der es darum geht, für eine solidarische Landwirtschaft, mit Blick auf Beispiele aus dem In- und Ausland, Aktionen vorzubereiten und Forderungen zu stellen. Vor 20 Jahren, am 5.-7. Februar 2000, fanden in El Ejido (Provinz Almeria, Andalusien) pogromartige Ausschreitungen gegen marokkanische Landarbeiter·innen statt, die sich in den mehr als 30‘000 Hektaren Plastikgewächshäusern der Region verdingten. Die Vorfälle von El Ejido waren die schlimmsten Ausbrüche rassistischer Gewalt, die Immigrant·inn·en in Europa am Anfang dieses Jahrhunderts erleben mussten: eine dreitägige systematische und organisierte Hetzjagd gegen die Menschen und ihr ärmliches Hab und Gut – geduldet von den lokalen Behörden und den Ordnungskräften. Im Plastikmeer von El Ejido wird die Logik der industrialisierten Landwirtschaft ins Extrem gesteigert: skrupellose Ausbeutung der Landarbeiter·innen, Missachtung der Menschenrechte, Zerstörung der Umwelt, Plünderung der Wasserressourcen. Alles ist auf kurzfristige Rentabilität für wenige Profitierende ausgerichtet. Der Rassismus, der ausländische Menschen zu billigen Arbeitskräften degradiert, ist ein fester Bestandteil des Systems. Durch die Ereignisse in El Ejido wurde die Weltöffentlichkeit auf die Arbeitsbedingungen in weiten Bereichen der industriellen Landwirtschaft aufmerksam gemacht. Weitere rassistische Ausschreitungen gegen Landarbeiter·innen folgten in Rosarno (Süditalien 2010) und Manolada (Griechenland 2013). Über skandalöse Arbeitsbedingungen in der Obst- oder Gemüseproduktion in Südfrankreich, Marokko, Deutschland oder Österreich wird immer wieder berichtet. Die Industrialisierung der Landwirtschaft schreitet überall voran und hat tiefgreifende soziale Folgen: Die Landarbei-ter·innen, das schwächste Glied in der Produktionskette, sind dementsprechend am meisten betroffen. Gegen die schweizer und europäische Agrarpolitik, die eine Industrialisierung der Landwirtschaft massiv fördern, hat sich zunehmender Widerstand formiert.
Und hier bei uns?
Die Plattform für eine sozial nachhaltige Landwirtschaft (www.agrisodu.ch) zum Beispiel, hat in den letzten Jahren verschiedene Aktionen zur Unterstützung der Landarbeiter·innen in der Schweiz animiert. Sie hat sich zudem mit der Bauerngewerkschaft Uniterre massgeblich für die Initiative für Ernährungssouveränität eingesetzt. Sie fordert unter anderem einen allgemeinverbindlichen Normalarbeitsvertrag für die Landarbeiter·innen sowie die Regularisierung der in der Landwirtschaft tätigen Sans-Papiers, geschätzte 8‘000 in der Schweiz. Eine Studie über die letzten 18 Jahre, die von der Plattform demnächst veröffentlicht wird, bestätigt die unannehmbaren Bedingungen in der Schweizer Landwirtschaft, denen die Landarbei- ter·innen, die oft aus Osteuropa kommen, ausgesetzt sind. Frauen spielen in der Landwirtschaft eine zentrale Rolle, denn – auch in der Schweiz – arbeiten sie unverhältnismässig viel: auf dem Hof, in der Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte und im Haushalt. Sie sind jedoch sozialrechtlich schlecht abgesichert. Direkt betroffene Frauen wehren sich dagegen. In Österreich hat die Solidarisierung mit migrantischen Landar-beiter·inne·n bereits Tradition. Vor einigen Jahren wurde die Organisation Sezioneri gegründet. Auf deren Webseite (www.sezonieri.at) werden die Landarbeiter·innen in sieben Sprachen auf ihre Rechte hingewiesen, damit sie sich gegen Ausbeutung und Missachtung der Arbeitsrechte wehren können. Ähnliche Initiativen könnten auch in der Schweiz den Landarbei-ter·inne·n zur Kenntnis ihrer Rechte verhelfen. Bei Foggia in Süditalien engagieren sich Landarbeiter·innen im Verein Ghetto out Casa Sankara für alternative Produktions- und Distributionsformen. Durch eine Vereinbarung mit den Lokalbehörden verfügt der Verein über ein Haus, in dem er Menschen empfängt, die aus den Slums der Tagelöhner·innen fliehen. Hier wird ihnen ein Weg zur sozialen Integration und Beschäftigung vorgeschlagen. Zu dem Gebäude gehören 20 Hektar Land, auf denen eine eigene Landwirtschaftskooperative den Bewohner·inne·n der Casa Sankara Arbeit anbietet.
Sozial-ökologische Wende
Zahlreiche konkrete Projekte, die zeigen, dass eine solidarische und ökologische Landwirtschaft eine umsetzbare Alternative zur industriellen Produktion darstellt, sind in den letzten Jahren in der Schweiz entstanden; Direktvermarktung mit Verteilung von Gemüsekörben und der Beteiligung von Konsument·inn·en an der Gemüseproduktion sind ein Beispiel unter vielen Formen solidarischer Landwirtschaft, die das Klima kaum beeinträchtigen. Die Grossverteiler sind mit ihrer Preispolitik mitverantwortlich für das Verschwinden von zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben und die andauernd schlechten Arbeitsbedingungen der Landarbeiter·in-nen. Breit angelegte öffentliche Aktionen, wie zum Beispiel «Tage des Boykotts der Supermärkte» könnten diese zu einer Änderung ihrer Geschäftspraktiken bringen. Ideen werden gesucht, um die zunehmende Macht der Grossverteiler einzuschränken. Berliner Jugendliche gründeten vor ein paar Jahren die Internationalen Brigaden1. In Gruppen von 10-15 Personen solidarisieren sie sich mit Menschen, die für ihre Rechte kämpfen. In den letzten drei Jahren verbrachten sie immer wieder mehrere Wochen in der Provinz Almería und unterstützten die Landarbeiter·innengewerk-schaft SOC/SAT mit ihren Einsätzen. Sie zeigen, wie mit internationaler Solidarität der Widerstand gegen die Ausbeutung gestärkt werden kann. All diese Themen sollen in Workshops in der Versammlung «Widerstand am Tellerrand – für eine solidarische Landwirtschaft» aufgegriffen werden. In mehreren Workshops mit Gästen aus dem In- und Ausland möchten wir auch konkrete Aktionen sowie einen Forderungskatalog an die politischen Instanzen ausarbeiten. Die Tagung richtet sich an Gewerkschaften, Konsument·inn·en, Bäuerinnen und Bauern, Arbei-ter·innen sowie interessierte und solidarische Menschen. Die Landwirtschaft betrifft uns alle! Wir laden Sie ein, mit uns für eine sozial-ökologische Wende einzutreten. Das Programm der Tagung finden Sie auf der Webseite www.widerstand-am-tellerrand.ch. Anmeldungen für die Versammlung über tagung-landarbeit@immerda.ch
- www.interbrigadas.org