Von Svydovets zum Klimagipfel

von Iris und Oreste Del Sol, FCE, 01.09.2019, Veröffentlicht in Archipel 284

Hier sind die neuesten Nachrichten von unseren Korrespondent·inn·en in der Ukraine, die sich um das Überleben des Bergmassivs von Svydovets in Transkarpatien bemühen. Vor einem Monat wurde Iris, die diesen Artikel unterzeichnet und sich seit mehr als zwei Jahren für die Erhaltung dieses wunderschönen Gebietes einsetzt, ausgewählt, um die Länder Osteuropas auf dem UNO-Klimagipfel am 20. September 2019 in New York zu vertreten.

Diener des Volkes?

Die vorgezogenen Parlamentswahlen hat also Volodymyr Zelenski gewonnen. Seine neu gegründete Partei – benannt nach der Fernsehserie Slouga Narod (Diener des Volkes), die ihm den Sieg ermöglichte – gewann 254 Sitze von 450, also eine grosse Mehrheit. Der neue Präsident muss keine Koalition mit einer anderen Partei bilden – eine Premiere in der Geschichte dieser jungen Republik. Die pro-russische zweitgrösste politische Kraft hat nur 43 Mandatsträger·innen und die nationalistische Partei hat es nicht geschafft, die 3-Prozent-Hürde zu überschreiten und hat daher kein Mandat. Mehr als 70 Prozent des Parlaments wurden mit politischen Novizen erneuert, so dass wir am Ende eine ähnliche Situation haben wie in Frankreich. Dies ist eindeutig von Nachteil für uns, da es grosse politische Veränderungen geben wird (was an und für sich ja gut sein könnte), aber ohne schützende Opposition in der Regierung, die den Präsidenten in die Schranken weisen könnte. In unserem Wahlkreis Khust gewann Valery Lunchenko. Eine umstrittene Figur, da er den obersten Verwalter der Wälder Transkarptiens, Valery Mourga, unterstützt, der rein gar nichts getan hat, um die Entwaldung und die massive Korruption rund um das Holz unserer Wälder zu verhindern. Was den Gouverneur der Unterkarpaten, Moskal Gennadi, den Hauptinitiator des Skigebietsprojekts Svydovets, betrifft, so präsentierte sich dieser in einer anderen Ecke des Landes, in der Region Lugansk im Donbass, und verlor dort – womöglich eine Konsequenz unserer Kampagne für den Erhalt des Bergmassivs. Im benachbarten Gebiet von Iwano-Frankiwsk, wo sich das Luxus-Resort Bukowel befindet, präsentierte sich dessen Hauptteilhaber Olexander Schewtschenko (der bei den Präsidentschaftswahlen mit 0,5 Prozent erfolglos war) in seinem Wahlkreis. Nach Protesten zog er seine Kandidatur zugunsten seines Parlamentsassistenten zurück, der dann mit dem Label «Diener des Volkes» gewann. Sein Bruder Victor, Mitinhaber von Bukowel, verlor die Wahlen. Aber im Grossen und Ganzen gelang es den beiden, dass Leute, die ihnen und dem Oligarchen Igor Kolomoisky, nahe stehen, in ihrer jeweiligen Region gewählt wurden. Kolomoisky, der nach der Wahl von Zelenski zum Präsidenten sofort aus dem Exil in die Ukraine zurückkehrte, will das Mega-Skigebiet auf dem Bergmassiv von Svydovets bauen lassen, gegen das wir uns wehren. Wird der neue Präsident Unabhängigkeit zeigen können gegenüber demjenigen Oligarchen, der ihn stark gefördert hatte? Für uns ist es schwer zu glauben. Und für viele Menschen, die sich mit uns engagieren, noch schwerer. Wie ist seine Haltung in Umweltfragen? Das ist schwer zu sagen, weil seine gesamte Kampagne auf der Parole «Ich verspreche Euch nichts» und einem Minimum an Interviews aufgebaut war. Er sagte nur: «Umweltschutz ist eine Investition in zukünftige Generationen.» Ein Allgemeinplatz, aber noch keine Stellungnahme. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen erinnerte die Medienvorstellung unseres Berichts «Svydovets Case» nochmals an die engen Beziehungen zwischen dem Oligarchen Kolomoisky und Zelenski. Aber es war klar: Die Menschen wollten vor allem und grundsätzlich aus der Poroschenko-Ära aussteigen und Abstand nehmen von dessen eindeutiger Unfähigkeit, sich von den zahlreichen Korruptionsmustern zu trennen, die sich in den verschiedenen Wirtschaftssektoren niedergeschlagen hatten und auf Grund derer die Ärmsten noch ärmer geworden sind.

25 ukrainische Umweltorganisationen

Am 21. Juli (dem Tag der Parlamentswahlen) begann in Svydovets das einwöchige Ökologielager «Grünes Camp 2019». Junge Menschen aus der Stadt Poltawa, von der Organisation www.ekoltava.org, initiierten dieses Lager. Sie kamen zu uns, weil sich die Kampagne Free Svydovets stark im Land ausgebreitet hat und wahrscheinlich zu einer der wichtigsten Aktionen für die Umwelt in der Ukraine geworden ist. Das Camp war ein Erfolg. An dem Treffen nahmen während der gesamten Woche etwa hundert Menschen teil, die insgesamt 25 Umwelt-NGOs aus der Ukraine vertraten. Einige von ihnen sind sehr wichtig wie 350.org, Zero Waste, Climate Networks Ukraine, Reload Kyiv. Die meisten Teilnehmenden waren junge Frauen aus der Stadt, die versuchen, die Einstellung der Bevölkerung zu solchen Themen zu ändern. Es war wichtig, dass sich die Menschen während mehrerer Tage treffen und viel miteinander reden konnten. Das ging ganz einfach, entweder weil sich rund ein Drittel der Teilnehmenden schon von vorherigen Camps kannten oder aber dank der «Animator·inn·en» des jetzigen Camps, die Teilnehmende zusammenbrachten. Es gab mehrere Workshops zu den Themen Klima und Müll, dann zu praktischen Fragen, wie man eine Kampagne durchführen oder wie eine ökologische Strategie aussehen könnte. Eine Frage die für uns sehr wichtig war, hiess: «Wie kann man eine ökologische Bewegung schaffen?» Wir diskutierten darüber am Beispiel von Free Svydovets. Sehr schnell entwickelte sich ein Konsens, unsere Kampagne gemeinsam zu stärken. Über die Anwesenheit von Sashko Polojinsky, Rock-Rap-Sänger der Gruppe Tartak, mit dem wir seit einigen Jahren befreundet sind und der von uns eingeladen worden war, freuten sich alle. Er kam mit seinem Freund Ivan Marunish und gemeinsam belebten sie die Lagerfeuerabende mit ihren Liedern. Sogar Leute aus der Umgebung kamen, um ihnen zuzuhören. Von all den jungen Fans ermuntert, beschloss er, einen Song zur Unterstützung der Free Svydovets-Bewegung zu kreieren, der inzwischen eine grosse Wirkung für die Bewegung zeigt.

Macht Euch auf den Weg!

Der Höhepunkt der Woche war natürlich der Wandertag mit 90 Teilnehmenden auf dem 25 Kilometer langen Bergrücken des Massivs. Am Schluss waren Viele erschöpft, aber glücklich, das wunderschöne Bergmassiv gemeinsam durchwandert zu haben. Die Freude und Begeisterung, sich der Bewegung anzuschliessen, ist für alle enorm gewachsen. Gerade während das Lager stattfand, veröffentlichte Präsident Zelenski eine Dekret mit dem Ziel, innerhalb von zwei Monaten ein neues Programm zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Karpaten-Berggebiete zu erstellen. Daraufhin mobilisierten sich alle Camp-Teilnehmer·innen, um eine neue Briefkampagne an den Präsidenten zu starten. Ausserdem verpflichteten sich alle anwesenden NGOs den hashtag #FreeSvydovets (ein Werkzeug für Internet-Statistiken) zu verwenden, damit es uns möglich ist, die Anzahl der mobilisierten Personen oder der Personen, die einen Brief geschickt haben, zu ermitteln. Die Kampagne ist lanciert und verspricht, breit zu werden. Einige Ideen für die Zukunft: Wir nehmen am Klima-Marsch am 20. September 2019 in Kiew teil. Dieser steht im Zusammenhang mit dem «globalen Klimastreik». Der Marsch soll sich den jungen Klimastreikenden auf der Strasse anschliessen und das Ende der Ära der fossilen Brennstoffe fordern. «Unser Haus brennt nieder – lasst uns entsprechend handeln. Wir fordern Klimagerechtigkeit für alle.» Mehrere Organisationen des «Green Camps» organisieren diesen Marsch und möchten, dass die Bewegung Free Svydovets im Mittelpunkt der Forderungen des Marsches stehen soll. Vielleicht wird sich am 20. September in New York durch unsere Anwesenheit der Wind für den Erhalt von Svydovets drehen … Fortsetzung folgt.