Viren, Wälder und Konzerne

von Silva Lieberherr, Brot für alle, multiwatch, 11.09.2020

Die Entstehung und Ausbreitung von Viren wie Covid-19 haben viel mit kapitalistischer Landwirtschaft zu tun, sowohl in den Ursachen als auch in den Folgen. In ihrer Rede am «March against Bayer and Syngenta» in Basel 2020 beleuchtete Silva Lieberherr diese Zusammenhänge.

Zerstörung der Natur

Mit ziemlicher Sicherheit ist das Corona-Virus von einem Wildtier auf den Menschen übergesprungen. Und das ist an sich nichts Ungewöhnliches. In den letzten Jahrzehnten sind Hunderte von Krankheitserregern neu- oder wiederaufgetaucht. Und die Mehrheit dieser Krankheitserreger hat ihren Ursprung in Tieren – meist Wildtieren, aber auch Haus- und Nutztieren. Diese Krankheitserreger sind für ihre tierischen Wirte oft harmlos, und dass sie auf die Menschen überspringen, passiert mindestens seit der Domestizierung. Aber seit einigen Jahrzehnten geschieht das viel häufiger. Wissenschaftlerinnen und Wisschenschaftler konnten zeigen, dass eine Zerstörung von Ökosystemen, von kleinbäuerlich genutztem Land, von Regenwald oder Sümpfen ein solches Überspringen von Viren wahrscheinlicher macht. Durch solche Zerstörungen verlieren viele Tiere ihren Lebensraum, sie leben auf engerem Raum, suchen sich neue Lebensräume näher bei den Menschen. Und wenn man jetzt dabei nur an Regenwälder denkt, dann stimmt das nicht. So ist beispielsweise die durch Zecken übertragene Borreliose unter anderem wegen der Zerstörung von Wäldern in unseren Breitengraden auf dem Vormarsch. Diese Zerstörung von Ökosystemen ist in den letzten Jahrzehnten mit einer ungekannten Schnelligkeit vorangetrieben worden. Es sind Plantagen und Minen, die zu einem riesigen Teil dafür verantwortlich sind. Und diese landwirtschaftlichen Plantagen machen die kapitalistische Landwirtschaft aus, sie bringen Profit, werden gebraucht für Palmöl oder für Soja. An diese Plantagen verkaufen die grossen Agrarkonzerne wie Syngenta und Bayer ihre Pestizide und ihr patentiertes Saatgut, an ihnen verdienen auch sie ihr Geld.

Tierfabriken

Und es kommt noch etwas dazu. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Entwicklung von Influenza-Viren eng mit der industriellen Tierproduktion zusammenhängt. In heutigen Tierfabriken sind die Tiere auf engstem Raum zusammengepfercht, ihre Immunsysteme werden dadurch geschwächt. Dazu kommt noch, dass sie durch Züchtung genetisch nahezu identisch gemacht worden sind. All diese Faktoren fördern eine sehr schnelle Ausbreitung und Weiterentwicklung von Viren. Und falls Ihr Euch jetzt ausschliesslich chinesische Hühnerfabriken vorstellt, täuscht Ihr Euch. Die USA, Europa und auch Australien haben zum Beispiel mehr Vogelgrippeviren hervorgebracht als China. Und auch diese Tierfabriken sind wiederum Teil dieses kapitalistischen Systems der Landwirtschaft. Und unter Anderem wird für diese Tierfabriken auf den grossen, landverschlingenden Sojaplantagen Tierfutter angepflanzt. Was den Corona-Virus Covid-19 betrifft, ist all dies noch nicht klar – die Herkunft, die Weiterentwicklung, die Übertragung. Aber dass Viren so entstehen, dass so aus ihnen Pandemien werden, ist bekannt. Und dass dies nicht das letzte Mal war – auch. Und dass diese beiden Entwicklungen – Landraub und Abholzung für riesige Plantagen und Minen sowie Tierfabriken – noch in vieler anderer Hinsicht problematisch sind: sie führen zu Artensterben, verschlimmern den Klimawandel und führen zu unfassbar viel Leid für Menschen und Tiere.

Hunger als Folge

Die Auswirkungen des Corona-Virus haben viel mit der Spezifizität des kapitalistischen Ernährungssystems zu tun und wie es organisiert ist. Länder, die für die Ernährungssicherheit stark von Importen abhängig geworden sind, werden heftig getroffen von Handelsbeschränkungen, -verzögerungen und Exportstopps von Grundnahrungsmitteln. Die Menschen, die durch Landraub ihr Land verloren haben, und jetzt ihr Essen kaufen müssen, haben am schnellsten Hunger bei Ausgangssperren und kurzfristigen Nahrungsengpässen. Wenn sie in dieser Krise dann ihre Jobs verlieren, auf den Plantagen zum Beispiel oder im informellen Sektor, dann haben sie schlicht nichts mehr zu Essen am Ende des Tages. Ausserdem sind viele staatliche Institutionen geschlossen, Millionen Kinder bekommen zum Beispiel keine Schulmahlzeiten mehr. So zeichnet sich weltweit eine Ernährungskrise ab und ländliche Gebiete sind davon stark betroffen. Auch sind die Lieferketten der grossen Lebensmittel- und Agrarkonzerne zu Brennpunkten für Covid-19-Infektionen und -Übertragungen geworden. Waren dort schon immer prekäre Arbeitsbedingungen, wurden sie jetzt noch gefährlicher. Weltweit gab es tödliche Ausbrüche in Fleischfabriken, Häfen, Warenhäusern, Fischfabriken, Palmöl- und Früchteplantagen, Supermärkten – alles Orte, die diese Konzerne kontrollieren. Nur in ihren Bürohochhäusern gab es keine Ausbrüche. In vielen Ländern, auch in der Schweiz, wurden Wochenmärkte geschlossen, Supermärkte aber blieben offen. So werden Supermärkte und Nahrungsmittelkonzerne den kleinen und alternativen bäuerlichen Betrieben gegenüber bevorzugt, denen wichtige Einkommen wegfallen. Für viele eine Katastrophe, die zu weiterer Verschuldung und vielerorts zu Hunger führt. Zur gleichen Zeit schüttete der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern Nestlé 7,3 Milliarden Franken Dividenden aus; Bayer-Monsanto zahlte 2,5 Milliarden CHF, der grösste Hühnchenproduzent 550 Millionen, der grösste Schweineproduzent 450 Millionen. Cargill, die weltgrösste Agrarhandelsfirma, zahlte 580 Millionen.

Lokale Ernährungssysteme und globale Solidarität

Wir müssen Widerstand leisten gegen die kapitalistische Landwirtschaft, die an dieser Krise und an ihren Auswirkungen einen so grossen Anteil hat. Und zur kapitalistischen Landwirtschaft gehören untrennbar die grossen Konzerne wie Syngenta und Bayer, die ihr Geld mit grossen Plantagen, mit Futtermitteln und mit Pestiziden verdienen. Nun, mehr denn je wird heute ersichtlich, wie wichtig lokale, gerechte, ökologische Ernährungssysteme sind. Aber es wird auch klar, dass die Auswirkungen der Pandemie nicht für alle gleich sind. Einmal mehr trifft es die Untersten am härtesten – unter ihnen die Kleinbäuerinnen und die Landarbeiter. Darum brauchen wir lokale Ernährungssysteme und eine globale Solidarität.

Silva Lieberherr, Agrarwissenschaftlerin ETH Landwirtschaft und Landrechte, Brot für alle, multiwatch

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