UNGARN: Rassisten-Referendum

von Bernard Schmid, 17.11.2016, Veröffentlicht in Archipel 253

Am 2. Oktober wurde in Ungarn ein Referendum bezüglich der Aufnahme von Geflüchteten durchgeführt. Wegen ungenügender Stimmbeteiligung wurde es für ungültig erklärt.

Die Frage war auf eine Art und Weise gestellt, dass sich in den Augen der meisten Angesprochenen nur eine Antwort ergeben konnte, und zwar eine negative. Gewöhnlich ist es anders, aber in diesem Falle mochten die Machthaber gar zu gerne einen Ausgang sehen, bei dem eine starke Mehrheit des Wahlvolks mit «Nein» zur gestellten Frage abstimmt.
Und diese Frage lautete wie folgt: «Wollen Sie, dass die Europäische Union eine obligatorische Ansiedlung nicht-ungarischer Bürger in Ungarn ohne Zustimmung des ungarischen Parlaments anordnet?» So und nicht anders stand es auf den Stimmzettel, als die Wahlbevölkerung in Ungarn am Sonntag, den 2. Oktober, durch die konservativ-völkisch-autoritäre Regierung unter Viktor Orban in die Abstimmungslokale gebeten wurde.
Mit «Ja» zu stimmen, das hätte aus Sicht der Anhängerinnen und Anhänger des Regierungslagers ungefähr so viel bedeutet wie: «Wollen Sie unbedingt ein Knecht, ein Sklave sein...?» In Wirklichkeit ging es um einen äusserst bescheidenen Plan der EU-Kommission aus dem Jahr 2015, der die Ansiedlung (das «resettlement») von insgesamt 160‘000 Geflüchteten über den Zeitraum von zwei Jahren über 25 Mitgliedsstaaten zum Gegenstand hat. Also in den Mitgliedsländern der Union ohne das bald ausscheidende Grossbritannien, ohne Italien und Griechenland. Denn es geht gerade darum, diese beiden Mitgliedsländer zu «entlasten», in denen aus geographischen Gründen ein Grossteil der über das Mittelmeer flüchtenden Migrantinnen und Migranten strandet.
Ungarn hätte dabei die, nun ja, höchst bescheidene Zahl von 1‘294 Geflüchteten – überwiegend aus Syrien, dem Irak und Eritrea – aufnehmen sollen. Doch das war den dortigen Machthabern entschieden zu viel: Wenn überhaupt Einwandernde zu akzeptieren seien, dann soll es sich aus ihrer Sicht gefälligst um europäische Facharbeiterinnen und Facharbeiter handeln. Die Pläne der EU-Kommission sind längst blockiert, ungarische und slowakische Klagen sind vor der europäischen Gerichtsbarkeit anhängig. Mehrere Staaten, unter ihnen Polen und Ungarn, nahmen schlicht keine/n einzige/n der Geflüchteten, um die es ging, auf.
Aufruf zum Wahlboykott
Die Idee zu einem Referendum, einer Volksabstimmung zum Thema stammt ursprünglich von der offen faschistischen und antisemitischen, teilweise gewalttätig auftretenden rechtsextremen Partei «Jobbik» (ihr Name bedeutet im Ungarischen «Die Rechte» aber auch «Die Bessere»). Jobbik ist eine Oppositionspartei, kooperiert aber unter der Hand teilweise mit dem Regierungslager unter Viktor Orban, das etwa manche Posten im Kulturestablishment wie Theaterleitungen mit Jobbik-Leuten besetzt. Die Regierungspartei «Fidesz» (ungefähr «Ungarisches Bürgerbündnis»), die auch Mitglied in der Europäischen Volkspartei EVP ist, wie etwa die deutsche CDU und die ÖVP in der benachbarten Alpenrepublik, lehnte dieses Ansinnen zunächst ab, machte es sich dann jedoch zueigen. Auch das explizit rechtsextreme Lager mobilisierte für den Referendumserfolg. Am Samstag, den 1. Oktober, spielte etwa die Jobbik-nahe Rechtsrockband «Romantikus Eröszak» («Romantische Gewalt») mit behördlicher Erlaubnis direkt vor dem Parlament in Budapest. Dabei wurde ungestraft mehrfach der Hitlergruss gezeigt. Die Musiker riefen dabei die Menge dazu auf, abstimmen zu gehen und natürlich «richtig» zu votieren.
Im Abstimmungswahlkampf wurden Geflüchtete mit Terrorismus, ansteckenden Krankheiten und anderen Gefahren assoziiert. Angesichts der tendenziösen und manipulativen Fragestellung riefen Oppositionskräfte nicht zum «Ja»-Stimmen auf, sondern dazu, das Referendum zu boykottieren oder aber ungültig zu stimmen. Diese Strategie diente dazu, die Stimmbeteiligung sinken zu lassen (ungültige Stimmen werden von ihr abgezogen). Denn Viktor Orban selbst hatte vormals entschieden, um Gültigkeit zu erlangen, müssten Abstimmungsergebnisse aus Referenden hervorgehen, an denen mindestens fünfzig Prozent der Stimmberechtigten teilnehmen.
Diese Marke wurde verfehlt. Zwar stimmten erwartungsgemäss über 98 Prozent der Teilnehmenden im von der Regierung gewünschten Sinne. Doch «nur» 39,9 Prozent gaben eine gültige Stimme ab, weitere fünf Prozent der Wahlberechtigten stimmten ungültig. Dies ist ein relativer Dämpfer für Orban. Er kündigte jedoch an, direkt auf dem Gesetzeswege – nicht über eine Abstimmung – dennoch die ungarische Verfassung ändern zu wollen, um in ihr «kollektive Ansiedlungen» auf ungarischem Boden zu verbieten.