SPANIEN : Geschichten vom Wasser

von Los Amigos de Ludd, 05.03.2010, Veröffentlicht in Archipel 179

Die Zeitschrift Los Amigos de Ludd erschien zum ersten Mal in Madrid im Jahr 2001. Sie versucht, die so genannte anti-industrielle Kritik zu erklären und zu verbreiten. Das folgende Gespräch mit Ramon Germinal* stammt aus der 2. Ausgabe und wurde kürzlich in Frankreich veröffentlicht (siehe Kasten).

Kannst du noch einmal rekapitulieren, wie das Wasser im Laufe der Geschichte zur Ware wurde? Welches waren deiner Meinung nach die wichtigsten Etappen in diesem Prozess? Dieser Prozess unterscheidet sich beim Wasser je nach Klima und der Art und Weise, wofür es im Laufe der Geschichte benutzt worden ist. Stellen wir zuerst einmal fest, dass dank der Sonne und des Regenwassers die Photosynthese die Wälder und Wiesen, die Berge und Täler ergrünen lässt; alle Pflanzensorten sind unentbehrlich für die Ernährung der Säugetiere und Vögel und sie versorgen den Planeten mit Sauerstoff. Nicht umsonst wird der Amazonas-Regenwald die grüne Lunge der Erde genannt. Dieses Wasser, das auch in den noch so ausgeklügelten Rechnungen von irgendwelchen Ministerien nicht als Produktionsfaktor auftauchen kann, hat keinen Preis. Es konnte nie vermarktet werden, denn der Regen entzieht sich bis jetzt jeglicher Kontrolle der technologisierten Gesellschaft. Daraus folgernd werde ich mich auf eine klimatische Region beschränken, nämlich den Mittelmeerraum, wo ich selbst lebe. Ich werde mich ebenfalls auf das Trinkwasser beschränken, welches eine Vielzahl von Verwendungen kennt, unter anderem als Getränk. Im Mittelmeerraum war Trinkwasser immer umsonst zu haben. Auf der Iberischen Halbinsel schlossen die Wassergesetze, sei es unter christlicher oder islamischer Oberherrschaft, den Gebrauch des Trinkwassers für Menschen und Tiere ein. Grundbesitzer mussten Zugang zu Brunnen und Tränken gewähren, damit die Menschen und Tiere ihren Durst löschen konnten, selbst wenn sie dabei Privatgrund durchqueren mussten. Hinzu kommt, dass das Wasser in den Reservoirs für die städtischen Brunnen von recht guter Trinkqualität war. All das hat sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geändert: Die industrielle Revolution, das Wachstum der Städte und später die Industrialisierung der Landwirtschaft führten zu einer Umwertung der natürlichen Wasservorkommen, machten es rar und den Zugang dazu teuer. Eineinhalb Jahrhunderte reichten aus, um eine Mehrheit der Bevölkerung des Mittelmeerraumes (wie übrigens auch im Rest der Welt) für den Zugang zu Trinkwasser, das für sie lebensnotwendig ist, bezahlen zu lassen. Meiner Meinung nach hat das stetig fortschreitende Auftauchen von technischen Einrichtungen zur Kommerzialisierung des Wassers geführt: Pumpsysteme, Verteilungs- und Aufbereitungsnetze, Wasseruhren, Kläranlagen, Entsalzungsanlagen, usw. Wasser wird transportiert, egal wie weit und von welcher Ursprungsqualität, es zählen allein die Kosten und die Vermarktungsmöglichkeiten. Von diesen immer teurer werdenden Technologien, deren Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts parallel zur Entwicklung der Städte gelaufen ist, sind wir immer stärker abhängig. Es ist zur Zeit schwierig verständlich zu machen, dass die Wasserfrage nicht in der Spanne zwischen öffentlich und privat, sondern zwischen öffentlich-privatem einerseits und gemeinsamem Gut anderer-seits zu diskutieren ist. Woran liegt deiner Meinung nach diese Konfusion? In den 1980er und 1990er Jahren standen viele spanische Gemeinden vor folgendem Dilemma: Die Wasserversorgung selber zu verwalten oder diese per öffentlicher Ausschreibung an ein privates Unternehmen zu übertragen. Die Bewohner waren ebenfalls ein wichtiger Faktor in dieser Angelegenheit, ging es doch um die Verbesserung der Dienstleistung, die Versorgungssicherheit und den Wasserpreis. Seit dem Rückzug der öffentlichen Hand hängen die Ausfälle und die Qualität des Wassers zugegebenermaßen nach wie vor von den Trockenperioden ab, sei es nun unter öffentlicher oder privater Verwaltung. Was die Preise betrifft, so sind diese wie Wasserdampf in die Höhe gestiegen. Nicht nur beim Thema Wasser verwechseln viele Leute öffentliches und gemeinsames Gut. Dasselbe gilt auch für öffentliche Schulen, öffentliche Gesundheitsversorgung, öffentliche Verkehrsmittel, usw. Was öffentlich ist, wird von staatlichen Stellen verwaltet, außer es werden Konzessionen an private Unternehmen vergeben, wie etwa bei der Wasserversorgung oder Privatschulen. So funktioniert der Wohlfahrtsstaat in Europa seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Der Sozialvertrag, der zwischen den Gewerkschaften und den sich ablösenden Regierungen ausgehandelt worden ist, hat dem Staat erlaubt, das gemeinsame Gut in Besitz zu nehmen, um es öffentlich zu verwalten, wie es bei Straßen und Wasser der Fall ist. Auf die gleiche Weise, wie die öffentlichen Machthaber danach strebten, der Automobilindustrie alle Wege zu ebnen, haben sie die Privatisierung der Wasserversorgung vorbereitet, indem sie große Wasserwerke gebaut haben. Diese sind mit Steuergeldern und regelmäßigen Abgaben bezahlt worden, welche wiederum die Staatsbudgets aufgebläht haben. Was öffentlich ist, wird vom Staat, was gemeinschaftlich ist, wird von den Mitgliedern der entsprechenden Gemeinschaft verwaltet. Der öffentliche Sektor braucht einen ganzen Schwung an Regeln und eine Polizei, um diese umzusetzen. Das Wassergesetz vom 2. August 1985 – von einem mehrheitlich sozialistischen Parlament abgesegnet - macht einen Schlussstrich unter die ein Jahrhundert alte Definition von Wasser als Gemeingut, indem es als Einführung folgenden Satz enthält: «Wasser, ein Gut der öffentlichen Hand, das vom Staat verwaltet wird.» Die Wasserreservoirs können auf die Unterstützung von allen Arten von Polizei zählen und haben ihr eigenes Wachpersonal. Gemeinschaftliches Gut braucht keine Polizei, es ist durch die Mitglieder der Gemeinschaft geschützt. Indem sie den öffentlichen Sektor verteidigten, haben die parlamentarische Linke und selbst einige Außerparlamentarische dazu beigetragen, hier den falschen Weg zu wählen. Die neoliberale Offensive der 1980er Jahre besagt, dass der Staat der Gesellschaft zurückgeben soll, was er ihr während der letzten vierzig Jahre öffentlicher Verwaltung abgenommen hat. Dieser Wunsch ist mittels Privatisierung in die Tat umgesetzt worden. Die gesamte Linke hat in der Vergangenheit sowie der Gegenwart nicht aufgehört, die öffentliche Verwaltung zu verteidigen und dabei die Erinnerung an das gemeinschaftliche Gut vernachlässigt. Mittlerweile erheben sich einige Stimmen, die weniger Staat fordern, weniger öffentliche Verwaltung und mehr gemeinschaftliches Gut, mehr Selbstverwaltung in allen Aspekten des Lebens. Der Industrialisierungsprozess, die Entwicklung der Städte, die ungebremste Konsumwut stoßen an die Grenzen der Natur und damit auch an die Grenzen des Lebens, der Erde. Wie wirkt sich dieses Erkennen von Grenzen auf das revolutionäre Denken aus? Werden solche Themen unter den Anhängern von Ökobewegungen erwogen? Wenn man die Grenze, die uns die Biosphäre setzt, als feste Größe für den Wachstumsprozess nimmt, könnte man gewisse Anhaltspunkte dafür finden, dass die Tage des Kapitalismus gezählt sind. Manche Globalisierungskritiker beschwören das Bild einer abtrudelnden Welt herauf, die aufgrund der exponentiell wachsenden Umweltzerstörung kurz davor ist zu explodieren. Dies ist die bevorzugte Form von Kritik der Radikalökologen. Dem stehen die technikverrückten Linken gegenüber, die von immaterieller Arbeit sprechen, dem Hauptelement der Selbstvermehrung des Kapitals – wie wenn der virtuellen Welt nicht auch die räuberische Basis des heutigen Kapitalismus zu Grunde liegen würde. Wenn es auch nicht zu leugnen ist, dass endgültige physische Grenzen bestehen, so gibt es für den Kapitalismus als soziale Beziehung keinen immanenten Begrenzungsfaktor. Weder ein ökonomischer (Marx) oder subjektiver (Negri), noch ein physischer Faktor –wie in gewissen radikalökologischen Diskussionen –setzen diesem eine Grenze. Die wahrscheinlichste Hypothese – weil teilweise bereits umgesetzt – ist diejenige eines postmodernen, ökologischen Faschismus, wo das Kapital seine Realität aufzwingt und sich mit dem wirklichen Leben vermischt. Auf dem Einverständnis der beteiligten Personen aufbauend mobilisiert es sie zu selbst lancierten Projekten: Recycling, erneuerbare Energien, Einschränkung des Autoverkehrs, mehr Sicherheit, Nachbarschaftshilfe in den Quartieren, usw. Ein ganzes Programm der Beherrschung. Der Ausgangspunkt für ein subversives Programm liegt in der Zurückweisung von jeglichem Determinismus und der Hoffnung darauf, dass andere Welten möglich sind. Einzig der Wunsch, zusammen leben zu wollen, kann uns die Kraft geben, diese technologisierte Gesellschaft anzugreifen, die die einzige Welt, die wir kennen, beherrscht und die nach mehrmaliger Veränderung langsam die Einzigartigkeit des Einzelnen in zum Voraus berechenbares und mechanisches Verhalten verwandelt. Die Kritik an der technologisierten Gesellschaft wagt das Undenkbare zu formulieren: Nur diejenigen materiellen Güter zu produzieren und zu konsumieren, die für unsere Versorgung nötig sind; sich erneuerbarer Energien zu bedienen, ja, aber aus dezentralisierten Quellen, ohne Zähler und Tarife; den Krieg gegen die Autos in der Stadt gewinnen, indem man Nähe gewinnt und die Metropolen auflöst; auf weniger Sicherheitsdienste und mehr Freiheit vertrauen; sich gegenseitig zu unterstützen aber in Opposition zu Lohnarbeit und allen Formen von Präkarität; zusammenzuarbeiten, um Gemeinschaften zu bilden. In eine andere Richtung zu denken ist eine Form des Handelns, weitere werden folgen. Was für Schlüsse ziehst du aus deiner Erfahrung als Grüner in den institutionellen Debatten? Wo sind die Grenzen für die institutionalisierte Grüne Bewegung? Welches wäre deiner Meinung nach eine grüne Position hinsichtlich der Wasserfrage? Meine Erfahrung als Vertreter der Grünen in beratenden Gremien von öffentlichen Einrichtungen haben mich Ende 1996 dazu gebracht, alle meine Mandate in Grünen Organisationen niederzulegen. Durch die Präsenz in solchen Gremien erhält man zwar aus erster Hand Informationen zu sämtlichen öffentlichen und privaten Vorhaben, die relevante Folgen für die Umwelt haben und solche Gremien passieren müssen. Das Unangenehme daran ist aber, dass man nichts entscheiden kann. Man hat lediglich eine beratende Funktion und legitimiert im Gegenzug das Handeln der Regierung. Das ist, was sich seit dem Gipfel in Rio 1992 Umweltkonsens nennt. Die institutionalisierte Umweltbewegung ist abhängig von ihren Finanzquellen, und da liegen auch ihre Grenzen. Man kann nicht unabhängig sein, wenn man von öffentlichen und privaten Geldern abhängt. Was die unternehmerisch geprägte Umweltbewegung anbelangt, die sich als Produkt an diejenigen verkauft, die sich vom Glanz des Spektakels angezogen fühlen (Greenpeace) und sich damit brüstet, von keinerlei öffentlichen Subventionen abhängig zu sein, so bestimmt hier der Markt die Grenzen. Keine dieser Grünen Bewegungen wagt es, über eine bestimmte Stufe von Kritik an der Technologiegesellschaft hinauszugehen. Das Kapital kontrolliert den Zugang zum Trinkwasser, indem es ein schnelles Transportnetz und Technik zur Wasseraufbereitung zur Verfügung stellt. All das ist mit hohen Energiekosten verbunden. Dies gilt auch für den Zugang zur großen Verkehrsinfrastruktur für den Transport von Menschen und Waren. Der Zugang zu Trinkwasser für die einfachen Leute, für Bevölkerungsgruppen, ist nur durch Nähe zu dessen Vorkommen garantierbar, indem direkt darauf zugegriffen werden kann und so dem Markt entzogen wird. Solche Nähe könnte folgendermaßen erreicht werden: Indem auf jedem größeren Haus oder für eine ganze Bewohnergruppe Wasserreservoirs gebaut werden. So wird verhindert, dass das Regenwasser durch große Kläranlagen geleitet wird und auf diese Weise mithilft, die Verschmutzung zu verdünnen. Das Sammeln des Wassers in solchen Reservoirs ist nicht nur eine Möglichkeit, der öffentlichen Verwaltung durch diese Form von sozialem Engagement einen Bereich zu entreißen, es ist auch ein Akt, um durch die Wiederaneignung des direkten Zugangs zum Wasser durch die Betroffenen die Idee des gemeinschaftlichen Gutes wieder aufleben zu lassen. Die Grundwasserschichten, die am nächsten an den Agglomerationen liegen, müssen wieder angeeignet und einer spezifischen Nutzung zugeführt werden. So wird der Zugang zum Trinkwasser erleichtert. Wasserläufe müssen wiederbelebt werden. Das ermöglicht den Städten den Zugriff auf das Wasser ihrer Flüsse. Die Grundwasserschicht zu sanieren und einen Fluss lebendig zu erhalten, ist nur möglich, wenn man sie vor Schäden schützt. Dies stellt natürlich auch das ganze Industriemodell in Frage. Die Forderung nach kostenloser Wasserversorgung eröffnet eine ganze Argumentations- und Aktionslinie für die Kostenlosigkeit eines gemeinschaftlichen Gutes. Es ist ein guter Ausgangspunkt, um danach zu streben, Wasser nicht mehr als öffentliches Gut einzuordnen, das von öffentlichen Unternehmen oder lokalen Dienststellen verwaltet wird. Eine konsequente Umsetzung des Prinzips der Lokalität sollte im Zentrum grüner Aktivitäten gegen die «Wasserautobahnen» stehen. In deinem Buch legst du großes Gewicht auf die Parallelentwicklung des Wertverlustes des Wassers und dem Verlust der Autonomie des Einzelnen, welche deiner Meinung nach immer Zeichen für den Verfall eines Gemeinwesens sind. Wie wir wissen, ist der Kampf um eine gemeinschaftliche Ressource von einer Aktivität abhängig, die auf ebendiese angewiesen ist. Sind wir denn unter diesen Umständen dazu verurteilt, lediglich Erinnerungsarbeit zu leisten oder gibt es ein Zurück zum Wasser als gemeinschaftliches Gut? Der natürliche Wasserkreislauf macht das Wasser zu einem erneuerbaren Element und es hindert uns nicht daran, es erneut als gemeinschaftliches Gut zu betrachten. Man muss jedoch die schon seit zwei Jahrhunderten immer größer werdende Gier nach Wasser bekämpfen und es aus den Fängen des Marktes befreien. Das ist machbar, denn all das ist das Werk des Menschen, und was er geschaffen hat, kann er auch wieder abschaffen. Das Erinnerungsvermögen ist ein zusätzliches Werkzeug, um eine Maschinerie zu zerstören, die entwertet, in Beschlag nimmt und uns das Wasser verkauft. Selbst wenn die Seltenheit der gemeinsamen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Wasserproblematik nicht gerade optimistisch macht, bin ich weit davon entfernt, dem pessimistischen Denken zu folgen, das in der Vermarktung des Wassers eine geschichtlich gewachsene Tatsache sieht und Markt, Fortschritt und Technologie als die neue Dreieinigkeit der göttlichen Vorsehung macht. Industrie, Tourismus und vor allem die industrielle Landwirtschaft sind große Wasserverbraucher. Kann man in diesen Bereichen eine Entwicklung feststellen? Wie ihr wisst, sind Bewässerungskulturen große Wasserverbraucher (80 Prozent) und die Versorgung der Städte, eingeschlossen der Tourismus und ein Teil der Industrie, teilen sich den Rest. Ausgenommen sind hier Verbraucher von geringerer Bedeutung wie Freizeitanlagen und Industrie, die eigene Wasservorkommen nutzt. Sie zählen im Vergleich zum globalen Verbrauch praktisch nicht. Von der aktuellen Situation ausgehend kann man sich in den kommenden Jahren etwa folgendes Szenario ausmalen: Erstens werden europaweit Tausende von Hektaren traditionell bewässerten Landes aufgegeben. Sie hängen völlig von europäischen Subventionen ab, und die sich abzeichnende weltweite Liberalisierung wird ihre Konkurrenzunfähigkeit offen legen. Sie werden durch billigere Importe ersetzt. Zweitens wird die Intensivlandwirtschaft an der Mittelmeerküste, die wir den Garten Europas nennen, weiter wachsen, denn sie bleibt konkurrenzfähig. Sie wird mit Hilfe von effizienterer Bewässerungstechnik noch mehr Wasser verbrauchen. Das Wasser wird aus Entsalzungsanlagen kommen, ein Luxus den sich die Landwirte im Mittelmeerraum leisten können, wenngleich die Energiekosten beträchtlich sind und die damit verbundene Belastung der Umwelt ebenso. Die Zukunft hat schon begonnen: Jedes Jahr werden neue Meerwasserentsalzungsanlagen gebaut, bald sind es so viele, dass man sich leisten kann, das Projekt zur Umleitung des Ebro zu stoppen. Damit verbunden ist der Rückgriff auf sklavenähnlich gehaltene Arbeitkräfte, im wesentlichen Immigranten, um die Explosion der Produktionskosten zu vermeiden. Die Konkurrenz aus den südlichen Gestaden des Mittelmeeres kann die Gewächshäuser von Murcia und Almeria auch einer anderen Nutzung zuführen: Die Forschung ist schon genügend fortgeschritten, um hier so genannte «Alikamente» zu produzieren, Tomaten, Gurken und Früchte, die künstlich mit Vitaminen angereichert sind. Der Tourismus ist weltweit die führende Industrie, was die Gewinne und die Schaffung von Arbeitsplätzen anbelangt (laut Gewerkschaften allerdings prekäre Arbeitsplätze). Nebst der Karibik ist der Mittelmeerraum die Gegend, die am meisten Touristen anzieht. Nun verbraucht die Tourismusindustrie allerdings große Mengen an Wasser für ihre Golfplätze, Schwimmbäder, Grünflächen usw., das über die städtischen Leitungsnetze geliefert wird. Also ist deren Versorgung mit derselben Problematik verbunden wie diejenige der Küstenstädte. Und so sieht die Nutzung des Wassers in den Tourismusgebieten der Mittelmeerküste in Zukunft – und zum Teil bereits jetzt – aus: Golfplätze werden mit Wasser aus städtischen Klärwerken bewässert wie an der Costa del Sol, hochwirksame Verteilsysteme wie in den Hotels auf den Balearen, Entsalzungsanlagen wie diejenigen von Carboneras und Almeria. Zum Abschluss noch folgende zwei Fragen: Wie würdest du in der westlichen Hemisphäre die Wiederaneignung der Grundversorgungsmittel angehen? Welches sollten die ersten Schritte in diese Richtung sein? In einem Wort? Das wird schwierig sein. Eine Sache ist, sich die Waren im Supermarkt in sozialer Weise wiederanzueignen, Elektrizität und Wasser abzuzapfen. Eine ganz andere Sache ist, frei und umsonst Zugang zu natürlichem Wasser und zur Erde zu bekommen. Möglicherweise ist die Wiederaneignung auf soziale Weise, als individueller Akt oder im Rahmen einer politischen Kampagne eine erste Geste, die es ermöglicht, den Schritt in Richtung einer Forderung zu machen, um darauf hin zur Aneignung zu gelangen. Dies ist die einzige Möglichkeit, um das System der Lohnarbeit in Frage zu stellen, das uns zu Sklaven macht und auch den Weg frei zu machen, sich die Mittel der Grundversorgung wieder anzueignen: erst einmal die Wasserreservoirs, dann die Gärten an den Stadträndern - Schritt für Schritt.

* Ramon Germinal ist einer der Autoren des Buches «Agua, ? mercenaria o bien comùn?» hrsg. auf spanisch bei Alikornio, dessen Lektüre wir empfehlen.

Los Amigos de Ludd

Anti-industrielles Informationsblatt: «Die Initiative, dieses Informationsblatt herauszugeben, ist auf den Wunsch zurückzuführen, in den radikalen Kreisen die Reflexion über die Frage des Fortschritts auszulösen. Es ging darum, die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Problemen zu lenken, die bisher auf der Iberischen Halbinsel kaum Beachtung gefunden hatten.»

(Auszug aus dem Vorwort)

Eine neue Formulierung sowie die Vertiefung der Debatte über die anti-industrielle Kritik gewinnen in Spanien eine besondere Bedeutung, in einem Land, das sich so lange an die führenden Wagons des Kapitalismus angehängt hat. Die Amigos de Ludd berichten über den Widerstand des Volkes gegen die Entwicklung einer modernen Marktwirtschaft in Spanien bis zur Franco-Zeit. Diese Geschichte gibt Anlass zur Hoffnung, dass die konkreten und psychologischen Grundlagen für die Vorstellung von einer anderen Welt weniger tief begraben sind als in den früher modernisierten Ländern. Die Modernisierung schreitet auf der Iberischen Halbinsel derzeit blitzartig voran, der Konsens darüber ist stärker als anderswo. Dieses Informationsblatt versucht die Ursachen zu ergründen und gleichzeitig Anhaltspunkte für eine theoretische Antwort zu geben, die unerlässlich ist, wenn man konkrete Alternativen ins Auge fassen will.Seit der Veröffentlichung der im Verlag La Lenteur erschienenen Sammelbands sind einige Jahre vergangen. Die kleine Gruppe, die das Informationsblatt herausgab, existiert heute als solche nicht mehr.