Selbstverwaltung in RiMaflow

von Backe, 01.03.2019, Veröffentlicht in Archipel 279

Im November 2018 konnte die Räumung von RiMaflow, des grössten selbstverwalteten Projektes Italiens verhindert und eine Einigung mit der italienischen Grossbank UniCredit, der Eigentümerin der Fabrik, erzielt werden. Die Räumung ist bis Ende April aufgeschoben; RiMaflow soll einen neuen Standort in derselben Gemeinde erhalten. Dies ist für die Arbeiter·innen vorläufig ein Erfolg. Für sie ist entscheidend, dass ihr Projekt weiter besteht.

Von Maflow zu RiMaflow

Frühjahr 2009: 330 Arbeiter·innen sind in der Fabrik des internationalen Konzerns Maflow in Trezzano sul Naviglio beschäftigt, einem Ort der Industrieperipherie Mailands. Sie produzieren Rohre für Auto-Klimaanlagen. Die Auftragsbücher sind voll. Im Mai 2009 wird die Produktion aufgrund betrügerischer Insolvenz eingestellt. Die Übernahme durch einen polnischen Konzern endet mit dem Abtransport der Maschinen im Dezember 2012. Zahlreiche Aktionen konnten die erneute Schliessung nicht verhindern. Inspiriert von den Erfahrungen der besetzten Fabriken in Argentinien, überlegen einige Arbeiter·innen, sich die Fabrik anzueignen und sie sinnvoll zu nutzen. Es entsteht die Idee, sie für Recycling umzubauen. Im Januar 2013 besetzten zunächst 20 Arbeiter·innen das 3 Hektar grosse Gelände der Fabrik.

Die erste Phase der Besetzung stellte sie vor sehr komplexe Aufgaben: Einüben in Selbstverwaltung, Erwirtschaftung von Einkommen, Arbeiten an der Infrastruktur, Schaffung der Voraussetzungen für die Recycling-Produktion, Vernetzung mit der Umgebung. Mit der Gründung eines Vereins und einer Kooperative wird die Legalisierung von RiMaflow eingeleitet; nicht mit der klassischen hierarchischen Organisation, sondern in Selbstverwaltung: Alle Entscheidungen werden in der Vollversammlung getroffen. Widerständige Solidarität

Im Mai 2018 habe ich RiMaflow persönlich kennengelernt und bin tief beeindruckt, was dort entstanden ist. Im Jahr 2015 war das «Haus der gegenseitigen Hilfe» eingeweiht worden. Knapp 60 Arbeitsplätze in 33 Werkstätten waren entstanden: Tischlerei, Polsterei, Schlosserei, Kunsthandwerk, Reparatur von Fahrrädern, Computern und anderen Geräten mit einzelnen Handwer-ker·inne·n bzw. mit kleinen Kollektiven – ein Verbund der gegenseitigen Unterstützung. In einer Halle wurde das Recycling von Papier aus alten Tapeten experimentiert – mit selbst produzierten Maschinen. Eine gut funktionierende Kantine sowie eine kleine Likörproduktion waren entstanden.

2014 animierten sie die Entstehung von «Fuori Mercato- Autogestione in Movimento» (Ausserhalb des Marktes – Selbstver- waltung in Bewegung), einem nationalen Netzwerk von bäuerlichen und städtischen Projekten. RiMaflow wird zentraler Ort der Lagerung und des Vertriebs von «FuoriMercato». Mittlerweile sind 120 Arbeiter·innen in diesen weitverzweigten Bereichen aktiv und können, wenn auch bescheiden, davon leben. Die augenfälligen unglaublichen Entwicklungen von RiMaflow in diesen Jahren waren möglich, weil sich dort ein vielfältiges Kollektiv gebildet hatte: Frauen und Männer zwischen 25 und 70 Jahren, viele qualifizierte Hand-werker·innen und Arbeiter·innen, Migrant·inn·en, Gewerkschafts-aktivist·inn·en, linke Katholik·in-n·en mit jahrzentelanger Erfahrung: Reichtum der Diversität.

Vernetzungen

Diesem Reichtum nach Innen entspricht auch die Vielfalt der Vernetzungen, Kooperationen und gegenseitiger Hilfe, in die RiMaflow mittlerweile eingebunden ist: von «FuoriMercato» und dem libertären bäuerlichen Netzwerk «Genuino Clandestino» zu den GAS (ital. Food Coops), Libera (grosses linkskatholisches Netzwerk), der lokalen Kirchgemeinde, der Caritas und FIOM (linke ital. Metallarbeitergewerkschaft) und anderen Gewerkschaften. Nicht zu vergessen die internationalen Vernetzungen mit «Sem Terra» und den argentinischen Fabriken in Selbstverwaltung sowie dem europäischen Netzwerk der zurückeroberten Fabriken (u.a. Fralib und Vio.me). Vom 12.-14. April 2019 organisiert RiMaflow das 3. Vernetzungstreffen unter dem zentralen Thema: «Widerständige Solidarität».

RiMaflow ist in der Krise des italienischen Kapitalismus und seiner Unfähigkeit, die Lebensexistenz der Menschen zu garantieren, entstanden. Für die Arbeiter·innen ist klar: Selbstverwaltung alleine reicht nicht aus. Sie muss widerständig und konfliktbereit sein; vor allem dann, wenn sich selbstverwaltete Projekte nicht mit einer Nischenrolle bescheiden wollen. Wenn ein·e Unternehmer·in nicht mehr produzieren kann oder will, dann soll er/sie gehen. Den Arbeiter·innen sollte dann als Entschädigung für die erlittene Kündigung die Fabrik und die Maschinen überlassen werden. Dank ihrer Phantasie, Widerständigkeit und grossen Offenheit zur Kooperation lebt RiMaflow.

Absurde Vorwürfe

In den letzten Monaten wurden sie noch einmal auf eine harte Probe gestellt. Angeklagt der «Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zum Zweck des illegalen Handelns mit Abfällen» wurde der Direktor ihrer Kooperative, Massimo Lettieri, Ende Juli 2018 verhaftet. Ein absurder Vorwurf. Die Polizei sperrt die Halle der Recycling-Produktion; die Konten und Computer der Kooperative wurden beschlagnahmt. Die Arbeit der Kooperative ist blockiert. Sie kann keine Löhne auszahlen, Sozialbeiträge und Steuern abführen. Dazu kommen Rechtsanwaltskosten und Prozesskosten. Es entsteht ein grosser wirtschaftlicher Schaden, von mehr als 150‘000 Euro.

RiMaflow hat viel Solidarität erfahren. Aber um seine Existenz und die ihrer Arbeiter·innen auch in den nächsten schwierigen Monaten zu sichern, braucht es Unterstützung. Wenn ihr RiMaflow unterstützen wollt, unterschreibt die Solidaritätserklärung. Auf Deutsch findet ihr sie im Internet unter https:// rimaflow.it unter Firma e fai firmare l’appello.

Backe

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