Schweizer Pass für Kartoffelsorten ?

von Martina Widmer EBF, 10.12.2009, Veröffentlicht in Archipel 174

In der Schweiz konnten bisher Landsorten von Nutzpflanzen ohne größere rechtliche Einschränkungen angebaut, gezüchtet und verkauft werden. Wird die «Saatgut und Pflanzenverordnung» des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements wie geplant, strenger angewendet, so könnten bereits nächstes Jahr mehrere Gemüse- und Kartoffelsorten vom Markt verschwunden sein. Die in der Schweiz tätige Stiftung für die Erhaltung bedrohter Kulturpflanzen und Tierrassen, Pro Specie Rara (PSR), will mit der Kampagne «Vielfalt für Alle» eine breite Öffentlichkeit auf das drohende Sortensterben aufmerksam machen.

Obwohl die Schweiz klimatisch gesehen für Saatgutgewinnung vieler Pflanzen kein begünstigtes Land ist, entstanden in der Vergangenheit Betriebe, die den biologischen oder konventionellen Samenbau entwickelt haben und Initiativen, die sich für den Erhalt vom Aussterben bedrohter Nutzpflanzen einsetzen. Bisher galt die Schweiz als eines der führenden Länder beim Schutz der Vielfalt von Nutzpflanzen. So konnte zum Beispiel die Stiftung Pro Specie Rara eine große Vielfalt an Gemüse- und Kartoffelsorten problemlos in ihrem Sortenkatalog, auf Setzlingsmärkten und sogar über den Großverteiler Coop anbieten. Bisher vertraten die Schweizer Behörden bei der Interpretation des Artikels 29 der «Saat- und Pflanzengutverordnung» im Gegensatz zu den meisten EU-Ländern eine liberale Haltung. Sie stellten bei der Umsetzung der Verordnung eher die Erhaltung, Förderung und Verfügbarkeit der Vielfalt beim Saatgutangebot für den Kunden in den Vordergrund. Verbieten will die Schweiz künftig die Saatgutproduktion und den Handel mit alten und seltenen Sorten, welche ursprünglich im Ausland gezüchtet wurden. Viele dieser Sorten sind aber in der Schweiz über Jahrzehnte angebaut worden und haben unterdessen einen soziokulturellen Wert erhalten. Auch Lokalsorten, bei welchen nicht eindeutig belegbar ist, dass sie in einer Region der Schweiz entstanden sind oder welche nicht eindeutig als Lokalsorte bezeichnet werden können, sind von diesem Verbot betroffen.

Anfang 2009 erhielt PSR die Aufforderung, diejenigen Kartoffelsorten, welche in der Schweiz bereits im Handel sind oder noch in den Handel gebracht werden sollen, für die Erstellung einer «Schweizer Erhaltungssorten-Liste» anzumelden. PSR brachte 14 Sorten zur Anmeldung. 5 Sorten erhielten keine Bewilligung, da sie ihren Ursprung nicht in der Schweiz haben und in ihren Herkunftsländern noch vereinzelt auf Märkten zu finden sind. Die Schweiz verfügt streng genommen aber nur über eine einzige in der Schweiz gezüchtete und auch zugelassenen Sorte: die Blaue St. Galler. Diese Sorte ist interessanterweise das Resultat einer Kreuzung aus zwei ProSpecieRara-Sorten, die von den Sortenbetreuern während 25 Jahren erhalten werden durfte.

Die neue Haltung der Schweizer Behörden ist eine Reaktion auf das überarbeitete EU Saatgutverkehrsrecht, das 2008 in Kraft getreten und in der Schweiz im Rahmen der bilateralen Verträge nun zur Anwendung kommen soll. Dieses handhabt das Inverkehrbringen von Saatgut im EU-Raum weit restriktiver als bisher in der Schweiz üblich. Der Saatgutmarkt ist einer der am strengsten kontrollierten und reglementierten Märkte. Wenn die Schweiz die eigenen Gesetze dieser EU-Richtlinie angleicht (siehe auch Archipel Nr.169), müssen Sorten, die in die Kategorie Lokal- oder Landsorten fallen, auf eine spezielle Liste für ‚Erhaltungssorten’ eingetragen werden. Jedes Land kann für sich eine solche Liste erstellen und den Handel mit diesen Pflanzen in einem beschränkten Umfang erlauben. Eines der Probleme dieser Sortenliste ist, dass nur jene Sorten aufgenommen und nur mit jenen gehandelt werden darf, die ihren Ursprung im jeweiligen Land haben. Für die zugelassenen Sorten gelten sowohl geographische Einschränkungen als auch Mengenrestriktionen. Hier liegt nun das große Problem für die Sortenvielfalt. Für die Erhaltung einer Sorte ist die Regionalität nur ein Auswahlkriterium unter vielen anderen. Sorten haben nie an Landesgrenzen halt gemacht. Sie wurden immer über die Landesgrenzen hinweg gehandelt. Wenn dies nicht so wäre, könnten heute in der Schweiz nicht viel mehr als Erbsen und Pferdebohnen angebaut werden.

Bei vielen Gemüsearten wie Tomaten, Zucchini, Peperoni usw. sieht es beim Kriterium «Ursprung Schweiz» sehr schlecht aus. Der Ursprung der meisten Kulturpflanzen liegt darüber hinaus nicht nur außerhalb der Landesgrenzen, sondern sogar auf anderen Kontinenten. Wird das Kriterium der geographischen Einschränkung bei der Zulassung von «Erhaltungssorten» zur Anwendung kommen, würde das Angebot an alten, traditionellen Sorten bis auf einige wenige zusammenschrumpfen.

Die Schweiz hat 1992 die «Biodiversitätskonvention» unterzeichnet, die jedes Land dazu verpflichtet, die eigene Vielfalt an Pflanzen und Tieren zu bewahren. Bisher hat die Schweiz bei der Umsetzung dieser Konvention neben der Erhaltung auch die Nutzung der genetischen Ressourcen, ohne die Erhaltung eigentlich keinen Sinn macht, propagiert. Umso schwerer wird verständlich, weshalb nun gerade bei der Nutzung der Vielfalt Hindernisse in den Weg gelegt werden sollen.

Mit der Aktion «Vielfalt für alle», die als Reaktion auf die Nichtzulassung von mehreren Kartoffelsorten ins Leben gerufen wurde, möchte die Stiftung Pro Specie Rara, auf ein drohendes Sortensterben aufmerksam machen. Zur Zeit läuft eine Unterschriftensammlung (www.vielfalt-für-alle.ch) mit dem Ziel, das Interesse der Bevölkerung für die Erhaltung und wirtschaftliche Nutzung dieser Sorten zu bekunden sowie den Rücken der Vertreter von Pro Specie Rara zu stärken, die mit Vertretern des Bundesamtes für Landwirtschaft am Verhandeln sind, damit diese Richtlinien nicht in der vorgesehenen Fassung zur Anwendung kommen.