SCHWEIZ: Asylgesetz: ein Ausweg aus der Sackgasse?

von Yves Brutsch*, 14.08.2011, Veröffentlicht in Archipel 195

Zum ersten Mal seit dem ersten Asylgesetz von 1981 ist eine Sozialdemokratin Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Justiz und Polizei (EJPD) geworden. Die VertreterInnen einer menschlichen Asylpolitik warteten also gespannt auf die Vorschläge von Frau Simonetta Sommaruga, nachdem sie seit dreißig Jahren unzählige Verschärfungen des Asylgesetzes über sich ergehen lassen mussten.

Aber leider war die Hoffnung umsonst. Der neue Asylgesetzvorschlag ist identisch mit den vom damaligen «Flüchtlingsdelegierten» Peter Arbenz vertretenen Lösungen Ende der 80er Jahre: Er wollte damals die Schweiz vor einer «Invasion» retten und scheiterte schon wenige Jahre später kläglich. Ein «Dringlicher Bundesbeschluss» der Schweizer Regierung verlangte damals die Beschleunigung der Asylverfahren, aber er konnte dieses Vorhaben nicht umsetzen.
Frau Sommaruga versucht, den neuen Beschleunigungsvorschlag mit der Einführung einer juristischen Hilfe für die Asylbewerber zu verharmlosen. Aber ihre Überzeugungskraft scheint nicht sehr weit zu gehen. Ihr Bericht schlägt als sofortige Maßnahme eine «dritte Option» vor, was darauf hinausläuft, die Beschlüsse von Eveline Widmer-Schlumpf, ihrer konservativen Vorgängerin im EJPD, durchzusetzen (Verkürzung der Einsprachefrist, kein Asyl für Deserteure, Abschaffung der Asylanträge in den Botschaften, usf.). Gleichzeitig schafft sie den kleinen positiven Schritt ihrer Vorgängerin in der Botschaft vom 26. Mai 2010 ab: die Einsetzung einer noch nicht klar definierten Instanz für «juristische Hilfe». Ein schlechter Witz! Die Flüchtlinge riskieren bei einem Justizirrtum ihr Leben (man kümmert sich selten darum, welche Konsequenzen eine Abschiebung hat). Und es wäre heute eine absolute Notwendigkeit, endlich eine wirkliche Rechtsvertretung zu schaffen, wie diese in allen anderen Rechtsbereichen existiert, nur schon um sich gegen die zahlreichen Verschärfungen des Asylgesetzes wehren zu können (kein Zugang zum Dossier bis zum Abschluss des Verfahrens, immer häufigere Nichteintretensentscheide, usw.).
Dazu kommt noch, dass Frau Sommaruga glaubt, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben, mit einer völligen Zentralisierung der Asylverfahren in eidgenössischen Auffanglagern (mit Stacheldraht umgeben und möglichst weit weg von den städtischen Agglomerationen), deren Auftrag die Liquidierung von 80 Prozent der Anträge innerhalb weniger Monate wäre. Das Gleiche versuchte seiner Zeit schon Peter Arbenz mit dem «Verfahren 88» - ein Unsinn, der mit Hungerstreiks und Kirchenbesetzungen (Interlaken, Neuenburg) ein Ende fand. All das konnte nicht verhindern, dass die Asylanträge von 9.703 im Jahre 1985 auf über 40.000 in den Jahren 1990 und 1991 stiegen. Nebenbei sei noch bemerkt, dass Frau Sommaruga immer noch von einem Ansturm von Flüchtlingen fabuliert, obwohl heute viel weniger Anfragen vorliegen.
Peter Arbenz erhielt damals 150 zusätzliche Stellen, um die Situation zu meistern. Aber die Zentralisierung verschlang alle diese neuen Arbeitskräfte, weil die Bundesbehörden die Probleme der Unterbringung selber lösen wollten. So mussten die Verwaltungsstellen die Überprüfung der steigenden Anzahl von Asylanträgen mit gleichbleibendem Personalbestand bewältigen. Man kennt die Folge. Der christlichdemokratische Bundesrat Arnold Koller erhielt 1993 von der Nationalen Aktion (fremdenfeindliche, rechtsextreme Partei) Beifall, als er die Ausschaffungshaft vorschlug.
Werden Politiker eines Tages ihre Naivität verlieren und einsehen, dass Verhärtung und Repression keine wirkliche Lösung bringen? Alle beschlossenen Maßnahmen, um diese Ausschaffungen durchzuführen, konnten dieses Problem nicht bewältigen. Es bräuchte eine wirkliche Änderung des Paradigmas, die heute wieder nicht auf der Tagesordnung steht, auch wenn gewisse nachsichtige Kommentare gegenüber Frau Sommaruga das Gegenteil behaupten.
Die öffentliche Meinung müsste als erstes darüber aufgeklärt werden, dass das Asyl eine sehr edle Aufgabe ist, die viele Menschen vor schlimmsten Gewalttätigkeiten, die in so vielen Ländern herrschen, zu retten vermag. Man redet von «falschen Flüchtlingen». Aber wieso erhalten die Hälfte der Antragsteller Asyl oder eine provisorische Aufenthaltsbewilligung, obwohl doch eine äußerst , ,, betrieben wird? Seit über zwanzig Jahren wird uns vorgelogen, dass 90 Prozent der Bewerber missbräuchlich um Asyl ansuchen.
Die Aufnahme ist eine Last? Natürlich, denn Asylbewerber dürfen nicht arbeiten (obwohl man viele Schwarzarbeiter einreisen lässt für Arbeiten, die wir nicht mehr machen wollen). Asylsuchende werden an den Rand der Gesellschaft und so in die Kriminalität gedrängt. Dies muss geändert werden. Und so wird man sehen, dass sich diese Leute, die Menschen sind wie du und ich, problemlos integrieren werden. Sind die Tamilen, in den 1980er Jahren in der Schweiz als Heroinhändler abgestempelt, heute nicht die beliebtesten Arbeitskräfte in Restaurants und Hotels?
Was die Verfahren betrifft, wurde das Wichtigste schon gesagt. Man sollte ganz einfach auf die Regeln einer normalen Prozedur zurückkommen und den Asylbewerbern endlich Rechtshilfe gewähren, weil sie sich unmöglich selber verteidigen können. Alles würde sich von selbst einrenken, und die Verteidiger der Flüchtlinge wären nicht mehr gezwungen, ständig Einspruch zu erheben (was oft zum Erfolg führt), um ihren Schützlingen das Schlimmste zu ersparen. Und man weiß schon seit langem, dass die Ausführung der Ausschaffungen vor allem von den Ursprungsländern abhängig ist und weniger von den Abgewiesenen selber.
Die Verfahren unter gerechten Bedingungen zu beschleunigen, ist durchaus möglich. Den libyschen und syrischen Flüchtlingen kann zum Beispiel das Asyl in Wochenfrist gewährt werden: Ihre Situation ist viel schlimmer als jene der Tschechoslowaken 1968, die weder Massaker, kollektive Vergewaltigungen oder Folter zu fürchten hatten. Aber eigentlich sollte die grundsätzliche Frage geklärt werden: Will man das Recht auf Asyl heute überhaupt noch anwenden?

* Von 1985 bis 2010: Sprecher des kirchlichen «Centre Social Protestant», Genf, in Sachen Asylrecht.