LAUTSPRECHER: Von Bamako nach Dakar

von Dieter A. Behr, Wien, 12.01.2011, Veröffentlicht in Archipel 188

Die Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung
Einige hundert AktivistInnen aus westafrikanischen und europäischen Ländern bereiten sich seit einiger Zeit auf eine ganz besondere Reise vor: Von Ende Januar bis Mitte Februar des kommenden Jahres soll die «Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung» von Bamako, der Hauptstadt Malis, nach Dakar, der Hauptstadt Senegals ziehen, wo zu dieser Zeit das Weltsozialforum stattfinden wird.

Das Vorhaben wird von dem Netzwerk «Afrique-Europe-Interact» organisiert, das im Oktober 2009 gegründet wurde. Beteiligt sind AktivistInnen aus Mali, Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Hintergrund für die Idee, eine breit angelegte Karawane zu organisieren, war der Wunsch, transnationale Kooperationen zwischen antirassistischen Basisbewegungen in Afrika und Europa zu stärken und sichtbar zu machen. Denn angesichts der Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU, die allein im letzten Jahrzehnt an den Grenzen Europas zehntausende Tote gefordert hat (von Ceuta und Melilla über Lampedusa bis zu den griechischen Inseln), ist es unbedingt erforderlich, den transnationalen Widerstand zu koordinieren und zu vernetzen.
In Mali wird die Karawane im Wesentlichen von der AME (Association Malienne des Expulsés) organisiert. Diese Organisation betreut Betroffene von Abschiebungen nach ihrer Rückkunft nach Mali. Darüber hinaus ist die AME eine starke Stimme gegen die Externalisierung des europäischen Grenzregimes – und somit gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex – und für die Rechte von MigrantInnen. Ein weiteres wichtiges Ziel der AME ist die Förderung selbstbestimmter Entwicklungsperspektiven für Mali beziehungsweise für Afrika, vor allem im Bereich der bäuerlichen Landwirtschaft.
Bereits bei den letzten transnationalen Aktivitäten, die im Rahmen des NoBorder-Netzwerks organisiert wurden (z.B. bei den NoBorder-Camps in Brüssel oder auf der griechischen Insel Lesvos, sowie bei den Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm) konnte die Zusammenarbeit zwischen westafrikanischen und europäischen antirassistischen Gruppen gestärkt werden. Diese Kooperation soll nun mit der geplanten Karawane in die nächste Runde gehen.
Mali – allgemeiner Hintergrund
In vielen westafrikanischen Ländern ist die soziale Lage für große Teile der Bevölkerung hochgradig prekär. In Mali beispielsweise leben über 60 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, 33 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind unterernährt, gerade mal 50 Prozent der Menschen haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 53 Jahre, 75 Prozent der über 15-Jährigen können weder lesen noch schreiben. Die Gründe für derart desaströse Sozialindikatoren sind ausgesprochen vielschichtig: Neben der immer noch gewichtigen Erbschaft des Kolonialismus sind unter anderem folgende Problemkomplexe zu berücksichtigen: Erstens die neoliberalen seit den 1980ern lancierten Strukturanpassungsprogramme von Internationalem Währungsfonds und Weltbank, denen die bis heute ungelöste Verschuldungsproblematik nicht nur Malis zugrunde liegt; zweitens viele der im Rahmen des WTO-Prozesses mehr oder weniger erzwungenen Privatisierungen und Marktöffnungen (bereits seit Jahren wird zwischen Afrika und der EU um die Implementierung der so genannten EPAs/Economic Partner-ship Agreements gerungen); drittens die Agrarpolitik der EU und USA, insbesondere die Praxis der Exportssubventionen; viertens die in ihrem wahren Ausmaß noch überhaupt nicht abschätzbaren Konsequenzen des Klimawandels auf Afrika, vor allem auf die bäuerliche Landwirtschaft. Hinzu kommen (vermeintlich) interne Ursachen wie etwa die Instrumentalisierung staatlicher Macht zur persönlichen, oft klientelistisch organisierten Bereicherung seitens der politischen Eliten.
Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass etwa 25 Prozent der 12 Millionen MalierInnen als ArbeitsmigrantInnen außerhalb des Landes leben – in Westafrika genauso wie Europa. Wie bedeutsam die von ihnen jährlich zurückgeschickten ca. 300 Millionen Euro sind, zeigt ein simpler Vergleich: Die Summe beträgt weit mehr als die offizielle Entwicklungshilfe, ja sie macht sogar mehr als die Hälfte der Exporteinnahmen Malis aus. Um so katastrophaler ist es, dass die EU schon seit Jahren den Zuzug (nicht nur) afrikanischer MigrantInnen mit nahezu allen Mitteln einzudämmen versucht – denn erwünscht ist Migration nur, wenn dadurch ein gewisser Bodensatz an ökonomisch «nützlichen» und flexibel einsetzbaren Arbeitskräften bereitgestellt wird – unter anderem für die (südeuropäische) Landwirtschaft.
Gleichzeitig kommt das von der EU praktizierte Migrationsmanagement einerseits in immer repressiveren Gesetzen, Durchführungsbestimmungen und Überwachungstechnologien zum Ausdruck, andererseits in der ständigen Vorverlagerung des EU-Grenzregimes – z.B. an die malisch-mauretanischen Grenzübergänge.
Politische Ziele
Politisch verfolgt das Netzwerk Afrique-Europe-Interact mit der Karawane mehrere Ziele: Zuallererst soll ein Beitrag zur Durchsetzung der zivilen, politischen und sozialen Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen geleistet werden – insbesondere was das Recht auf globale Bewegungsfreiheit betrifft. Hierzu gehören nicht nur der Aufbau und die Weiterentwicklung transnational verankerter Kampagnen, zum Beispiel gegen Frontex, gegen Rückübernahmeabkommen oder gegen Abschiebungen. Nein, es geht auch darum, in Afrika über die konkrete Situation von Flüchtlingen und Papierlosen in Europa zu informieren. Einerseits um einen Beitrag zur besseren beziehungsweise realistischeren Vorbereitung zukünftiger MigrantInnen zu leisten, andererseits um beim Abbau von Vorurteilen gegenüber denjenigen zu helfen, die nach Afrika zurückgeschoben und dort von ihren familiären und sozialen Umfeldern als «Versager» stigmatisiert werden.
Das «Recht zu gehen» ist aber nur die eine Seite der Medaille. Nicht weniger bedeutsam ist das «Recht zu bleiben», also die Möglichkeit, zu Hause beziehungsweise im Herkunftsland ein Leben unter sicheren, würdigen und selbstbestimmten Bedingungen führen zu können. In diesem Sinne kooperiert Afrique-Europe-Interact auch mit sozialen Bewegungen, die sich gegen die neokoloniale Ausbeutung und Unterwerfung Afrikas zur Wehr setzen – ganz gleich, ob es sich um erzwungene Marktöffnungen und Privatisierungen handelt, um die Agrarpolitik der USA und der EU oder um den derzeit stattfindenden Ausverkauf afrikanischer Böden an westliche Konzerne, staatliche Investmentfonds oder transnationale Banken - Stichwort: Landraub.

Auf zur Karawane!

Der Großteil der 200 bis 300 TeilnehmerInnen der Karawane kommt aus Mali bzw. Senegal. Neben der AME werden AktivistInnen von 10 weiteren Vereinigungen teilnehmen, u.a. vom Mouvement des Sans Voix (MSV), das mit Betroffenen von Land-Vertreibungen zusammenarbeitet. Aus Europa werden ca. 50 AktivistInnen erwartet, u.a. von den Organisationen The Voice Refugee Forum, NoLager Bremen, dem Hamburger Flüchtlingsrat und dem Europäischen BürgerInnenforum.
Die Karawane wird mit mehreren Bussen unterwegs sein und an ca. einem halben Dutzend Orten entlang der Strecke Versammlungen mit der lokalen Bevölkerung abhalten. Geplant ist auch eine große Demonstration in Bamako und eine Aktion gegen Frontex in Dakar.
Mehrere Filmteams und JournalistInnen aus Mali sowie AktivistInnen von Radio Kayra (Netzwerk lokaler Radios) werden von der Reise berichten. Außerdem werden in Mali im Vorfeld der Karawane Informationsspots sowohl im Fernsehen als auch im Radio laufen.
Die Karawane ist aufgrund der großen Anzahl an TeilnehmerInnen mit prekärer finanzieller Lage dringend auf der Suche nach weiteren UnterstützerInnen. Aus diesem Grund sind Spenden sehr willkommen. Mehr Infos dazu finden sich auf
http://www.afrique-europe-interact.net/

Bankverbindung: Zusammenleben e.V.,
c/o J. Hackert, Betreff: Karawane
IBAN: DE 601203000000 11 50 50 96
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