Ausbeutung von Migrant·inn·en, Seuchen wegen Massentierhaltung, Vergiftung von Wasser und Böden, Zerstörung der natürlichen Ressourcen sind einige der Konsequenzen der sich zunehmend industrialisierenden Landwirtschaft. In der Schweiz können wir mit Petitionen, Volksinitiativen und zahlreichen weiteren zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten auf die gesetzlichen Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion einwirken.
So versucht die „Plattform für eine sozial nachhaltige Landwirtschaft“ (Agrisodu) seit mehr als 20 Jahren bessere Arbeitsbedingungen für landwirtschaftliche Angestellte einzufordern: zum Beispiel die Aufnahme der Landwirtschaft ins Arbeitsgesetz oder einen national einheitlichen Normalarbeitsvertrag (NAV). Doch der Bund, viele Kantone und vor allem der schweizerische Bauernverband stellen sich taub und erfinden immer wieder neue Argumente, um nicht zu agieren. Immerhin hat der Kanton Genf, als direkte Folge der Zusammenarbeit mit Agrisodu, die maximale wöchentliche Arbeitszeit auf 45 Stunden festgelegt. Hingegen wurde eine Interpellation im Parlament der Nationalrätin Meret Schneider, die auf die schlechten Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft hinwies, vom Bundesrat abgewiesen und im Parlament bis anhin vertagt.
Obwohl Lebensmittel ganz klar zu unseren wichtigsten Grundbedürfnissen gehören, wurden – und werden heute noch – die in der Landwirtschaft tätigen Menschen für ihren unentbehrlichen Einsatz nicht anerkannt. Trotz überdurchschnittlich langen Arbeitstagen sind die Löhne der Beschäftigten vielerorts tiefer als die anerkannten Minimallöhne und die Existenz vieler Bäuerinnen und Bauern auf ihren Höfen ist bedroht. Ein Grossteil unserer Nahrung geht durch die Hände von Menschen, die unwürdig behandelt werden und in Prekarität leben. Dabei müssen wir nicht nur an die oft geschilderten Situationen der Landarbeiter·innen denken, die hors-saison Gemüse in der Gegend von Almeria in Andalusien ernten oder diejenigen die Tomaten in Apulien pflücken. In fast allen Ländern Europas finden wir ähnliche unannehmbare Zustände.
In der Schweiz werden schätzungsweise 8000 Sans-Papiers in der Landwirtschaft beschäftigt, die nicht einmal einen minimalen gesellschaftlichen Schutz erhalten. Für die regulären Arbeitskräfte hat jeder Kanton seine eigenen Regelungen, die von Kanton zu Kanton stark variieren und für landwirtschaftliche Angestellte wöchentliche Arbeitszeiten bis zu 66 Stunden gestatten. Auch dies ist skandalös, denn viele landwirtschaftliche Tätigkeiten gleichen immer mehr industriellen Arbeitsrhythmen. Da auf Bundesebene die Verhältnisse blockiert sind, haben Agrisodu und das Bündnis „Widerstand am Tellerrand“ beschlossen, in den zwei grossen Kantonen Bern und Zürich, welche beide Arbeitszeiten von 55 Stunden vorsehen, eine Petition zu starten. Bessere Arbeitsbedingungen in diesen beiden Kantonen hätten eine Signalwirkung für andere Kantone.
Zwei Volksabstimmungen
Die Schweiz ist eines der Länder mit dem höchsten Pestizideinsatz pro Quadratmeter landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die Herstellung unserer Lebensmittel wird heute von der Agrarindustrie dominiert und von einer Landwirtschaftspolitik gefördert, die Grossbetriebe und somit Monokulturen sowie Massentierhaltung in immer grösseren Einheiten begünstigt.
Die bei dieser Produktionsweise eingesetzten Pestizide und Antibiotika gefährden nicht nur die Gesundheit von Bäuerinnen, Bauern und Landarbeiter·nne·n, sondern auch die der Konsumierenden von kontaminierten Lebensmitteln. In immer mehr Gemeinden werden Spuren von Pestiziden über der zulässigen Norm im Trinkwasser gefunden. Nun können Schweizer Bürger·innen im kommenden Juni über zwei Volksinitiativen abstimmen: «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» sowie «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz». Der Erfolg auch nur einer dieser beiden Initiativen würde wichtige Veränderungen in der Schweizer Agrarpolitik bewirken, die angesichts der Umweltzerstörung, des Verlustes der Artenvielfalt und Vergiftung der natürlichen Ressourcen mehr als notwendig sind! Zugegeben, beide Initiativen mögen durch ihre Radikalität schockieren und einige ihrer Aspekte sind in kurzer Zeit nur schwer umsetzbar. Jedoch erleben wir schon heute die schwerwiegenden Folgen der Priorisierung kurzlebiger Marktkriterien in der schweizerischen und europäischen Agrarpolitik. Sie geht zu Lasten der natürlichen Ressourcen und Ökosysteme unseres Planeten sowie der Gesundheit der Bevölkerung. Worauf warten wir also noch, um zu handeln und die Priorität wieder auf humanere Produktionsmethoden zu legen, die gute Lebensmittel für uns und auch für zukünftige Generationen garantieren? Eine breite Unterstützung der beiden Volksinitiativen, über die am 13. Juni schweizweit abgestimmt wird, wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung
Raymond Gétaz, Longo maï
PS: Ein Bogen der Petition für bessere Arbeitsbedingungen von landwirtschaftlichen Angestellten liegt der Schweizer Ausgabe des Archipel bei und kann auch auf hier heruntergeladen werden. Sie können diese Petition mit Ihren Freund·inn·en unterzeichnen, auch wenn Sie nicht in Zürich oder Bern leben.