LANDWIRTSCHAFT / SCHWEIZ: Für eine solidarische Landwirtschaft

von Sarah Schilliger, Soziologin, Bern, 10.03.2020, Veröffentlicht in Archipel 290

Begrüssungsrede zur Versammlung für eine solidarische Landwirtschaft am 7. und 8. Februar 2020 in Bern mit dem Titel: Widerstand am Tellerrand. Liebe versammelte Menschen, Es freut uns total, dass wir uns heute hier in einer so grossen Runde zusammenfinden, um gemeinsam Widerstand am Tellerrand zu leisten und uns für eine solidarische Landwirtschaft einzusetzen. Ein herzliches Willkommen! Wir sind nicht nur viele, wir sind auch sehr vielfältig, und das macht unsere Versammlung heute besonders spannend und stark. Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten und da ihren beruflichen Alltag haben – sei es als Bäuerinnen und Bauern, als Land-arbeiter·innen – oder Menschen, die sich sonst in ihrem Job mit dem Ernährungssystem beschäftigen. Es gibt auch welche hier, die sich in der Freizeit mit Landwirtschaft auseinandersetzen und sich in Freiwilligenarbeit zum Beispiel in Solawi-Projekten1 oder in Foodcoops2 einbringen. Und es sind Aktivist·inn·en hier aus verschiedenen Bewegungen – von der Klimajugend über die feministische Bewegung bis hin zu Engagierten für die Rechte von Migrant·inn·en. Und vielleicht gibt es auch Menschen, für die das Thema etwas neuer ist und die ganz einfach neugierig sind. Manche sprechen Deutsch, andere Französisch, Spanisch, Italienisch oder Rumänisch, manche leben in der Schweiz, andere sind von weither angereist, und nicht alle haben die gleiche Nationalität oder Aufenthaltsbewilligung. Entsprechend bringen wir alle unsere spezifischen Anliegen, Kenntnisse, Fragen mit und haben je eigene Visionen, wie wir eine sozial-ökologische Wende in der Landwirtschaft und in unserer Gesellschaft insgesamt erreichen können.

Über den Tellerrand hinaus

Diese Vielfalt ist wichtig. Es soll heute nicht darum gehen, «die eine richtige Lösung» zu finden. Vielmehr möchten wir uns aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit den bestehenden Problemen in der Landwirtschaft auseinandersetzen und in einen gemeinsamen Austausch kommen darüber, wie wir mehr Gerechtigkeit im gesamten Ernährungssystem erreichen können. Wir haben also heute auch die Gelegenheit, ein bisschen über unseren eigenen Tellerrand hinauszuschauen, andere Realitäten kennenzulernen, zu erfahren, was konkret von vielen engagierten Gruppen bereits gemacht wird und uns zu vernetzen. Natürlich gibt es vieles, was am aktuellen Ernährungssystem hoch problematisch ist. Unser Fokus heute liegt vor allem auf den ungerechten und ausbeuterischen Arbeits- und Lebensbedingungen, die auch in der Schweizer Landwirtschaft weit verbreitet sind. Diese soziale Ausbeutung ist eng gekoppelt an einen ausbeuterischen Umgang mit der Natur, in manchen Beiträgen und Workshops wird daher auch dieser Aspekt thematisiert werden. Dank unseren diversen Hintergründen können wir alle unser je spezifisches Wissen um diese Probleme heute einbringen und voneinander lernen. Diese Auseinandersetzung mit den bestehenden Problemen ist wichtig, kann aber auch lähmend wirken; was kann ich als einzelne Person schon machen, was bringt mein Engagement als Einzelperson, wenn das gesamte System hoch problematisch ist und jene, die politisch und wirtschaftlich an der Macht sind, dieses System stützen, da sie von ihm profitieren? Sicher kann es Mut machen, wenn wir das breite Spektrum an bestehenden Projekten und Ansätzen sehen, die auf eine sozial-ökologische Wende hinwirken und die je an einem spezifischen Rädchen im grossen Gesamtsystem Landwirtschaft schrauben. Wir werden nicht alle Probleme auf einmal lösen können. Doch hoffentlich wird der Tag reich sein an Austausch, viele Inspirationen bringen und uns ermöglichen, gemeinsam konkrete nächste Schritte zu planen. Sodass wir irgendwann in der Zukunft zurück blicken können auf den heutigen Tag und denken, dass dieser ein wichtiger Schritt war auf dem weiten Weg hin zu einem sozial-ökologischen Wandel in der Landwirtschaft und darüber hinaus.

  1. In der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) tragen mehrere private Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Durch den persönlichen Bezug zueinander erfahren sowohl die Erzeuger·innen als auch die Verbraucher·innen die vielfältigen Vorteile einer nicht-industriellen, marktunabhängigen Landwirtschaft.
  2. Eine FoodCoop (Lebensmittelkooperative) ist der Zusammenschluss von Personen und Haushalten, die selbstorganisiert biologische Produkte direkt von lokalen Bauernhöfen, Gärtnereien, Imkereien etc. beziehen.