KIRCHENASYL SCHWEIZ - Mutter und Kind abgeschoben

von Michael Rössler, 10.12.2019, Veröffentlicht in Archipel 287

Die Schweiz ist Champion bei Abschiebungen nach dem Dublin-Verfahren. Diese Tatsache steht in krassem Widerspruch zu dem humanitären Mäntelchen, das sich das Land regelmässig umhängt. Ganze Familien werden abgeschoben, manche dabei auseinandergerissen und auch besonders verletzliche Personen skrupellos ausgeschafft. So geschehen am 11. November 2019 in Luzern: Am helllichten Tag wurde eine 54-jährige Frau aus Tschetschenien auf offener Strasse angehalten und ihre 12-jährige Tochter aus der Heilpädagogischen Schule von Polizistinnen abgeholt, obwohl sich beide seit einem Jahr im Kirchenasyl der katholischen Pfarrei St. Leodegar befanden. Am nächsten Tag wurden Mutter und Tochter via Genf nach Belgien ausgeflogen, wo sie vor Jahren in Westeuropa angekommen waren. Die Frau war vor neun Jahren mit ihrer Tochter vor der Gewalt im Land und in ihrer eigenen Familie aus Tschetschenien geflohen und nach Aufenthalten in Belgien und Deutschland, wo sie aber kein Auskommen fand und ausserdem von Landsleuten aufgespürt worden war, in der Schweiz angekommen. Da die Schweizer Behörden nach dem Dublin-Verfahren ihre neuerliche Ausreise in das Erstankunftsland Belgien anordneten, sie dort aber mit ihrem bereits stark traumatisierten Kind auf der Strasse gelandet wäre, erklärte sich die Pfarrei in Luzern bereit, ihr Kirchenasyl bis zum Ablauf der Frist zu gewähren, nach der sie einen Asyl-antrag hätte einreichen können. Drei Tage vor Ablauf dieser Zeit griffen die Behörden zu. Verhaftung und Ausschaffung waren unter Geheimhaltung minutiös geplant und durchgeführt worden. Die Frau und ihr Kind konnten nicht einmal ihre Sachen packen, sondern Mitglieder der Pfarrgemeinde mussten unter Zeitdruck deren Dinge zusammensuchen, da sie sonst ohne Gepäck hätten reisen müssen. Nach der Ausschaffung standen sie in Brüssel dann mit ihren improvisierten Taschen und Säcken auf der Strasse, ohne zu wissen, wohin sie sich hätten wenden können. Anstatt sich an Frauen und Kindern zu vergreifen und diese wie Schwerverbrecher·innen zu behandeln, sollten sich die Behörden besser um die Bekämpfung von wirklichen Kriminellen kümmern, inklusive von denjenigen mit weissem Kragen.

Unter Schock

Die Luzerner Kirchen und die Unterstützer·innen der Geflüchteten stehen unter Schock. Die Mutter und ihr Kind waren nicht versteckt, sondern wurden offen in den Räumlichkeiten der Pfarrei beherbergt. Das Kirchenasyl, das nur in grossen Ausnahmefällen erteilt wird, sollte dazu dienen, mit der Regierung des Kantons Luzern eine menschlich vertretbare Lösung für die Zukunft der Tschetscheninnen zu finden. Doch die rechtslastige Regierung verweigerte jeglichen Dialog. Nun hat sie nicht nur die jahrhundertalte Tradition des Kirchenasyls verletzt, sondern auch zwei wehrlose schutzsuchende Menschen in Unsicherheit und Elend zurückgestossen. «Was gewinnen Sie dadurch? Meinen Sie wirklich, so dem Gesetz Nachachtung verschaffen zu können? Wo bleibt dabei die Achtung vor dem Menschen?» Diese Fragen stellt das Europäische BürgerInnen Forum in seinem Brief an die Kantonsregierung, ohne grosse Hoffnung, eine befriedigende Antwort zu erhalten. Doch die Verantwortlichen bekommen zumindest einen Spiegel vorgehalten. Wer weiss, vielleicht packt sie eines Tages das Grauen ob ihrem Tun und sie finden zu humaner Einsicht. Der Brief endet mit folgender Aufforderung: «Wir appellieren an Ihre Menschlichkeit und Ihre Vernunft, den Dialog mit der Kirche aufzunehmen und eine einvernehmliche Lösung für die Rückkehr von Mutter und Tochter zu suchen.» Noch unter Schock haben Vertreter·innen der Kirche in Luzern und Sympathisierende gegen das Vorgehen der Behörden protestiert und mobilisiert. Inzwischen konnten sie eine Petition mit 4‘000 Unterschriften, die in nur sieben Tagen zusammen gekommen waren, an den Regierungsrat einreichen.1 Die Übergabe fand, im Beisein von 150 Menschen, am 20. November statt, dem Tag der Kinderrechte. Nicola Neider, die Leiterin des «Bereichs Migration/Integration der Katholischen Kirche Stadt Luzern» erklärte: «Auch die Schweiz hat die UNO-Kinderrechtskonvention unterschrieben.» Darin heisse es unter anderem: «Dem Kind, welches um den Flüchtlingsstatus nachsucht, ist ein besonderer Schutz zu gewähren.»

  1. https://www.kath.ch/newsd/4000-unterschriften-gegen-zwangsausschaffung-uebergeben

Die Verletzung des Kirchenasyls durch die Luzerner Behörden ist ein negativer Präzedenzfall für die ganze Schweiz. Das EBF und der Freundeskreis Cornelius Koch protestieren gemeinsam dagegen. Auszüge der Ansprache von Nicola Neider aus Luzern finden Sie hier. Protestieren Sie bitte auch und unterzeichnen Sie den Musterbrief oder schreiben Sie persönlich an den Regierungsrat des Kantons!