Iuventa – Lebensrettung unter Anklage

von Die Besatzung von Iuventa, 01.04.2019, Veröffentlicht in Archipel 280

Das Rettungsschiff «Iuventa» der deutschen Flüchtlingshilfeorganisation «Jugend Rettet», das im Juli 2016 in See stach, wurde am 2. August 2017, nachdem es über 14‘000 Migrant·inn·en im Mittelmeer gerettet hatte, in Lampedusa «präventiv» von den italienischen Behörden beschlagnahmt, um «mögliche Straftaten» zu verhindern. Gegen zehn Besatzungsmitglieder wird heute wegen Unterstützung und Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt.

Trotz der Tatsache, dass alle unsere Operationen unter voller Einhaltung des Seerechts durchgeführt und vom italienischen MRCC Rom (Maritime Rescue Coordination Centre, betrieben von der italienischen Küstenwache) koordiniert wurden, stellte sich heraus, dass schon seit Ende 2016 gegen die Iuventa und ihre Besatzung ermittelt wurde.

Beschlagnahme

Die Untersuchung, die zur Beschlagnahmung führte, wurde durch die Augenzeugenberichte zweier Sicherheitsmitarbeiter an Bord eines anderen NGO-Schiffes angestossen. Diese Informanten sind mit dem Umfeld der rechtsextremen Identitären Bewegung und der rechtsextremen Partei der Lega verbunden. Der Bericht über vermeintliche «Auffälligkeiten» in unseren Operationen ging jedoch unmittelbar an AISE, den italienischen Auslandsnachrichtendienst. Obwohl die Berichte voller Wiederholungen sind, die sich in erster Linie aus den persönlichen Meinungen der Zeugen zusammensetzen, reichte dies aus, um die Ermittlungen und die Überwachung unserer Tätigkeiten zu legitimieren. Zu einem späteren Zeitpunkt der Untersuchung wurde ein Undercover-Agent auf demselben NGO-Schiff platziert, um weitere potenzielle Beweise zu sammeln. Letztendlich können wir nur feststellen, dass die «Beweise» in dieser Untersuchung völlig substanzlos sind. Die Anschuldigungen stützen sich auf Unwahrheiten und widersinnige Aussagen, wichtige Kontext-Informationen werden ausgelassen, klare Beweise fehlen. Indessen verlässt der Bericht sich oft auf persönliche und subjektive Meinungen statt auf tatsächliche Fakten. Darüber hinaus sind selbst die aus diesen Beobachtungen gezogenen Schlussfolgerungen oft widersprüchlich oder schlicht falsch.

Falsche Anschuldigungen

Das von den Informanten gesammelte Material lieferte nicht nur die Grundlage für die Beschlagnahme des Schiffes, sondern auch für die Erschaffung eines Narrativs: Die Iuventa-Crew soll Hand in Hand mit Schmugglern und dem organisierten Verbrechen gearbeitet haben. Diese so genannten «Beweise» wurden bereits vor der Beschlagnahmung an die Presse weitergegeben, um eine Hetzkampagne gegen die Iuventa und andere Search and Rescue (SaR)-NGOs zu forcieren. Die Beschlagnahmung diente als Grundlage für einen Publicity-Stunt, in dem der Fall Iuventa in den Medien politisiert wurde und zu einer Bandbreite öffentlicher Diskussionen über die gegen uns erhobenen, grundlosen Anschuldigungen führte. Mit medialen Schauprozessen wurde Druck auf unsere Unterstützer·innen ausgeübt, an unserer Arbeit zu zweifeln, und ebenso ein allgemeiner Angriff auf die Reputation von NGOs gestartet, die in der Such- und Rettungszone arbeiten. Wir wiederholen daher auch hier unsere Stellungnahme gegen diese falschen Anschuldigungen. Wir haben NIE mit Menschenhändlern in irgendeiner Form zusammengearbeitet und wir verurteilen ihr skrupelloses Geschäft entschieden, das die Gefährdung und den Tod von Menschen in Kauf nimmt, mit dem einzigen Ziel, aus dem Leiden Geld zu machen. Die Ermittlungen, ohne jegliche Beweise für die Anschuldigungen, zeichnen sich durch einen Mangel an Professionalität aus. Es kann festgestellt werden, dass das Hauptziel der öffentlichen Beschlagnahme unseres Schiffes und dieser falschen Behauptungen die Kriminalisierung aller SaR-NGOs im Mittelmeer ist. Es spiegelt einen ähnlichen Fall aus dem Jahr 2004 wider, in dem das Schiff der NGO «Cap Anamur» nach einer Rettung von 37 Personen beschlagnahmt und die Crew kriminalisiert wurde. Fünf Jahre später wurden alle Anklagepunkte aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Das Image von Cap Anamur war jedoch bereits stark beschädigt und das Gerücht gesät, dass NGOs in Menschenschmuggel verwickelt seien.

Strafrechtliche Ermittlung

Insgesamt wird gegen 24 Such- und Rettungskräfte wegen der Unterstützung und Beihilfe zur illegalen Einwanderung nach Italien ermittelt. Zehn davon waren Besatzungsmitglieder an Bord des Rettungsschiffes Iuventa. Die Beschlagnahme der Iuventa im August 2017 erfolgte inmitten eines schon seit langem andauernden Medienkriegs gegen NGOs, der den Grundstein für die Wahlkämpfe der italienischen Rechten bildete. Die Bekanntmachung der behördlichen Ermittlungen erfolgte im Juni 2018, kurz nach der Wahl dieser Parteien in die Regierung, und deren Beschluss, italienische Häfen für Schiffe, die gerettete Migrant·inn·en befördern, zu schliessen. Der neu eingesetzte Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega hat wiederholt die Beschlagnahme aller NGO-Rettungsschiffe – unter unverfrorener Verletzung des Völkerrechts – und die Verfolgung ihrer Besatzungen gefordert. «Wenn wir uns vor Gericht verantworten müssen, weil wir diese Menschen gerettet haben, hat Europa einen politischen und moralischen Tiefpunkt erreicht. Sollte es sich als Verbrechen erweisen, Leben zu retten, dann stehe ich auf der richtigen Seite der Anklagebank», sagt Kathrin Schmidt, Missionsleiterin von Iuventa.

Was wir zwischen Juli 2016 und August 2017 – dem Zeitrahmen, der für diese Untersuchung von Bedeutung ist – getan haben, war die Rettung und Unterstützung von über 14‘000 Menschen in Seenot. Heute drohen uns bis zu 20 Jahre Gefängnis. Wir akzeptierten nicht, dass Menschen unbemerkt im Massengrab Mittelmeer verschwinden. Wir waren Augenzeuginnen, Reporter und sicherer Hafen für zehntausende Menschen. Alle Personen im Fokus der Staatsanwaltschaft waren entweder direkt an der Rettung von Menschen auf und im Wasser oder an der Koordination von diesen Rettungseinsätzen beteiligt. Diese Operationen wurden jederzeit allein durch das zuständige MRCC in Rom (Maritime Rescue Coordination Center) genehmigt und koordiniert. Die Iuventa-Besatzungen arbeiten seit jeher in strikter Übereinstimmung mit dem internationalen und maritimen Recht. Indem das italienische Antimafia-Gesetz als Rechtsgrundlage gegen uns verwendet wird, versucht die Staatsanwaltschaft, sowohl das Völkerrecht als auch die Genfer Konvention zu überschreiben. Was vor uns liegt, ist ein Marathon – kein Sprint. Wir gehen davon aus, dass das Gerichtsverfahren zwischen drei und vier Jahren dauern wird und die Gerichtskosten insgesamt 500‘000 Euro betragen werden. Wir solidarischen Kräfte – Vertreter·innen der Zivilgesellschaft – sind der letzte verbleibende Riss im Gefüge der Festung Europa.

Unsere blosse Anwesenheit stellt eine Gefahr dar, die es offensichtlich zu beseitigen gilt. Im Verlauf des Jahres 2018 wurden Anschuldigungen wegen Schlepperkriminalität gegen Helfer·in-nen in Lesbos, tunesische Fischer, italienische Bürgermeister, französische Bauern, eritreische und Schweizer Priester, gegen eine Schweizer Parlamentarierin und 24 Rettungskräfte von vier NGOs erhoben. Zuvor wurden zwischen 2015 und 2017 vom Institute of Race Relations insgesamt 26 Fälle von 45 Personen aus ganz Europa gemeldet, die aufgrund von solidarischem Handeln kriminalisiert wurden. Das hier dargestellte grundlegende Unrecht betrifft nicht ausschliesslich die Kriminalisierung von privilegierten Europäer·inne·n und NGOs. Weitaus wichtiger als das, sprechen wir im Namen derer, die der Menschenrechte beraubt sind, die weiterhin tagtäglich bei dem Versuch, auf der Suche nach Schutz, das europäische Festland zu erreichen, sterben. Es steht uns nicht zu, die Beweggründe ihrer Suche nach Zuflucht zu hinterfragen, während ihr Leben in unmittelbarer Gefahr ist. Es war und bleibt die Verantwortung von uns allen, Menschenleben zu retten, wann immer es möglich ist, Schutz zu bieten, wo er benötigt wird, und jedem Menschen mit Würde und unter Berücksichtigung der universell geltenden Menschenrechte zu begegnen.

Die Besatzung von Iuventa