Illegalisierte Frauen im Streik

von Anne-Leïla Ollivier (Paris, Juni 2008), 26.10.2010, Veröffentlicht in Archipel 162

Der Kampf illegalisierter Frauen ist nichts Neues. Diese sind in den Kollektiven der Sans Papiers («Papierlosen») organisiert und haben bereits harte Streiks durchgeführt, wie etwa die Angestellten der Gruppe ACCOR 2002. Auch dieses Jahr sind sie im Zuge der seit April in Paris und Umgebung stattfindenden Streiks mit dabei, und das an allen Fronten.

Streik der Papierlosen

Am 15. April 2008 traten «papierlose» Arbeiterinnen und Arbeiter aus Paris und Umgebung in den Streik und besetzten ihre Arbeitsstellen, um ihre Regularisierung und die gleichen Rechte wie die anderen LohnempfängerInnen zu fordern. Anfang Mai waren sie 600. Von den 1000 Anträgen auf Aufenthaltsgenehmigung waren 70 - zum Teil provisorisch – positiv beantwortet worden. Am 20. und 21. Mai begann eine zweite Streikwelle von 400 ArbeiterInnen an etwa 20 Orten (Restaurants, Reinigungs- und Bauunternehmen). Seit Anfang Mai besetzen mehrere Hundert Arbeiter die Arbeitsbörse bei der Place de la République. Auf den Champs Elysées sind sechs Restaurants besetzt, Transparente und rote Fahnen sind gut sichtbar für die Touristen, welche manchmal die ausgelegten Petitionen unterzeichnen. Manche Chefs sind sehr aggressiv, weil die Besetzungen zu großen Gewinnverlusten führen. Gleichzeitig traten Dutzende von Papierlosen, die in mehreren Abschiebelagern in ganz Frankreich auf ihre Ausweisung warten, in einen Hungerstreik, um ihre Freilassung und Regularisierung zu erreichen.

Der Kampf kann dauern. Der französische Präsident Sarkozy hat angekündigt, dass es keine kollektiven Regularisierungen mehr geben werde, doch genau das fordern die Kollektive der Sans-Papiers seit über 10 Jahren.

Die Vereine Femmes Egalité und Droits Devant haben im April eine kollektive Eingabe von 90 Frauen gemacht, die bisher allerdings noch kein Ergebnis gebracht hat. In der Rue du Chemin vert 138 in Paris besetzen acht Angestellte eines Reinigungsunternehmens seit dem 23. Mai das Büro ihres Arbeitgebers Ma Net.

Als sie am 23. Mai ihren Streik begannen, waren die Frauen von Ma Net zu dritt. Bald schlossen sich ihnen vier weitere Kolleginnen und ein Kollege an - alle am Rande ihrer Kräfte aufgrund ihrer untragbaren Arbeitsbedingungen. Die Idee zu der Besetzung kam von Kani, einer jungen Frau afrikanischer Herkunft, die Mitglied in der Gewerkschaft CGT ist und nicht weit von dem Restaurant «Chez Papa» wohnt. Sie drängte ihre Nachbarin, Reinigungskraft bei Ma Net, zum Streik: «Die Sans Papiers treten aus dem Schatten heraus, das ist DER Zeitpunkt für euch, jetzt oder nie, ihr müsst es so machen wie die anderen».

Von der Besetzungswelle ermutigt, wagten sechs Malierinnen, eine Haitianerin und ein Senegalese als einzige von 150 Angestellten den Schritt, ohne sich von den Drohanrufen ihres Chefs einschüchtern zu lassen. Die anderen trauten sich nicht, sich ihnen anzuschließen. Wie bei der Mehrheit der aktuellen Streiks setzt sich auch hier das Unterstützungskomitee aus der Lokalunion 11 der CGT sowie verschiedenen Vereinen zusammen. Die Streikenden befinden sich alle in den Büros der Firma und verbringen dort Tag und Nacht. Unterstützt werden sie von AnwohnerInnen, die vorbeikommen und ihnen Mut machen. Aktivistinnen und Aktivisten sind ständig im Einsatz und überzeugen PassantInnen, eine Petition zu unterzeichnen. Der Chef hat am ersten Abend die Polizei gerufen, die wieder umkehren musste. Nun bedient er sich anderer Mittel, um die Streikenden in die Knie zu zwingen: Ab dem ersten Tag wurden neue Reinigungskräfte eingestellt, um die alten zu ersetzen; die Streikenden werden Tag und Nacht mit Drohungen und Beleidigungen attackiert und mit Raumspray eingenebelt.

Die Streikenden arbeiten seit einigen Monaten oder Jahren bei Ma Net und üben dort eine ermüdende und risikoreiche Arbeit (Arbeitsunfälle, Übergriffe von Kunden…) unter miserablen Bedingungen aus: «Wir werden nicht per Stunde, sondern pro Raum bezahlt. Was das bedeutet? Man gibt dir neun Räume. Selbst wenn du den ganzen Tag dort schuftest, du kriegst nur neun Räume bezahlt, und es werden dreieinhalb Zimmer pro Stunde bezahlt. Das heißt, für neun Zimmer hat man nicht mal drei Stunden Zeit, aber du verbringst den ganzen Tag im Hotel (…). Laut ihnen, laut Vertrag, braucht man dafür 2,5 Stunden. Man muss mal ein Zimmer saubergemacht haben um zu verstehen, was das heißt: Man muss das Bett machen, das Badezimmer putzen, staubsaugen, die Möbel abstauben, die Fußleisten reinigen, all das. (...) In Wirklichkeit muss man 40, 45 Minuten pro Zimmer rechnen, oder sogar mehr». Die Löhne der Angestellten bei Ma Net sind jeden Monat unterschiedlich: Häufig werden Teilzeitverträge zu 78 Stunden vergeben, aber die Arbeitsstunden schwanken je nach Nachfrage. Die Frauen werden nach Zimmern bezahlt, und die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden werden nie komplett vergütet, ganz zu schweigen von den Überstunden. Auf diese Weise verdienen die Frauen bei Ma Net 600, 400 oder 250 Euro im Monat, je nach gearbeiteten Stunden und nach Gutdünken des Chefs. Dieser hat die Eigenschaften des perfekten Sklaventreibers. Zwei der Streikenden, von denen eine seit Januar verletzt ist, existieren für Ma Net schlichtweg nicht. Die Firma gibt an, die beiden noch nie gesehen zu haben. Die Sozialbeiträge werden entsprechend der Lohnzettel abgebucht, erreichen die Staatskassen jedoch nicht. Ausgebeutet und eingeschüchtert wie sie sind, wissen die Angestellten bei Ma Net, dass sie nur mit dem Stück Papier, das ihnen fehlt, die Chance auf eine Arbeit unter besseren Bedingungen haben. Keine von ihnen stellte sich vor, in Frankreich eine solche Situation vorzufinden, als sie ihre Länder verließen. Maryam hatte beschlossen, vor einer Zwangsheirat zu fliehen, Kané Fanta hat sich von ihrem Ehemann getrennt, der ihre drei Kinder behalten hat, Toumane konnte von seiner Arbeit als Bauer nicht mehr leben und ist per Boot gekommen, Madame Baptiste ist vor den Verfolgungen in dem verwüsteten Haiti geflohen. In Paris wohnen sie bei einer Freundin oder einem Elternteil oder zu mehreren in einem Zimmer in einer Massenunterkunft, oder sie haben in leer stehenden Häusern, der Metro oder der Nachtnotschlafstelle übernachtet. Trotz der lächerlichen Löhne gelingt es allen 50, 100 oder 200 Euro nach Hause zu schicken, der wichtigste Kostenpunkt in ihrem Budget, über den alle sagen: «Ach, das muss sein!» Ihre Mission zu verletzen und kein Geld an die zu senden, die in ihren Ländern auf sie angewiesen sind, ist für sie undenkbar.

«Wir haben vor, ein Jahr lang zu streiken»

Heute drücken die Gesichter der Streikenden, gezeichnet von den Schwierigkeiten ihrer Lebensbedingungen, auch eine scheinbar unerschütterliche Entschlossenheit aus. Sie bereiten sich auf einen Kampf vor, der einen langen Atem erfordert: «Wir haben vor, unsere Besetzung ein Jahr lang aufrecht zu halten, und wenn wir dann immer noch nichts haben, werden wir wohl die Taktik ändern» , erklärt Toumane. Aber ihr Kampf hat sich bereits gelohnt: Am Mittwoch, den 4. Juni, wurden zwei der acht Streikenden zur Präfektur gerufen, um eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Mit einem großen Lächeln im Gesicht, das den Stolz über den geführten Kampf ausdrückt, sind Toumane und Awa jedoch nach wie vor an der Seite ihrer Kameradinnen – nicht einen Moment haben sie daran gedacht, die anderen allein weitermachen zu lassen. Am Samstag, den 7. Juni, organisierten die Streikenden ein gemeinsames Essen in ihrem Stadtviertel, die Teller wurden auf dem Bürgersteig herumgereicht. Xavier, Aktivist des Lokalunion 75, der die Kämpfe von Anfang an begleitet, ist zufrieden: Die Arbeitsaufsichtsbehörde ist diese Woche vorbeigekommen, und für den Chef wird es schwierig werden: Am Tag nach Beginn des Streiks hatte dieser bereits Ersatzpersonal für die Streikenden eingestellt, was laut Gesetz streng verboten ist. «Im Moment konzentrieren wir uns auf die Regularisierung und den administrativen und politischen Aspekt der Sache. Aber danach wird die CGT der Ma Net auch in Bezug auf die Entlohnung, die Arbeitsverträge, die Arbeitsbedingungen, den Zwang zur Teilzeitarbeit etc. im Nacken sitzen… Es gibt überhaupt keine gewerkschaftliche Vertretung bei der Ma Net, dabei müsste es einen Betriebsrat und gewählte Vertreter aus dem Personal geben. Wir lassen nicht locker».

Porträts

Awa Doumia: " Ich war Sportlerin; spielte im französischen Stadion von Bamako. Ich bin es, die meine Familie unterstützt; dafür bin ich hergekommen. Seit ich in Frankreich bin, gehe ich putzen. Ich verdiene nicht genug, um meine Familie zu unterstützen, aber das Wenige, was ich bekomme, teile ich mit ihnen. Mein Monatslohn beträgt 489 Euros und 70 Cent. Ich schlafe bei einer Freundin und davor habe ich einen Monat lang in der U-Bahn geschlafen. Wir haben gestreikt, um Papiere zu bekommen – ich glaube, das ist normal. Danach werde ich, glaube ich, besser leben. Ich könnte eine bessere Arbeit haben und etwas mehr Geld."

Madame Baptiste: "Ich komme aus Haïti. Dort wurde ich verfolgt und von Banditen und der Polizei geschlagen. Ich wurde bedroht. Mein Ansuchen um politisches Asyl hier wurde abgelehnt. Seit drei Jahren arbeite ich bei Ma Net. Wir haben nie den gleichen Lohn, das ändert sich die ganze Zeit. 200, 300 Euros. Ich lebe mit meinem Partner; allein käme ich nicht durch. Ich setze große Hoffnung in den Streik. Ich bin Arbeiterin wie die anderen. Ich erwarte etwas, um leben zu können."

Traoré Mariam: "Ich habe mein Studium wegen einer Zwangsheirat abgebrochen. Als ich es nicht mehr aushielt, bin ich aus Senegal geflüchtet. Meine Mutter hat mir Geld geschickt, um hierher kommen zu können. Das war vor drei Jahren. Ich habe keine Arbeit gefunden, weil ich keine Papiere habe. Ich habe bei mir Leute frisiert, in einem Salon gearbeitet, in einem Heim und dann in Reinigungsagenturen. Der Betrieb Ma Net hat mich vor bald einem Jahr mit einem falschen Ausweis akzeptiert. Sie bezahlen mich für drei Stunden am Tag, obwohl ich täglich sieben oder acht Stunden arbeite. Mein letzter Lohn betrug 366 Euro. Ich gebe jeden Monat meinen Eltern und der Freundin, bei der ich wohne, etwas. Mein Verlobter hilft mir für das Telefon, die Transportkosten, meine Kleidung. Ich war es, die meine Kolleginnen zum Streik aufgerufen hat. Es kann so nicht weitergehen. Wir wollen wie die anderen leben, weil wir die Versicherung und die Steuern wie sie bezahlen. Sie behandeln uns wie Sklaven. Kani hat mir die Leute von «Chez Papa» und der Gewerkschaft CGT vorgestellt. Sie haben mir erklärt, wie man streikt und gesagt, dass sie mir helfen können, also habe ich meine Kollegen gerufen. Am Anfang waren wir zu dritt. Am nächsten Tag waren wir acht. Die Angestellten erhielten Drohungen. Seit Beginn des Streiks beschimpft uns ein Teil der Kollegen. Der Bruder unseres Chefs auch. Er denkt, er kann uns so den Mut nehmen. Als Malierin lässt man sich aber nicht entmutigen. Wir bleiben hier, bis wir unser Ziel erreicht haben."