GRIECHENLAND: Der Aufstand geht weiter

von Cathy Gosselin Radio Zinzine, 13.06.2011, Veröffentlicht in Archipel 171

Über die ganze Welt verbreiteten sich die Nachrichten von den massiven Revolten in Griechenland im Dezember 2008. Der tödliche Angriff der Polizei auf einen 15-jährigen Jugendlichen war der Auslöser für die Aufstände in mindestens fünfzehn großen Städten. Dabei kam es zu Angriffen auf Polizeikommissariate, zu Attacken auf Bankfilialen, Plünderungen von Einkaufszentren und Luxusgeschäften. Hunderte Gymnasien und Universitäten wurden ebenso besetzt wie Rathäuser und Präfekturen, Radio- und Fernsehsender, Theater und Gewerkschaftszentralen…

Selbst wenn die grossen Medien nicht mehr über die Ereignisse berichten, geht die Aufstandsbewegung in Griechenland weiter. Es ist noch zu früh, um diese Revolte, die breite Kreise und verschiedenste Schichten der Gesellschaft ergriffen hat, wirklich analysieren zu können. Die folgende Zusammenstellung soll zumindest dabei helfen, die Leserinnen und Leser des Archipel über die letzten Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Die Informationen stammen aus dem unabhängigen Mediennetzwerk Indymedia (gesammelt bis zum 1. April 2009, dem Tag vor dem Generalstreik und zusammengefasst von Cathy Gosselin).

Im Januar wurden die Universitäten und Gymnasien wie auch die Wassergesellschaft von Thessaloniki aus Protest gegen deren Privatisierung und die landläufige Korruption, das Büro der Journalistengewerkschaft sowie die Nationaloper erneut besetzt. Das Motto war: «Die Straße ist unsere Bühne, die Revolte unsere Kunst» . Der grauenhafte Anschlag eines vom Staat besoldeten Faschisten auf die am Streik beteiligte Gewerkschaftsführerin Konstantina Kouneva, die er mit Schwefelsäure begoss, hatte zahlreiche Aktionen zur Folge. Viele solcher brutalen Gestalten wurden auf Seiten der Polizei gesehen. Zur Vergeltung brannte es Anfang März in einem Zug der Eisenbahngesellschaft «ISAP», dem Arbeitgeber von Konstantina; ein Bahnhof und Büroräume wurden besetzt und Fahrkartenautomaten beschädigt. Auch die staatliche Elektrizitätsgesellschaft wurde besetzt.

Große Einzelhandelsketten und Luxusgeschäfte waren das bevorzugte Ziel von Brandattacken und anderen Maßnahmen der Revoltierenden. Nach den Angriffen auf bestimmte Lebensmittelläden wurden an die gerade anwesenden Kunden Nahrungsmittel verteilt. Im Januar und Februar demonstrierten die Bauern mit der Forderung nach Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Autobahnen und Flughäfen wurden von ihnen besetzt. Sie haben eine konsequente Aufstockung ihrer Vergütungen erreicht, von der aber die Landwirte von Kreta ausgeschlossen wurden. Diese sind dann ihrerseits zu einer Demonstration nach Athen aufgebrochen, und nach gewaltsamen Zusammenstössen, die vor allem von der dortigen Polizei provoziert wurden, hat ein spontaner Generalstreik das Leben auf Kreta für einige Tage zum Erliegen gebracht.

Als Folge des Übergriffs einer Gruppe von Faschisten auf ein Emigrantenzentrum in Athen gab es dann seit Februar zahlreiche Kämpfe mit Anarchisten, die die Zerstörung von Büros einer rechten Tageszeitung, von mehreren Läden für Begüterte, von Autos und Geschäftsstellen faschistischer Organisationen, eine davon - «Goldene Morgenröte» - eng liiert mit der Polizei, nach sich zogen. Rassistische Gewaltausbrüche gegen Afghanen in Patras, oft noch unterstützt von der Polizei, waren im März der Anlass für Straßenkämpfe mit Barrikaden und Tränengas. Mehrere Griechen sind von ihren Balkons aus gegen den Übergriff von Faschisten auf das Ghetto (das Viertel der Einwanderer) mit Flaschen und anderen Wurfgeschoßen eingeschritten. Die Faschos von Patras haben Gegner des gegenwärtigen Systems auch schon umgebracht.

Im Verlauf der Monate Januar, Februar und März haben zahlreiche Gruppen von Jugendlichen gegen die Errichtung von Gebäuden und Privatparkplätzen in einem der wenigen Parks von Athen opponiert. Es gab erneut Straßenkämpfe, ein Polizeikommissariat, bekannt für seine außerordentliche Brutalität, wurde attackiert. Der Park wurde dann für mehrere Wochen besetzt; Feste und Diskussionsrunden, an denen das ganze Viertel teilnahm, wurden organisiert. Kinderspielplätze wurden gestaltet und mehrere Konzerte im Park organisiert. Die Bewegung der Gymnasiasten setzte ihre Aktionen im März fort. Schüler einer öffentlichen Schule griffen ein den Kindern der herrschenden Klasse vorbehaltenes Privatgymnasium an. Erfolgreicher Protest von Lehrern und Eltern gegen die Brutalität der Polizei schloss sich dem an.

Das Offene Gremium für Gesundheitsfragen hat Teile eines Athener Krankenhauses besetzt, um kostenlose medizinische Versorgung für alle zu fordern. Diese Losung, 2008 weit verbreitet in Griechenland, benennt eines der Ziele der Bewegung, die dagegen auftritt, dass medizinische Versorgung immer mehr zur Ware wird. Bei der Gelegenheit wurden mehrere Banken angegriffen, diesmal jedoch von der Gruppe «Revolutionärer Kampf», einer wahrscheinlich von staatlichen Diensten gelenkten Gruppe.

Hafenarbeiter in Lohn und Hafenarbeiter ohne Anstellung haben versucht, das Handelsmarine-Ministerium zu besetzen, wurden aber von der Polizei brutal zurückgedrängt. Seit Juli 2008, infolge der unaufgeklärten und tödlichen Arbeitsunfälle von acht Hafenarbeitern, haben sich die Demonstrationen und Zusammenstöße in Aufruhr verwandelt. Angestellte des Kulturbereiches, davon viele seit vier Monaten ohne Lohn, haben die Zugänge zur Akropolis blockiert. Angestellte des medizinischen Dienstes fordern die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Homosexuelle sind gegen homophobe Musiker der Oper auf die Straße gegangen. Der Tod einer Aktivistin für die Rechte von Gefängnisinsassen während eines Gefangenentransportes war der Anlass für mehrere Hungerstreiks, Aufstände und Revolten in verschiedenen Haftanstalten, wo es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei kam. Der Kampf der Gefangenen gegen ihre Haftbedingungen, die lebende Leichname aus ihnen machen, geht weiter. Auch die Angestellten der Krankenhäuser streikten und besetzten ihre Betriebsstätten. Am 30. März besetzten dann Hunderte von Schäfern das Landwirtschaftsministerium.

Neue Konfrontationen

Es scheint, dass Griechenland sich mit schwindelerregendem Tempo auf eine andere große Konfrontation zu bewegt: die zwischen gewalttätigen Einsatztruppen zur Aufrechterhaltung der bestehenden, kranken Ordnung und denen, die für deren Abschaffung stehen. Diese kann noch explosiver werden als die vom Dezember, mit besser vorbereiteten Ordnungskräften und Medien. Nach Konsultationen des britischen Polizeichefs und von amerikanischen Sicherheitsberatern hat die Regierung den Spezialeinheiten der Polizei uneingeschränkte Vollmacht zur Anwendung von Gewalt gegen Demonstranten erteilt. Zudem hat sie die Bildung einer Truppe von 300 motorisierten und bewaffneten Polizisten in Aussicht gestellt, die das Zentrum von Athen kontrollieren soll sowie das Mitführen von Hunden für die Fußpatrouillen der Polizei. Das «Justiz»-Ministerium hat ein neues Gesetz angekündigt, das die Bestrafung von Demonstranten vorsieht, die aufgrund von Vermummung, Kapuzen- oder Maskenbenutzung nicht zu identifizieren sind. Die Medien gebrauchen das Wort «kukuloforos», was, mit deutlichem Bezug auf Anarchisten und andere Radikale, «Kapuzenmann» bedeutet. Sie hoffen auf diese Weise, die Sozialbewegungen unterschwellig mit den Nazi-Kollaborateuren während der Okkupation in den 1940er Jahren gleichzusetzen.

Gleichzeitig hat die Regierung den ehemaligen Propagandachef der royalistischen Partei engagiert, der während der 1950er Jahre die griechischen Inseln mit Konzentrationslagern für die damaligen Oppositionellen übersät hat. Außerdem will sie gern das Gesetz von 1974 abschaffen, das den Campus der Universitäten als geschützte Zone deklariert, zu dem die Polizei keinen Zugang hat.

«Fuck mai 68, fight now»

war ein Slogan, der im Dezember an Athener Häuserwänden zu lesen war. Doch obwohl diese Bewegung oft sehr viel dreister ist als die vom Mai ’68, wird heute in Griechenland sehr wenig gestreikt. 1968 gab es zumindest einen wilden Streik, an dem sich 10 Millionen Arbeiter beteiligten.

Heute ist zu hoffen, dass es zu soliden Beziehungen zwischen den Streikenden und der Jugendbewegung kommt, so dass sich die Verhältnisse langfristig ändern.