Die europäische Kommission ist dabei, der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten (THIP; engl. Transatlantic Trade and Investment Partnership-TTIP; oder auch Transatlantic Free Trade Area-TAFTA) den letzten Schliff zu geben. Die Unterschrift ist für Ende des Jahres 2014 vorgesehen.
Die gesetzten Ziele sind: Eine «Harmonisierung» der Normen, Regelungen und gesetzliche Beschränkungen die Umwelt betreffend, sowie Ernährung, Gesundheit, Bildung, Kultur, Transport, Energie, Landwirtschaft, soziale Absicherung, Wasser, Forschung, Technologie, Urheberrecht, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Investitionen, selbstverständlich verbunden mit der Aufhebung letzter noch existierender Zollgesetze - und allem voran die Bildung eines Organs zur «Regelung von Differenzen zwischen Investoren und Staaten» (oder Kommunen, Kantonen, Regionen). Dieses wird mit auserwählten Experten der Privatwirtschaft besetzt sein, und so die gesamte öffentliche, regionale, nationale und internationale Rechtssprechung verdrängen. Kurzum: die Erfüllung der unverschämten Wünsche eines D. Rockefeller, der am 1. Februar 1999 in Newsweek erklärte: «Regierungen müssen durch etwas ersetzt werden und Macht in privater Hand scheint mir eine dafür geeignete Entität zu sein.» Unsere Taliban des freien Marktes denken, endlich, am Ende dieses langen Prozesses, dahin gelangt zu sein, was von ihnen erträumt, geduldig geplant und im Laufe von Jahrzehnten in den Chefetagen der Transnationalen, die die neue Weltordnung dirigieren, erarbeitet worden war; ganz so, wie er von Bush 1990 versprochen wurde.
Diese Zeit war, ein Jahr nach dem Fall des «Reiches des Bösen» und kurz vor der Invasion im Irak, eine Schlüsselperiode: USA und EU unterzeichneten eine «transatlantische Resolution», in der beide Seiten sich dazu verpflichteten, die «Prinzipien der Marktwirtschaft zu fördern, Protektionismus zurückzudrängen, die nationalen Ökonomien weiter zu öffnen und stärker zugunsten eines multilateralen Wirtschaftssystems auszubauen.» Aus dieser Resolution resultierte am Ende der 1990er Jahre das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI), welches von den 29 Mitgliedsstaaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) in aller Heimlichkeit ausgehandelt wurde.
Das MAI jedoch wurde zu früh offen gelegt und bewirkte eine ausufernde Protestwelle; in Seattle wurde die Protestbewegung des Globalisierungsgegner geboren. Daraufhin wurde das MAI aus der Terminplanung der Diplomaten gestrichen.
Aussitzen Das Grundmuster hat sich dennoch fest eingeschrieben in unsere, von allen reglementierenden «Beschränkungen» befreite Welt, befreit von sozialen, politischen, ökologischen Regeln und vom Zwang zur Demokratie. Dies begünstigte den betrügerischen Bankrott der globalisierten Finanzwelt im Jahre 2008, begünstigte die Ohnmacht der WTO (Welthandelsorganisation) in der Doha-Runde1 angesichts einer bis dato unbekannten Brüskierung der «BRICS»-Staaten2 und von hundert anderen Nationen der südlichen Hemisphäre. Eine ganze Serie von bilateralen «Freihandels»-Verträgen wurde hervorgezaubert. Die Gemeinschaft der Menschen wurde also der guten Fee des «freien» Marktes anvertraut, unseren Bankern vergleichbar, wenn sie durch Netz-Algorythmen surfen und ihre Welt am Computer modellieren. Was z.B. die kryptischen THIP-TTIP-TAFTA anbetrifft, so sollte man wissen, dass diese 2011 auf den Plan gerufen, durch eine Expertengruppe, vom «transatlantischen Wirtschaftsrat» ohne jegliche demokratische Prozedur eingesetzt und danach von der amerikanischen Regierung und der EU bevollmächtigt wurden. Kein einziges nationales, noch das europäische Parlament wurden konsultiert. Hingegen übte der TABD (Transatlantischer Business Dialog) entscheidenden Einfluss aus. Dieser repräsentiert 500 der bedeutendsten Firmen von beiden Seiten des Atlantik und wurde seinerseits Mitte der 1990er Jahre auf Betreiben der US- und EU-Administrationen geschaffen. Eine kleine Begleiterscheinung der mit der «transatlantischen Resolution» festgeschriebenen euro-amerikanischen Annäherung. Verhandlungen folgten und gingen im Sturmschritt voran. Dank eines ebenso neugierigen wie querköpfigen europäischen Parlamentariers konnte jedoch bekannt werden, dass zwischen Januar 2012 und April 2013 nicht weniger als 119 Treffen stattfanden. D as Mandat zu Verhandlungen gab zu 65% der Privatsektor, genauer: Die Lobby der Schwergewichte aus Industrie und Finanzwirtschaft von beiden Seiten des Atlantik. Kaum war dies vollbracht, da erhielt die Europäische Kommission ihrerseits von den EU-Mitgliedsstaaten das Mandat, das TAFTA auszuhandeln – ein schlagender Beweis für «europäischen Zentralismus».
Öffentliche Kontrolle nicht erwünscht Natürlich können die Mitgliedsstaaten theoretisch den weiteren Verlauf der Verhandlungen ganz legal mitverfolgen. Dafür gibt es das «Komitee 207» und einen Ausschuss ihrer ständigen Vertreter (AStV). Tun sie dies auch? Wahrscheinlich, aber mehr aus der Ferne. Vor ihren Parlamenten wird weder Rechenschaft abgelegt, noch wird in den Medien darüber berichtet. Keine Verschwörungstheorie könnte die simple Wirklichkeit eines Ineinanderfließens von politischer Nomenklatur und Oligarchie aus Industrie und Finanzwirtschaft schöner erfassen als dieses Zusammenklingen von extremistischer Ideologie des «Ultra-Liberalismus» und dem unerschütterlichen Zynismus gegenüber den letztendlich Betroffenen. Europäische Betroffene, die in ihrer großen Mehrheit sehr viel weniger davon überzeugt sind, mit Onkel Sam aus Amerika «gemeinsame Werte» zu teilen, so z.B. in Sachen Menschenrechte, grundlegende Freiheiten, Stellung der Religion, Rolle des Staates, Rechtssystem, Arbeitsrecht, Waffenhandel, Inzestbeziehungen zwischen politischen Parteien und Privatunternehmen, Respekt gegenüber der Umwelt, internationale Vereinbarungen über den Internationalen Strafgerichtshof und Kinderrechtskonvention, letztere natürlich beide ohne Unterschrift der USA.
Eine Annexion der EU mit «Werten» à la US wird allerdings schwerer sein als die der Krim durch Russland, auch ohne Referendum, solch groben Unfug machen nur russische Propagandisten. Die Unterhändler wissen das sehr gut und tun daher alles, damit die Angelegenheit nicht im europäischen Wahlkampf zur Sprache kommt, denn sonst hätte das Politbüro der Brüsseler Kommission mit bösen Überraschungen zu rechnen. Diese hat übrigens 2 Millionen Euro auf vertrauliche Wege gebracht, um im Internet herumzuschnüffeln und den dort stattfindenden (quasi öffentlichen) Austausch von Mitteilungen um die Stimmung im EU-Volk in Echtzeit abzupassen, «Tendenzen» auszumachen, schnell und gezielt zu reagieren, in den stattfindenden Austausch einzugreifen und diesen beeinflussen zu können (Daily Telegraph vom 3. Februar 2013). Der Überparteilichkeit öffentlicher Angelegenheiten wird in der EU ganz offensichtlich kein Wert beigemessen.
Alles wird gut... Dabei gibt es aber auch eine gute Nachricht: Für Staaten, durch Bankster wunschgemäß verschuldet, eröffnen sich mit diesem Vertragswerk ausgezeichnete Einsparpotenziale - in der allgemeinen Verwaltung, in politischen, sozialen, parlamentarischen und in Regierungsangelegenheiten, deren Zeit offensichtlich abgelaufen ist. Damit gesteht das Europäische Parlament sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene seine strukturelle Nutzlosigkeit ein. Nun können Nationalstaaten oder Regionen mit all ihren Vorrechten darauf beschränkt bleiben, ihre technokratischen und personell abgespeckten Regierungsmannschaften den Wachdienst für den liberalen, globalisierten Supermarkt ableisten zu lassen. Früher oder später können Wahlen nun regelmäßigen Online-Abstimmungen Platz machen zu Fragen der «sozialen Vernetzung», die heute so hoch im Kurs stehen bei Politikern. Diese sind sich ihres schwindenden Einflusses längst bewusst. Wenigstens bleibt uns ein nostalgischer Hauch von Demokratie, vergleichbar dem Qualm einer elektronischen Zigarette. Arbeitslosigkeit wird definiert als die Freiheit von Hühnern im offenen Gehege, die mit dem ebenso freien Fuchs individuell verhandelt werden kann. Last not least bringt dieser Vertrag Licht in eine recht weitgehende politische Entmündigung, über die es keinerlei ernsthafte Debatten gibt. Eines aber versteht sich von selbst: Totalitarismus meint immer die anderen, die bösen Nordkoreaner, die Chinesen und selbstverständlich die Russen, diese unverbesserlichen Wodkasäufer, die ihre ach so tugendhaften Konzernchefs in den Knast stecken. Sollte der Vertrag erst in Kraft getreten sein, so sind dies keineswegs irrwitzige Perspektiven. Und sollten Sie den Eindruck haben, ich würde übertreiben, so informieren Sie sich, wenn dies auch nicht einfach wird. Die Unterhändler sind zu einem «gewissen Grad an Vertraulichkeit» verpflichtet, der Text ist auf Englisch abgefasst und nur «eingeschränkt im Umlauf», aber natürlich sind Originalexemplare in gute Hände gelangt und jetzt für Interessierte zugänglich. Es empfiehlt sich dennoch, ein Lexikon zur Entschlüsselung des technokratischen Neusprech à la Orwell zu besorgen, um auch dessen besonderen Reiz genießen zu können.
Die Hoffnung nicht aufgeben Die Herausforderung ist enorm und wie in den 1990er Jahren befinden wir uns in einer Schlüsselperiode der sich ständig verändernden und immer weniger voraussehbaren Geopolitik, mit der allmählichen Auflösung militärischer Vormachtstellung, der Auflösung von Grenzen zwischen Wirtschaftsräumen, zum Verschwinden gebracht durch immer komplexer werdende gegenseitige Abhängigkeiten, durch die Undurchschaubarkeit einer mafiösen und von Konkurrenz getriebenen Makroökonomie, durch den Krieg zwischen zunehmend «immateriell» werdenden Mächten der Cyber-Propaganda - und andererseits die überall immer besser informierten, also misstrauischen und schwerer kontrollierbaren Menschen.
Es ist auch eher unwahrscheinlich, dass deren Streben nach einem Minimum an Sicherheit und Wohlstand sich mit dem der Initiatoren dieses unanständigen und provozierenden Vertragswerkes deckt. Wird dieses, wie es selbstverständlich wäre für eine Demokratie, zum Thema bei den nächsten Europawahlen? Geben wir die Hoffnung nicht auf, denn dieser Vertrag muss in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden.
Es gibt doch sicher einen Platz nahe der Kommission in Brüssel oder dem Parlament in Straßburg für das nächste Neujahrsfest. Dort könnte die Flamme entzündet und das Tor aufgestoßen werden für einen immer dringender werdenden europaweiten internationalistischen Aufstand.
- Treffen der Welthandelsorganisationen
- Bezeichnet den informellen Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika