Europäische Sammelklage gegen Biomasse

von Nicolas Bell, EBF Frankreich, 01.04.2019, Veröffentlicht in Archipel 280

Europäische Sammelklage gegen Biomasse Am 4. März 2019 wurde gegen die Europäische Union (EU) eine europäische Sammelklage von Kläger·inne·n aus fünf Mitgliedstaaten – Estland, Frankreich, Irland, Rumänien und der Slowakei – sowie aus den USA eingereicht. Sie sind der Ansicht, dass die 2018 überarbeitete europäische Richtlinie über erneuerbare Energien (RED II) durch die Förderung der Verbrennung von Waldholz als erneuerbare und klimaneutrale Energiequelle Wälder zerstören und die Treibhausgasemissionen erhöhen wird.

Die Klage, die vor dem EU-Gericht in Luxemburg eingereicht wurde, zitiert wissenschaftliche Beweise dafür, dass Holzkraftwerke mehr Kohlendioxid (CO2) pro Energieeinheit in die Atmosphäre abgeben als Kohlekraftwerke. Die Beschwerdeführer beantragen beim Gerichtshof, die Bestimmungen der Richtlinie über forstliche Biomasse für nichtig zu erklären, um die Praxis der Verbrennung von forstlicher Biomasse für die Erreichung der Ziele der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der erneuerbaren Energien unzulässig zu machen. Damit wäre es nicht mehr erlaubt, wie bei dem Biomasse-Kraftwerk in Gardanne (Südfrankreich), Zuschüsse für Biomassekraftwerke zu gewähren.

Initiiert wurde diese Aktion nicht in Europa, sondern in den Vereinigten Staaten und zwar von Mary Booth, Präsidentin der NGO «Partnership for Policy Integrity» (PFPI)1. PFPI bekämpft die Waldvernichtung in den Vereinigten Staaten, die der wachsenden Nachfrage nach Pellets (oder Granulaten) für Biomasse-Megaparks in Europa dient. Es sei daran erinnert, dass das Megakraftwerk in Drax (Grossbritannien) jährlich 13,8 Millionen Tonnen Waldholz verbraucht, hauptsächlich aus den weitgehend alten Laubwäldern des Südostens der Vereinigten Staaten. Das ist mehr als die Gesamternte aller britischen Wälder. Seit mehreren Jahren stellen Hunderte von amerikanischen Wissenschaftler·inne·n die Energiepolitik der EU in Frage, welche die Verbrennung von Forstbiomasse (d.h. speziell zu diesem Zweck gefällter Bäume) fördert. Sie hatten bereits im Jahr 2009 – bei der Umsetzung der ROT I-Richtlinie, die ein verbindliches Ziel von 20 Prozent erneuerbarer Energien im Gesamt-Energiemix festlegte – versucht, die europäischen Entscheidungsträger zu warnen. Es sei daran erinnert, dass 65 Prozent der erneuerbaren Energien in Europa derzeit aus Biomasse stammen. Etwa 70 Prozent dieser Biomasse stammt von ganzen Bäumen. Mit dem neuen RED II wird das Ziel auf über 30 Prozent angehoben, wobei dieser überwiegende Teil der Biomasse beibehalten wird. Daher die grosse Besorgnis amerikanischer Wissenschaftler·innen und NGOs wie des PFPI, die beschlossen haben, diese Aktion einzuleiten und zu finanzieren.

Die Auswirkungen

Alle fünf Beschwerdeführer·in-nen haben auf die eine oder andere Weise unter den Folgen der Errichtung von Biomassekraftwerken gelitten, entweder wegen der Auswirkungen auf die Wälder ihres Landes oder, wie in Gardanne, der Folgen auf die Gesundheit der lokalen Bevölkerung. Bernard Auric, Präsident der «Association de lutte contre les nuisances et la pollution» (ANLP, Vereinigung des Kampfes gegen Umweltschädigung und -verschmutzung), ist einer der Beschwerdeführer. Wie andere Menschen in der Nähe des südfranzösischen Kraftwerks Gardanne-Meyreuil war auch sein Leben stark von der Umwandlung des alten Kohlekraftwerks in ein Biomassekraftwerk geprägt.

Bernard Auric beschreibt: «Der Lärm ist so laut, dass einige Anwohner·innen in der Nähe der Anlage gezwungen sind, alle Fenster zu schliessen, auch wenn es im Sommer sehr heiss ist. Sie müssen mit Matratzen die Fenster abdichten, um den Lärm zu reduzieren. Die Betroffenen sagen, der Krach sei vergleichbar mit einem Hubschrauber, der 100 Meter über dem Haus fliegen würde. Sie werden regelmässig des Schlafes beraubt und vor allem Kinder sind betroffen.»

Ein weiteres Problem ist die schwere und äusserst gefährliche Luftverschmutzung durch die Anlage. Es ist bekannt, dass feine und ultrafeine Partikel, die bei der Verbrennung von Holz entstehen, eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen. Der Anlagenbetreiber Uniper gibt zu, dass die Biomasseanlage nach der Inbetriebnahme durch das Verbrennen von 855‘000 Tonnen Biomasse 98 Tonnen Feinstaub pro Jahr ausstossen würde. Das Kraftwerk liegt in einem dicht besiedelten Gebiet mit rund 10‘000 Einwohner·inne·n, die weniger als einen Kilometer entfernt wohnen, und mit einem Kindergarten, zwei Schulen, einem Stadion, mehreren Sportplätzen und einer Turnhalle, die in weniger als 500 Metern Entfernung liegen.

Dieser Fall wirft Fragen auf, die für die Zukunft unseres Planeten von grundlegender Bedeutung sind – wie auf der Webseite zu diesem Rechtsstreit2 erläutert wird, «… müssen wir, um eine katastrophale globale Erwärmung zu vermeiden, die Emissionen deutlich reduzieren und die Kohlenstoffsenke, d.h. die Aufnahme von Kohlenstoff in natürliche Ökosysteme, erhöhen. Wälder sind unsere beste Hoffnung, Kohlenstoff aus der Luft zu entfernen. Der Fall zeigt, dass die Förderung der Verbrennung von Waldholz durch die EU im Widerspruch zu den Versprechungen des Vertrags über die Arbeitsweise der EU steht: Erhaltung und Schutz der Umwelt, schonende Nutzung natürlicher Ressourcen, Bekämpfung des Klimawandels, Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, um die Politiker·in-nen aufzuklären... »

Die Auswirkungen auf die Wälder sind beträchtlich. Nehmen wir Estland, eines der kleinsten Länder Europas, das jedoch der drittgrösste Produzent von Holzpellets auf dem Kontinent ist. Die Wälder des Landes stehen unter starkem Druck: Seit 2001 sind laut Satellitendaten mehr als 285‘000 Hektar estnischer Wälder verschwunden. Dies ist vor allem auf das rasante Wachstum der Biomasse-Industrie zurückzuführen. Die rumänischen und slowakischen Beschwerdeführer·innen stellen ebenfalls einen katastrophalen Anstieg der Entwaldung fest. Der irische Beschwerdeführer kämpft seit Jahren für die Schliessung von torfbasierten Mega-Kraftwerken. Diese Anlagen sollten ursprünglich geschlossen werden, aber die irische Regierung hat ihnen kürzlich eine Beihilfe zugesagt, wenn sie 30 Prozent holzige Biomasse hinzufügen, was die ökologischen Schäden durch den Torfabbau nur noch verlängern würde. Es ist alles andere als sicher, dass der EU-Gerichtshof diese Sammelklage für zulässig erklären wird, da bisher fast nie Beschwerden von nichtstaatlichen Verbänden akzeptiert wurden. Diese Verschlossenheit gegenüber der Zivilgesellschaft wird jedoch heftig kritisiert und die Beschwerde-führer·innen bleiben zuversichtlich.

Nicolas Bell, EBF Frankreich

  1. www.pfpi.net
  2. www.eubiomasscase.org