Edito April 2022

von Constanze Warta, EBF, 15.04.2022, Veröffentlicht in Archipel 313

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Erst einmal herzlichen Dank für Eure Unterstützung in den letzten Wochen. Unsere Leute in Transkarpatien, dem westlichen Teil der Ukraine, der im Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, noch nicht angegriffen wurde, sind Tag und Nacht im Einsatz.

Sie holen Menschen aus der Gefahrenzone und bieten ihnen Schutz, Essen, Medikamente und psychologische Hilfe. Sie organisieren für diejenigen, die es wünschen, oder aus gesundheitlichen Gründen benötigen, eine Weiterreise ins Ausland. Jede Minute zählt, kein Mensch weiss, wie es weitergehen wird. Es geht jetzt vor allem darum, Menschenleben zu retten.

Gerade haben wir unser Treffen des Europäischen BürgerInnenforums beendet, das dieses Mal im Südosten Österreichs stattgefunden hat. Unsere Überlegungen und Diskussionen waren einerseits geprägt von der aktuellen Situation in der Ukraine und die Berichte derer, die von dort zum Treffen kamen und andererseits von der Teilnahme vier junger Frauen, die seit ein paar Jahren an der Balkanroute mit Geflüchteten aktiv sind. Die Situation an der bosnisch-kroatischen Grenze ist für die Migrant·inn·en nach wie vor sehr problematisch und brutal. Unsere Freundinnen von vier verschiedenen kleinen Organisationen (Are You Syrious, Blindspots, Border Violence Monitoring Network und ComPass 071 Sarajevo) kümmern sich um materielle, juristische, medizinische und logistische Hilfe. Wir planen unter anderem ein Treffen von Jurist·inn·en, die sich in verschiedenern Ländern für Geflüchtete einsetzen. Denn solange die Europäische Grenzschutzagentur Frontex ausgeweitet und von der EU sowie von der Schweiz finanziert und aufgerüstet wird*, solange es die Grundpolitik unserer Regierungen ist, die Festung Europa zu verteidigen, gibt es noch viel an den Aussengrenzen zu tun.

Doch die momentane Welle der Menschlichkeit, die immense Hilfsbereitschaft, die gegenüber den Ukrainer·inne·n heute zutage tritt, zeigt, dass Aufnahme möglich ist, ja, dass es sogar in Ländern wie Polen und Ungarn Platz, Mittel und jede Menge solidarischer Menschen gibt. Wäre es nicht möglich, dieses Engagement zu erweitern auf all die anderen vor Diktatur, Terror und Hunger Flüchtenden?

Oder wird das neue Argument sein: «Jetzt haben wir erst recht keinen Platz mehr»? Wir jedenfalls werden uns weiterhin gegen die Diskriminierung und Abschiebung der «schlechten», ungewollten Migrant·inn·en einsetzen.

Während ich schreibe, befinde ich mich im Zug von Wien nach Zürich. Die meisten Leute im Zug sind Unkrainer·innen und haben mehrere Tage Fluchtweg hinter sich. Der Zug ist übervoll, Urlauber·innen versuchen, ihre Ski und sonstiges Gepäck unterzubringen; die Menschen aus der Ukraine haben wenig Gepäck und sind erschöpft. Es sind zwei Welten, die sich hier begegnen und miteinander ins Gespräch kommen. Schlafende Kinder, viele junge Menschen, kleine Hündchen auf dem Schoss ihrer Besitzer·innen. Die Geflüchteten fahren nach Deutschland oder in die Schweiz, erzählen den Sitznachbar·inne·n von ihrer Flucht und den schrecklichen Geschehnissen in ihrem Land. Manche haben Bekannte oder Verwandte hier, andere wissen noch nicht, wo sie untergebracht sein werden. Während der Fahrt bieten Menschen Unterkunft an. Eine Hoffnung sind auch all die Stimmen aus Russland, die, unter grosser Gefahr, vehement gegen diesen Aggressionskrieg eintreten und es gibt Männer, die sich weigern, zu den Waffen zu greifen – auch sie brauchen unsere Unterstützung! Wir können jedenfalls etwas tun..

Constanze Warta, 19.März 2022