1400 Kilometer unter tiefblauem und sonnigem Postkartenhimmel zwischen Barcelona und der wüstenartigen Gegend von Almeria. Auf der von endlos sich hinziehenden Orangenplantagen umgebenen Autobahn hätten wir fast unser Reiseziel vergessen: die Eröffnung eines Lokals der andalusischen Landarbeitergewerkschaft SOC (Sindicato de Obreros del Campo ) für den Empfang von Immigranten in El Ejido.
Aber die exotische Illusion verfliegt schnell. Nach dem Ebrodelta verwandelt sich das Ufer des Mittelmeers in eine buntscheckige Betonlandschaft: Der Küstenstreifen ist vom Tourismus vollständig in Beschlag genommen. Die großartigen Ortsbezeichnungen – Costa Dorada, Costa del Azahar, Costa Blanca, Costa del Sol – vermögen die Auswüchse einer ungehemmten Verstädterung, die die Landschaft verunstaltet, nicht zu vertuschen. Auch die Bergketten in der Küstengegend tragen die Stigmen des touristischen Booms: klaffende Wunden durch Steinbrüche und Obstpflanzungen.
Beim ersten Halt in der Region von Traiguera im Norden von Castellon de la Plana springt die perverse Dynamik dieser Entwicklung ins Auge. Im Landesinnern, ein Dutzend Kilometer vom Meer entfernt, stößt man auf ein verödetes, von der Landwirtschaft verlassenes Spanien. Tausende von brachliegenden Terrassen und Ruinen ehemaliger Bauernhöfe und Ställe zeugen vom früheren Leben der Berge von El Maestrat. Wie in den meisten Küstengegenden war die bäuerliche Abwanderung der notwendige Tribut für den Aufbau der Freizeitindustrie und der intensiven Landwirtschaft.
Zwischen Castellon und Valencia und noch weiter unten in der Region von Lorca stellten die Bauern, die dieser erzwungenen Verarmung (das Sinken der Grundwasserschicht und der Niederschläge verschärfte die Lage noch mehr) zu entrinnen vermochten, auf Schweinezucht um. Im großen Stil und ohne sich um Umweltschäden zu kümmern: Hunderte von Industriezuchtanlagen entstanden und bereicherten die Landschaft mit dem köstlichen Güllenparfum. Bisweilen stößt man auch auf gigantische Vergnügungspärke und Golfplätze wie zum Beispiel Terra Mitica von Benicassim, die die Wasserversorgung der spanischen Mittelmeerküste, geprägt durch Trockenheit und sommerlicher Überbevölkerung, noch mehr beeinträchtigen.
Der unersättliche Hunger nach Modernität, unterdrückt durch drei Jahrzehnte Immobilität unter Franco, tobt sich unbeherrscht aus. Überall beeinflusst das amerikanische Vorbild den Größenwahn der Immobilienmakler; so in Benidorm: Riesige Reklamewände rühmen die Schönheit und den Komfort von Wolkenkratzern, die sich an der Küste auftürmen. Und je weiter es Richtung Süden geht, umso verrückter spielt der «Strandfuturismus». Für Verehrer des romantischen Spaniens und bedingungslose Anhänger des mythischen Andalusiens von Sevilla, Granada und Cordoba empfehle ich das Schmuckstück floridisch-maurischer Architektur, das ehemalige Fischerdorf Mojacar. Man stelle sich ineinander verschachtelte kubische Wohnelemente vor, ein unbeschreibliches Lego von kalkfarbigen Bungalows mit Kuppeln und Minaretten. Diese überragen entlang der Meeresküste die zahllosen Boutiquen, Hotels und Restaurants mit ihren hysterisch-schreierischen Aushängeschildern. Eine Nachahmung von Miami vermischt mit arabisch-berberischen Erinnerungen… Das neue Eden der Vermögenden in Europa, die sich an der iberischen Sonne bräunen wollen.
Bauherren der Zukunft
Die Gefräßigkeit der im Bausektor tätigen Haie nimmt derartige Ausmaße an, dass sogar die Behörden (norma-lerweise setzten sich diese vor allem für die Entwicklung des Tourismus ein) Alarm schlagen, wenn diese die seltenen, noch unversehrten Küstenstreifen an sich reißen wollen. In der Region von Almeria wird die Raumplanung (PGOU: Plan General de Ordenacion Urbana) durch den Druck der Baulobby völlig in Frage gestellt. Die mächtige Immobilienmafia, angeführt von großen Unternehmen aus Murcia, interessiert sich für Gemeindeland von Vera, Bedar, Antas, Mojacar, Carboneras. Das ganze unerschlossene Küstengebiet im Nordosten des Naturparks Cabo de Gata läuft Gefahr, innert kurzer Zeit Bauland zu werden. Niemand kann sich der Raffsucht jener widersetzen, die sich selbst als «die Bauherren der Zukunft des andalusischen Volkes… » bezeichnen (Lopez Rejas, Besitzer des größten Bauunternehmens im nördlichen Andalusien). Weder die Felswände entlang des wertvollen Meeresgrundes der Costa del Sol, noch der von der spanischen Gesetzgebung geschützte Naturpark. In Carboneras wurde in Strandesnähe ein Berg abgetragen, um dort einen pharaonischen Gebäudekomplex hinzustellen.
Rund um die Naturreserve Cabo de Gata verschlingt die industrielle Gemüseproduktion unter Plastik immer mehr Buschwald und Agavenhügellandschaft. Dort weiden noch die letzten Herden der «almeriensischen Urgeschiche». Der Fortschritt bleibt nicht stehen. Um noch mehr Landwirtschaftsfläche frei zu machen und die Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie hier im «spanischen Kalifornien» zu fördern, ist die Rede davon, den Flugplatz von Almeria auf Naturschutzgebiet des Parks zu verlegen.
Bei unserer Ankunft am 2. Dezember 2005 berichtete die Regionalpresse ausführlich über die Polemik, ausgelöst von diesen völlig überdimensionierten Vorhaben. Auf der Titelseite macht sich die «Voz de Almeria» Sorgen über die Revision des Raumplanungsgesetzes , die den Bau von mehreren hunderttausend Wohnungen vorsieht. Die Zeitung beschreibt den Fall einer Gemeinde mit 2.000 Einwohnern, die den Bau von 180.000 Wohnungen plant.
Diese traurige Einleitung hat ihren Grund. Als Gegensatz zum Elend, das wir an der von der SOC organisierten Konferenz denunzieren wollen, muss man auf den trügerischen Schein des spanischen Wunders hinweisen. Es versteckt die kapitalistische Befreiung, die umso brutaler durchgeführt wird, als es sich um ein Phänomen neueren Datums handelt. Ein Eindruck, der von gewissen Medien geteilt wird. Sie bestätigen, dass die Medaille ihre Kehrseite hat. In Spanien leben 20 Prozent der Bevölkerung mit weniger als 370 Euro pro Monat. Nach Ceuta, Melilla und Estramadur steht Andalusien an drittletzter Stelle mit 31,7 Prozent.
Elend und Hoffnung
Das «Nationale Institut der Kolonisierung» erschloss den steppenartigen, verödeten Küstenstreifen südwestlich von Almeria schon unter Franco für die Bewässerung von landwirtschaftlichen Kulturen. Dies war neben der Technik des enarenado (aus Valencia importierte Landwirtschaftstechnik: Es werden abwechslungsweise Humus oder Sand aufeinander geschichtet) wichtigste Voraussetzung für Gemüseproduktion unter Plastik. Die Wüste mit landwirtschaftlicher Selbstversorgung, Anbau von Sisal und Viehzucht verwandelte sich in das «neue Kalifornien» Andalusiens für industriellen Gemüseanbau. In einem Vierteljahrhundert wurden über 30.000 Hektaren bepflanzt. Von weitem erscheint das Plastikmeer durch optische Täuschung wie die Costa del Sol, das die letzten noch unbebauten Landflecken der Sierra Gador überschwemmt.
Diese Region Andalusiens erlebt wie keine andere in Spanien einen demographischen Boom. Das Bevölkerungswachstum beträgt 5,56 Prozent, für Spanien bloß 2,11 Prozent. Laut neuester Statistik wuchs Almeria zwischen 2004-2005 von 580.077 auf 612.315 Einwohnern an. Im gleichen Zeitraum vergrößerte sich El Ejido von 63.914 auf 68.828 Einwohner. Das Eldorado des «grünen Goldes» lockte zahlreiche Immigranten an, die von den Behörden nur teilweise registriert wurden. Im März 2005 wohnten nach offiziellen Quellen 52.000 Ausländer in der Provinz, im September 84.000, was einer Zunahme von 60 Prozent entspricht. Laut dem Innenministerium arbeiten über 100.000 Illegale zeitweilig schwarz im Becken von Almeria.
Die Delegation
Am 2. Dezember 2005, dem ersten Tag unseres Aufenthalts an Ort und Stelle, führten uns Gabriel und Lharoussi (Senegalese und Marokkaner), die beide bei der SOC angestellt sind, in ein schmutziges Labyrinth eines von Schwarzafrikanern bewohnten Lagers in der Nähe von Nijar, dreißig Kilometer östlich von Almeria. Der dicht bevölkerte Vorort nennt sich Campohermoso, was so viel heiß wie «das schöne Feld», was fast zu einem Lächeln verleiten könnte, wäre er nicht der Schauplatz einer sozialen Infamie, die sich vor uns abspielt, und wir Mühe haben, unseren eigenen Augen zu trauen. Unter einem unbenutzten Plastikdach entdecken wir ein Durcheinander von kleinen Wohnhütten, zusammengebastelt aus den Abfällen einer in der Nähe gelegen Schutthalde. Man fühlt sich wie in einem Alptraum. Es ist jedoch das tägliche Leben von etwa hundert Afrikanern, mehrheitlich aus Senegal und Mali, die hier frierend umherirren, von einer Gruppe zur anderen und sich bisweilen an den spärlichen Feuerstellen zwischen den prekären Schlafstätten etwas aufwärmen. Denn heute bläst ausnahmsweise ein kalter regnerischer Wind aus Nordosten durch die skelettartigen Strukturen des Lagerplatzes, wo in der Regel dauernd die Sonne scheint. Eine Teilnehmerin unserer Delegation ist ganz außer sich und murmelt vor sich hin, dass sie sich schämt, hier zu sein, als ohnmächtige Zuschauerin, gezwungen zu einem ekligen Voyeurismus. Aber man muss doch auf Missstände hinweisen, die Öffentlichkeit informieren, den Bürger und Konsument aufrütteln, Synergien zwischen Vereinen und Gewerkschaften schaffen, um gemeinsam mit der SOC Verbündete zu finden, die mithelfen, dieser Hölle den Garaus zu machen.
Bald sechs Jahre nach den rassistischen Unruhen in El Ejido hat sich fast nichts geändert. Mit seinen 90.000 hier wohnhaften Immigranten – mit oder ohne Papiere – hält Almeria den traurigen Rekord für prekäre Verhältnisse inne. Obwohl viele Neuwohnungen gebaut wurden und gerade auch deswegen, leben 70 Prozent der Ausländer – mit oder ohne Papiere – immer noch in chabolas (aus Abfällen zusammengeschusterter Unterschlupf mit Plastik, Karton, Wellblech, Brettern…) und in cortijos (kleine aus Lehm und Steinen gebaute Hütten) mitten im Plastikkonzentrat. Nach einer gewissen Beruhigung im Jahre 2004 nahmen die sporadischen Aggressionen, oft verbunden mit Körperverletzungen, wieder zu. Die Ordnungskräfte dulden dies offensichtlich wohlwollend und bemühen sich vor allem, Klagen schon in der Phase der Voruntersuchung ad acta zu legen.
Seit vier Jahren versucht die SOC, ihren Tätigkeitsbereich auf diese Zone für Gemüseproduktion auszuweiten. Und ein Ziel unseres Kommens war es auch, die SOC darin zu unterstützen, in der Höhle des Löwen, in El Ejido selbst, eine gewerkschaftliche Antenne für Information und Widerstand zu eröffnen.
Um die offizielle Eröffnung dieses Lokals in El Ejido zu feiern, lud die Gewerkschaft viele Menschen und Organisationen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz ein. Einige beteiligten sich auch finanziell für den Kauf und die Instandstellung dieses Treffpunkts. Am Samstag und Sonntag fanden Rundtischgespräche über «Gewerkschaftsarbeit, Einwanderung und prekäre Verhältnisse» statt. Etwa vierzig aus Afrika stammende Mitglieder der SOC beteiligten sich auch daran. Verschiedene Fragen wurden diskutiert: Wohnung, Gesundheit, Arbeitsrecht, soziale Integration, die Situation der Frauen und der Minderjährigen, der Prozess der Legalisierung von Papierlosen, neue gewerkschaftliche Strategien angesichts der immer schwierigeren Arbeitsbedingungen.
Junge Aktivisten von andalusischen Organisationen wie z.B. Indymedia-Estrecho beschrieben ihre Aktionen gegen die Spirale der Repression gegenüber marokkanische Immigranten, die versuchen, die Grenze zu überschreiten, um in die spanischen Enklaven von Ceuta und Melilla zu gelangen. Im November beteiligten sich 400 Personen aus Spanien, Frankreich und Italien an einer europäischen Karawane gegen das Tal des Todes, die nach Ceuta zog. (Für mehr Informationen: www.indymediaestrecho.org)
Zum Schluss zog Federico eine Bilanz der von der SOC Almeria durchgeführten Aktionen (siehe Seite xy). Durch Untersuchungen und Beobachtungen, als Büro für Beschwerden, als juristische Vermittlungsinstanz und Zelle des Widerstands fühlte die Organisation nach und nach den Puls der Wirklichkeit. Wir diskutierten ebenfalls Projekte und Prioritäten für die nächsten Monate (siehe Artikel…). Unbestritten ist, dass gegenüber den täglichen Missbräuchen, den tätlichen Angriffen und Bedrohungen und des weit verbreiteten rassistischen Verhaltens, die europäische Solidarität verstärkt werden muss.
Gewisse Kreise in Spanien verunglimpfen die SOC als anachronistische Gewerkschaft, die mit roten Fahnen umherzieht und Besetzungen von Latifundien und Streiks organisiert. Die großen Gewerkschaften bezeichnen die SOC gar als antidemokratische Gewerkschaft, weil sie sich nicht an den gewerkschaftlichen Wahlen beteiligt. Der Generalsekretär der andalusischen Föderation der Nahrungsmittelproduktion der Comisiones Obreras («kommunistennahe» Gewerkschaft) schrieb dem Präsidenten Andalusiens und verlangte von ihm, nicht mit der SOC zusammenzuarbeiten.
Man muss allerdings wissen, dass an solchen gewerkschaftlichen Wahlen sich nur beteiligen darf, wer mindestens sechs Monate den gleichen Arbeitsplatz behält, was für die Jornaleros der SOC schon immer unmöglich war, sowohl für die Hunderttausenden von andalusischen Landarbeitern und noch vielmehr für die neuen ausländischen Ausgebeuteten des intensiven Gemüseanbaus.
Tatsächlich ist die SOC eher eine auf die Zukunft gerichtete Gewerkschaft, besser vorbereitet, die immer prekärere und auf mehr Flexibilität ausgerichtete Arbeitswelt anzugehen, die sich überall in Europa unter unseren Augen entwickelt. Im August 2005 bekräftigte der Kongress der SOC seinen Willen, den Aktionsradius auf nicht landwirtschaftliche Sektoren auszuweiten (Dienstleistungen, Tourismus und Bau) und die Verteidigung der Immigranten und Einheimischen im Rahmen einer Einheitsgewerkschaft zu verstärken, in Synergie mit anderen Organisationen (Ustea, CNT, CGT) und lokalen in der Verteidigung der Schwachen engagierten Vereinen.
Auch deswegen sollten uns die Ereignisse in Andalusien äußerst betroffen machen.
Jean Duflot*
*In Zusammenarbeit mit Nicholas Bell und Sissel Brodal, EBF
Frankreich
Juan Goytisolo in Almeria
Juan Goytisolo wurde 1931 in Barcelona geboren. Er ist einer der bekanntesten zeitgenössischen spanischen Schriftsteller und gleichzeitig einer der kritischsten. Unter Franco waren seine Bücher verboten. Er ging ins Exil, zuerst nach Paris und dann nach Marrakesch. Er schrieb zahlreiche Bücher über arabische und jüdische Traditionen, welche die spanische Kultur mitgeprägt haben, und interessiert sich besonders für den Islam*.
1957 reiste er zum ersten Mal nach Almeria und El Ejido. Stark beeindruckt von der Öde und der bitteren Armut dieser Region veröffentlichte er zwei Reiseberichte: Campo de Nijar 1960 und La Chanca 1962. Diese Reportagen, die ihm in diesen vergessenen Gegenden große Sympathie einbrachten, geben uns einen Eindruck von der Realität in der Region vor der «Gartenbaurevolution».
35 Jahre später war Goytisolo einer der ersten Spanier, die vor den verheerenden Konsequenzen warnte, welche die Veränderungen dort nach sich zogen. Sein Artikel «Quien te ha visto y quien te ve» in El Pais vom 19.2.1998 brachte ihm wutentbrannte Reaktionen eines großen Teils der Lokalbevölkerung ein. Die Gemeinde von El Ejido erklärte ihn offiziell zur persona non grata (mit den Stimmen des Partido Popular, der Sozialistischen Partei und der Esquierda Unida). Seither und vor allem nach den rassistischen Ausschreitungen in El Ejido im Februar 2000 protestiert er regelmäßig gegen die Behandlung der Immigranten.
*Bücher von J. Goytisolo: W. Jenior-Verlag, Lassallestr. 15, D-34119 Kassel
Tierras de Nijar
Mein Nachbar deutet auf einen von Dornengestrüpp umgebenen Garten. Die Beete sind mit Reihen von Saubohnen, Tomaten, Paprika, Auberginen bepflanzt, und jede Pflanze ist sorgfältig angebunden.
«Ist das nicht wunderbar?»
Ich sage, das sei es wirklich.
«Um aus diesem Boden etwas herauszuholen, braucht man eine dicke Brieftasche. Der Boden ist steinig und man muß alles herbeischleppen, Wasser, Dünger, Sand...»
«Sand?»
«Um die Wärme zu halten. Das Gemüse wächst schneller und kommt noch vor der Saison auf den Markt. Das ist eine Methode von den Kanaren, die man in der Gegend von La Rápita anwendet. Hier, als der Besitzer von Temprana sie anwendete, sagten alle, daß er sich die Finger verbrennen werde, aber der Kerl sackte nach der ersten Ernte mehr als fünfzigtausend Duros [alte spanische Geldrecheneinheit: 1 Duro sind 5 Peseten. D.Ü.] ein.»
Die Landschaft ist ein wahrer Brutofen. Zahlreiche trockene Flußläufe durchqueren die Ebene Richtung Meer. Der Bus fährt die badenes hinunter und hinauf. [ badén = aus Kostenersparnis baute man früher in Spanien keine Brücken über die unzähligen Querrinnen zur Ableitung der zuweilen tropischen Regengüsse, sondern befestigte das jeweilige Straßenstück durch die Rinne mit Zement, auch wenn es sich um eine Schotterstraße handelte. D.Ü.]
«Sehen Sie die Einzäunung?»
Mein Nachbar zeigt auf eine Mauer von zwei Metern Höhe um ein Rechteck wie bei einem Friedhof. Das Sonnenlicht wird von der weiß getünchten Wand zurückgeworfen und eine Ziege mit prallem Euter knabbert an den dicken Blättern des Feigenkaktus.
«Das ist ein Versuchsgarten. Sie stellten ihn vor ein paar Monaten fertig.»
Die Neuerung liegt in dem System der Bewässerung. Unter der Erde der Frühbeete liegt ein Wasserspeicher, der mit einem Metallgitter abgedeckt ist. Darauf wird die gedüngte Erde gelegt und eine Schicht Sand. Dadurch vermeidet man die Verdunstung, die in dieser Gegend enorm ist. Durch das metallische Gitter strecken die Pflanzen ihre Wurzeln in das Wasser.
Tierras de Nijar
Ich erinnere mich sehr gut des tiefen Eindrucks von Gewalt und Armut, den Almería in mir hervorrief, als ich über die N-340 vor einigen Jahren dort zu meinem ersten Besuch eintraf.
Hundert Meter weiter wird der Abstand zwischen den kleinen Gehöften immer größer. Auf die umzäunten Gärten folgen Brachland und trockene, sandige und öde Flußbetten. Die Vegetation verringert sich auf ein Minimum: Feigenkakteen, Agaven, der eine oder andere kleine, verkrüppelte Olivenbaum. Rechter Hand erstreckt sich die Ebene in der diesigen Hitze bis zu den Meeresdünen. Seitenwege durchqueren das steinige Gelände und verlieren sich zwischen versengtem Dorngebüsch und Dickicht. Wolken krönen die Gipfel der Sierra de Gata. Am Horizont liegt das Meer wie ein Streifen geschmolzenen Bleis.
«Quien te ha visto y quien te ve»*
Obwohl die Provinz von Almeria ein traditionelles Auswanderungsland ist, hatte die Emigration wenig Einfluss auf ihre Kultur. (…) Die Erinnerung an eine vom Wunsch nach Flucht vor der Misere geprägte Vergangenheit hat weder das Verständnis für die Armut anderer hervorgebracht, noch eine solidarische Ethik. Die Ankunft von Afrikanern aus dem Maghreb und aus der Sahelzone in den letzten 15 Jahren, welche die Arbeiten ausführen, die kein Spanier mehr machen will, unter Bedingungen, die unserer flammenden europäischen Persönlichkeit unwürdig sind, erweckt weder Mitleid mit der eigenen Vergangenheit noch Sympathie mit den Opfern dieser Situation. Im Gegenteil: Die Mauren und die Schwarzen als Sklaven in den Treibhäusern – notwendig drinnen, aber unerwünscht draußen – rufen Gefühle von Überlegenheit hervor und erlauben es den ehemaligen Emigranten und ihren Nachkommen, der Inszenierung der Dramen ihres eignen Lebens beizuwohnen, gespielt von anderen Akteuren, wie eine exemplarische Rache.
* El Pais, 19.2.1998 (Auszug)