Die Kunst des Schmackhaftmachens 3. Teil

von Clark Kent, Lois Lane (Revue Z), 05.03.2010

Die gesellschaftliche Akzeptierbarkeit ist ein seltsames Tier. Ihre Anhänger sehen in ihr die Möglichkeit, die Verbraucher in den Herstellungsprozess der ihnen zugedachten Technologien mit einzubeziehen. Für Kritiker handelt es sich um die soundsovielte Methode, ein Produkt schmackhaft zu machen, irgendwo zwischen Marketing und Propaganda. Die Zeitschrift Z* hat sich das aus der Nähe angeschaut.

Die Berichte zur sozialen Akzeptierbarkeit bleiben oft monatelang in den Schubladen liegen, bis sich jemand vom Marketing findet, der den einer akademischen Arbeit ähnelnden Bericht in eine Art Anforderungskatalog zu übersetzen vermag. Aber diese Studien verschwinden trotz ihrer schwer lesbaren Form nicht alle in der Versenkung. Im Allgemeinen finden sie sich in Empfehlungen oder in einem sogenannten Fahrtenbuch oder «Führer zur guten Praxis» wieder.
Eine der berühmtesten Empfehlungskataloge stammt aus der Feder vom Gixel, einem Zusammenschluss Industrieller, der sich als Lobby stark macht und 2004 sehr im Gespräch war, weil er in seinem Blauen Buch die Samthandschuhe vermissen ließ.
Einige Monate später veranlasste eine Sabotageaktion gegen biometrische Maschinen begleitet von kritischen Zeitungsartikeln den Gixel, sein Buch umzuschreiben. Indessen zeichnet sich unwiderruflich ein schwindelerregender Anstieg der biometrischen Anwendungen ab: Zugangskontrollen in Schulkantinen, elektronische Armbänder für Neugeborene auf den Entbindungsstationen, zahlreiche Telefone für Kids, das Fernsehen voll mit Hightech-Serienhelden, RFID1 Chips in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder am Eingang von Diskotheken. Josiane Couratier, Co-Direktorin der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe für biometrische Visa im Außenministerium, begrüßt die erzielten Erfolge: «Dank der weit entwickelten Informations- und Sensibilisierungspolitik konnten wir feindseligen Reaktionen vorgreifen.»2
Um neue Technologie sanft durchzusetzen, werden «Sensibilisierungsprogramme» eingesetzt. Der öffentliche Raum soll von offiziellen Diskursen patentierter Spezialisten überschwemmt werden.
Die europäische Kommission fürchtet sich vor unabhängigen Meinungsäußerungen aus dem Volk gegen die «geräuschlose Revolution» der RFID. «Unsere Maßnahmen sind global», erklärt die Gemeinsame Forschungsstelle, «und betreffen folgende Aspekte: die Durchführung von Informationskampagnen, die Respektierung der Privatsphäre bereits während der Konzeption eines Produkts, die Gewährleistung der Sicherheit der RFID-Systeme und die Forderung nach Ausbildungskampagnen, damit das Publikum den Gebrauch dieser Technologien erlernen kann.»3
Kommunikation, Information, Bildung
Drei Zauberworte zum Schlucken der bitteren Pille. Gixel empfiehlt, die Menschen bereits im Kleinkindalter an die neuen Technologien zu gewöhnen, es können jedoch noch weitere Wege zur sozialen Akzeptierbarkeit aufgeführt werden.
Um weitverbreiteten «karikaturhaften», «aufklärungsfeindlichen» oder sogar «auf Unkenntnissen basierenden» Protesten entgegenzuwirken, vermehren sich die Ethikausschüsse. Durch die simple Tatsache, dass unter Ausschluss der Öffentlichkeit moralische Fragen erläutert werden, sollen die mit den neuen Technologien einhergehenden Gefahren ausgelöscht werden. Der Ethikbegriff ist mittlerweile das Schlüsselwort für den Beitrag der Geisteswissenschaften an der gewaltvollen Durchsetzung von Neuerungen.
Mit sanfter Gewalt.
Die von diesen Ausschüssen erstellten Empfehlungen bleiben bei der Herstellung unbeachtet und werden im besten Falle als Warnung, als Ratschläge zur Gefahrenvermeidung oder sogar als Lernprospekt «zum Umgang mit Gefahren» in den Briefkästen verteilt, wie es in Grenoble geschah. Und als Feinstes vom Feinen gibt’s die Jodtablette für die Anrainer von Atomkraftwerken.
Ein Beispiel unter vielen. 2006 organisiert der französische Senat eine Anhörung zur Feststellung der sozialen und ethischen Implikationen der Biometrie. Nach 86 Seiten öffentlicher Anhörung schließt der Sitzungspräsident Christian Cabal mit den Worten: «Die Biometrie existiert und wird existieren, da bringt es überhaupt nichts, den ewiggestrigen Kampf einer Nachhut zu führen.» Diese Art der Gedankenführung ist mit der Erschaffung der CNIL, der Nationalen Kommission für Informatik und Freiheiten, zur Gewohnheit geworden. Seit 1978 kümmert sie sich um das technokratische Umdefinieren der Freiheit.
Auch ohne auf Details einzugehen, können weitere «Schlüssel zur sozialen Entriegelung» zitiert werden: die Bürgerdebatten, für ein breites Publikum organisierte Groß-Ereignisse (das Wissenschaftsfest Science en fête, Ausstellungen in der Cité des Sciences und im Frühjahr 2009 Futur(s) en Seine) oder der DNA-Experte, der in Krimiserien mittlerweile die feine Spürnase ersetzt.
Die Gesundheit ist ein beliebtes Argument und privilegiertes Einfallstor zur Akzeptanz todbringender Technologien: «In allen politisch delikaten Bereichen wird die Gesundheit als trojanisches Pferd benutzt,» erklärt Lucien, «es wird gesagt, dass den Menschen geholfen werden soll, zum Beispiel sollen angesichts der Schließung vieler Krankenhäuser die Kommunikationstechnologien helfen, mit den medizinischen Einheiten in Kontakt zu bleiben. Aber das ist ein Alibi, bei dem die soziale Akzeptierbarkeit eine Pufferrolle spielt. Tatsächlich werden Techniken entwickelt, die genauso gut dazu dienen können, Menschen nachzuspüren und zu überwachen.»
Werte
Letztendlich bleibt das Argument der Gesundheit heute das beste Mittel, jegliche Kritik an der wissenschaftlichen Forschung vom Tisch zu wischen. Aber man könnte sich auch fragen, warum Krankheit und Leiden um jeden Preis bekämpft werden sollen. Bestimmte Gesellschaftsformen können andere Werte über das Leben stellen: Ehre, Freiheit, Mut, usw. Wenn man versucht, den Wert gewisser wissenschaftlicher Fortschritte in Bezug auf soziale Rückschritte, die sie begleiten, in Frage zu stellen, wird man sofort im besten Falle als Reaktionär, im schlimmsten Falle als gefährlicher Feind der Aufklärung bezeichnet. Es ist heutzutage möglich, die medizinische Forschung als Rechtfertigung jeglicher Forschung hochzuhalten, egal welche Anwendungen – militärische, polizeiliche oder wirtschaftliche – entwickelt werden, eben weil das Leben als höchster Wert gilt. Es wird immer schwieriger, Krankheit oder Tod einen Sinn zu geben und die Riten, die sie begleiten können, werden ersetzt durch Versprechen der Wissenschaft.
Von den «großen Erzählungen» entfremdet, durch die man sich in einer gemeinsamen Geschichte aufgehoben fühlen kann, abgekehrt von den Göttern, enttäuscht von den «großen» Männern, die niemand wieder ins Leben rufen will, sucht dieses Jahrhundert einen Zufluchtswert mit unbestreitbarer Gültigkeit. Das Leben ist ohne Zweifel ein solcher Wert, es bringt Verfechter einer Lebenshygiene und Umweltschützer4 aller Art zusammen. Aber leben im biologischen Sinne reicht nicht aus. Der Wert unserer Existenzen kommt zuallererst vom Sinn, den wir in sie einzuschreiben vermögen, und von den Geschichten, die zu erzählen wir imstande sind. Diese Geschichten können wir Kulturen, Mythen, Religionen, Propaganda usw. nennen. 1928 schreibt Edward Bernays, ein Neffe Freuds und ein Alchimist seiner Konzepte, das Buch Propaganda5, in dem er für eine neue Dimension innerhalb von Machtbeziehungen eintritt: die «Public Relations».
Als Vorreiter der sozialen Akzeptierbarkeit verstand er es, Regierungen und Unternehmer von der Bedeutung guter Geschichten zur Gewinnung des Publikums zu überzeugen: «Der Public Relations-Berater greift den Launen der Öffentlichkeit vor und empfiehlt ein darauf ausgerichtetes Vorgehen, das entweder dem Publikum die Unbegründetheit seiner Befürchtungen und Vorurteile beweisen soll, oder das, wenn notwendig, Handlungsanweisungen zur Beseitigung der bemängelten Aspekte beinhaltet.»6
Marketing, Kommunikation, soziale Akzeptierbarkeit, kurz gesagt all das, was Bernays «Propaganda» nennt, werfen die Frage nach Wahrheit und Lüge in demokratischen Gesellschaften auf. Existieren psychologische Lügen- und Manipulationstechniken, die imstande sind, Menschen in die freiwillige Knechtschaft zu locken? Müssen wir systematisch Staatslügen und Manipulationsstrategien der multinationalen Unternehmen nachspüren, um uns dem Einfluss der Mächtigen zu entziehen, um an Freiheit zu gewinnen?
Wahrheit
Es scheint, dass Wahrheit allein für Freiheit nicht ausreicht. Wie viele politische und finanzielle Skandale, Staatsverbrechen und Gewalttaten multinationaler Unternehmen machen von sich reden, ohne dass sozialer Fortschritt stattfindet? Ganz im Gegenteil, das aktuelle System hat gelernt, sich durch Kritik und Entrüstung eher noch zu stärken. Die Freiheit, alles aussprechen zu dürfen, bei gleichzeitigem Überfluss an Informationsmitteln und -wegen, schlägt sich in einem allgemeinen Stimmengewirr nieder, das nur der Legitimität der Machthabenden durch den Anschein von Demokratie dient, während kein ernstzunehmender Angriff gegen sich dagegen Gehör verschaffen kann.
Die Wahrheit zu sagen, ist nicht wirklich wichtig. Hauptsache ist es, den Schein zu bewahren – dies ist ein Bereich, in dem die Kommunikationsexperten glänzen. Die Staatschefs, ebenso wie die großen Unternehmen, verdanken ihr Ansehen den Geschichten, die sie dem Publikum auf seiner Suche nach Sinn auftischen.7
Die politische Schlacht findet nicht auf dem Terrain der Wahrheit mit seinen nicht enden wollenden, sinnleeren Gegengutachten statt, auf dem letztendlich nur diejenigen gewinnen, die über genug Zeit und Geld verfügen. Die wirkliche Konfrontation spielt sich anderswo ab, nämlich dort, wo sich das Menschsein in der Fähigkeit, Geschichten zu erfinden und zu erzählen, auszudrücken vermag. Erzählungen, die den Menschen heute, da sie mitten in der «größten sozialen Schinderei aller Zeiten»8 stecken und von ihnen erwartet wird, das technologie- und wissenschaftsgläubige Ideal anzuhimmeln, einen Sinn gibt. Seit den Mythologien der Antike betrifft dieser Krieg die Gegenstände der Religion, der Philosophie, der Geschichte und der «Aktualität».
Mit der sozialen Akzeptierbarkeit erscheint eine neue mythenhafte Figur: die Technologie. In ihr liegen alle Antworten auf unsere Fragen, alle Lösungen für unsere Probleme: soziale, physiologische, psychische, politische. Vom Mittel zu unserem Nutzen ist die Technik ein Zweck an sich geworden, ein Mittel gegen alles Böse. Diese
Fiktion soll unsere Zukunft ersetzen. Aber wir, die wir nicht an diese fabelhafte Geschichte glauben, nicht weil sie falsch ist, sondern weil sie hohl klingt, werden wir in der Lage sein, unsere eigene – ganz banale– Geschichte zu erfinden?