Der Frauenstreik in der Schweiz

von Constanze Warta und Claude Braun, EBF, 01.05.2019, Veröffentlicht in Archipel 283

Am 14. Juni 2019 wohnten wir der grössten politischen Mobilisierung in der Schweiz seit dem Generalstreik von 1918 bei. Im Archipel 281 berichteten wir über die Hintergründe und die Forderungen des Frauenstreiks. Sowohl die politische Situation auf der Welt und in der Schweiz als auch eine noch nie dagewesene Breite des Vorbereitungsbündnisses führten dazu, dass insgesamt über eine halbe Million Menschen in beinahe allen Städten der Schweiz auf die Strasse gingen. Die Liste der Städte und die Anzahl der Demonstrierenden und Streikenden sind viel zu lang für diesen kurzen Bericht. Einige grosse nationale Kundgebungen hatten in den letzten Jahrzehnten an die 50‘000 Menschen zu einem Thema zusammenbringen können, z.B. der Fichenskandal 1990 oder Tschernobyl 1987. Anfang des Jahres konnten die Klimastreik-Demonstrationen der zumeist jungen Protestierenden an die 100‘000 zur Teilnahme bewegen. Nun waren es aber zum Frauenstreik gleich fünf beziehungsweise zehn Mal mehr. Ein ungeheurer Erfolg! Aber nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Proteste war absolut einmalig. Die Breite der Forderungen, die altersmässige und soziale Durchmischung der Protestierenden und die Mischung aus Wut, Witz und Solidarität waren beeindruckend. Für alle Teilnehmenden wird dieser Anlass sicherlich eine unvergessliche Erinnerung und Energiequelle sein – dieser Tag hat sich als motivierender Schub in unzähligen Bäuchen und Köpfen eingeprägt.

Veränderungen

Wir sind wie viele andere davon überzeugt, dass diese Mobilisierung für die Rechte der Frauen einiges verändern wird. Es ist ja schon seit einiger Zeit spürbar, dass die politische Agenda zum Teil von dieser Thematik geprägt und bestimmt wird. Der Ständerat hingegen, mit seinen mehrheitlich älteren, weissen Herren, hat die Notwendigkeit weitgehender Veränderungen noch nicht in wegweisende Entscheide münden lassen und sich vorläufig nur zu kleinen Zugeständnissen bezüglich Vaterschaftsurlaub und Vertretung von Frauen in der Wirtschaft durchgerungen. Eine Aktivist·in-n·en-Initiative, die eine Unterschriftensammlung für eine 24-wöchige Elternzeit, zusätzlich zum heute geltenden 14-wöchigen Mutterschutz, angehen will – für besagte Herren bis heute eine unvorstellbare Idee – wird nun sicher ihren Weg machen. Und hier ein paar der auf verschiedene Weise ausgedrückten Forderungen zur Illustrierung: «Schluss mit dem Patriarkater»; eine behinderte Frau im Rollstuhl trug das Plakat «Jahrgang 1929. Es eilt!», «Herrschaft Frau streikt»; katholische Frauen trugen die Aufschrift «Vatikan – Mutti auch»; «We can strike back» mit einer Popeye-verwandten Figur; «Lieber Gleichstellung statt später» und zu guter Letzt der Klassiker, der bereits 19911 stark sichtbar war: «Wenn Frau will, steht alles still».

Constanze Warta und Claude Braun, EBF