Bure – Widerstand gegen eine tödliche Technologie

von Ray Chinon und Friedhelm Dubois, 01.03.2019, Veröffentlicht in Archipel 279

Die Atomindustrie bemüht sich darum, ihr Vorhaben salonfähig zu machen: Die gefährlichste Kategorie von Atommüll soll in Bure an der Maas vergraben werden. Aber der Kampf gegen das Cigeo-Projekt1 und die dahinter stehende todbringende Ideologie ist, trotz der Militarisierung des betroffenen Gebietes, noch längst nicht verloren.2

Vom Golf von Lagos nach Lothringen

Wirtschaftlich wie politisch verkörpert sich die französische Staatsraison in der Kernenergie. Das Prozedere der «öffentlichen Debatte», das Fortbestehen kolonialer Unterdrückungsmuster wie auch die Repression gegen Widerständige arbeitet auf eine diesem Trugbild genehme Zukunft hin; für die Erde und ihre Bewohner·in-nen stellt das jedoch eine unmittelbare Bedrohung dar.

In den Minen im Niger gewinnen Unbekannte unter Bewachung der französischen Armee das strahlende Gestein, dessen endlose Odyssee hier beginnt. Über verschiedene afrikanische Häfen wird es nach Nordeuropa verschifft und überquert dabei jene Tiefseegräben, bei denen der Atommüll früher noch ganz offiziell über Bord ging. Von Hamburg aus werden die Container voller «Yellow-Cake» dann auf Schienen und Strassen geschickt und durchqueren unter anhaltenden Protesten – siehe die jüngsten Blockaden im Rheinland – die Beneluxländer und Frankreich. In den Corbières (Südfrankreich) wird das Gestein umgewandelt und daraufhin in Fabriken am Ufer der Rhône und der Durance geliefert. Nach der Aufteilung für militärischen und zivilen Gebrauch werden die verwendbaren Materialien, ob brennbar oder explosiv, schliesslich an Militärbasen und Reaktoren in Frankreich und in der ganzen Welt verteilt. Das grosse Problem des Sektors bleibt die Endphase, denn Zehntausende von Kubikmetern unkontrollierbarer Abfälle suchen vergeblich nach ihrem «endgültigen» Aufenthaltsort. Mit Entschlossenheit arbeitet die Regierung daran, das Cigeo-Projekt an der Maas mit einer Gemeinnützigkeitserklärung auszustatten – dem letzten nötigen Schritt, um die grosse Mülltonne fertigzustellen und eine getäuschte Bevölkerung auf legislativer Ebene in Schach zu halten. Nach der Errichtung einer Deponie für «mässig» strahlende Abfälle in Soulaines will der Staat nun, koste es was es wolle, den «Rest» der mehr als 80‘000 Kubikmeter hochgefährlichen Materials in der Gemeinde Bure vergraben.

In Lothringen gelang es in den lezten 25 Jahren den wachsenden Wiederstand durch dessen Kriminalisierung, durch Geld, falscher Propaganda und intensiver Militarisierung zu schwächen. Seit drei Jahren werden Besetzungen und Protestaktionen zunehmend gewaltsam aufgelöst und unterdrückt. In einem Landstrich, der bereits ein Jahrhundert lang von Krieg und Agrarindustrie verwüstet wurde, gelang es trotz tausender engagierter Menschen bisher nicht, den Absichten der Regierung und der EdF (Électricité de France) entscheidend entgegen zu treten.

Die Propaganda und das Schwert

Die Regierung hat seit dem Start der Kernenergie in den 1950er Jahren das Bewusstsein der Bürger·innen eingehend bearbeitet und alle verfügbaren Medien dafür genutzt. Auch nachdem das Thema in den 1970er und 1980er Jahren demokratisiert, breiter diskutiert und bekämpft worden war, konnte dieser Sektor eine tief gehende Akzeptanz schaffen. Frankreich und die Vereinigten Staaten befinden sich in einem Wettbewerb um den «Grossen Preis für ‚demokratischen‘ Anti-Ökologismus».

«Sich gewaltsam durchsetzen, aber subtil bleiben» – so klingt die Entschlossenheit der Atomlobbyisten, die alle Karten ausspielen, um das Cigeo-Projekt in 500 Metern Tiefe im Ormançon-Tal fertig zu bekommen. Ursprünglich «Labor» genannt, spielten die EdF-Semantiker zunächst die Karte «Wissenschaft und Fortschritt» aus. Aber die Technokraten hatten sich vor allem für eine dünn besiedelte Region entschieden, einst von Kriegen heimgesucht und möglichst weit weg von jedem möglichen Widerstand. Ist es ein Eingeständnis der drohenden Gefahr, mitten im «Nirgendwo» die Abfälle zu vergraben? Wurde die Maas gewählt, um eine grosse soziale Mobilisierung zu vermeiden, die sich der Gefahren und der Manipulation des Staates und der astronomischen Mittel seines institutionellen Instruments ANDRA3 bewusst sein könnte? Diese Agentur, die für die Atomabfallwirtschaft zuständig sein soll, ist vor allem ein Gewissensmanager und über die technische Umsetzung hinaus für die Bevölkerungsverwaltung zuständig. So ermöglicht die Einrichtung eines GIP 4 den Kauf von Gemeinden und die legalisierte Korruption. Der Gewissenskauf geht bis in die Gemeinderäte, deren Mehrheit es vorzieht, künftige Generationen zu gefährden und mit «Arbeit und Fortschritt» zu argumentieren, und dabei fett einzukassieren.

Auf legislativer Ebene soll eine in diesem Jahr eingeleitete «öffentliche Debatte» die allgemeine Zustimmung erzwingen. Anhand einer Flut von Werbekampagnen geht es darum, die Bevölkerung in Gleichschritt zu bringen. Diese Mafiamethoden werden mit so intensiven polizeilichen, militärischen, rechtlichen und nachrichtendienstlichen Praktiken kombiniert, dass kein Zweifel an der Art von Antworten bestehen kann, welche die französische Atomlobby für unlösbare Fragen bereithält. Den Demonstrationen der letzten Jahre wurde mit brutaler Gewalt begegnet. Mehrfach-Verurteilungen von Aktivist·inn·en werden immer häufiger, oft mit Haftstrafen, entweder auf Bewährung oder im geschlossenen Vollzug, sowie zahlreichen lokalen Aufenthaltsverboten bestraft. Die ständige Jagd und der tägliche Terror prägen das Leben der Bewohner·innen der Region. Die Zwangsräumung des Waldes durch 500 mobile Gendarmen vor einem Jahr, oder jene eines von der Widerstandsbewegung besetzten Feldes, wie auch wiederholte Hausdurchsuchungen werden im Süden des Maas-Gebietes zur Norm. Das Widerstandshaus BZL (Bure Freizone) war Ziel von drei Razzien in nur einem Jahr.

Wer sind die Kriminellen?

Wer sind hier die Verbrecher? Die Antwort ist eindeutig angesichts der Gefahr, die von dieser tödlichen Industrie und den unzähligen giftigen Fässern ausgeht, die sie zurücklässt, ohne an morgen zu denken. Fässer, die New Mexico verseuchen, nachdem das Hauptlagerzentrum in den Vereinigten Staaten aufgrund eines Grossbrandes ausgefallen war. Fässer, die den Untergrund und das Grundwasser in Norddeutschland nach der Flutung ehemaliger Müllbergwerke wie Asse bestrahlen. Aber das System, in dem wir leben, will, dass es Bäuerinnen und Bauern sind, die vor Gericht kommen, junge Ökolog·inn·en, vor Ort Wohnende sowie Nomad·inn·en, kurzum, all jene, die zur Atomkraft «nein» sagen. Eine Industrie mit anrüchigen Verwicklungen, vom Meiler in Fessenheim bis zum Druckreaktor in Indien, wo Frankreich seine Vorherrschaft durch steigende Exporte ausbaut. Wer sich nicht dem Diktat des Atomkapital beugt, wird überwacht, eingesperrt und verfolgt.

Seit 2017 versucht das Untersuchungsgericht von Bar-le-Duc, unsere Freunde an der Maas in eine «kriminelle Vereinigung» umzumünzen. Mindestens sieben Angeklagte unterliegen aberwitzigen gerichtlichen Kontrollen, die ihre Bewegungsfreiheit einschränken und sie daran hindern, sich gegenseitig zu sehen. Trotz gähnender Leere in den Akten verfolgt und verurteilt die politische Justiz, obwohl die ANDRA und die korrupten Politiker ·innen der Region sich selbst einen Dreck um die geltenden Gesetze scheren. Mit Hilfe von Polizei und Geld drehen sie diese zu ihren Gunsten. Die Sturheit, mit der das Cigeo-Projekt in Bure verfolgt wird, drückt sich in skandalösen, freiheitseinschränkenden Massnahmen aus und betreibt die Kriminalisierung unseres organisierten und entschlossenen Wiederstandes.

Der Kampf geht weiter!

Es ist klar, dass technische Lösungen für die Lagerung sowie für den Rückbau von Meilern und Armeen gefunden werden müssen, die einen gewissen Realismus erfordern. Aber es wird nie eine ehrliche Debatte mit Industrien und Staaten geben, die sich im Namen des Profits mittels Fortschritts- und Wachstumslügen die Fortsetzung und Ausweitung der Produktion einer globalen Gefahr aufs Banner geschrieben haben.

Der Hack des Pariser Unternehmens Ingérop5, der im Sommer 2018 zur Unterstützung der Repressionsopfer veröffentlicht wurde und die Schwachstellen von Gefängnissen, Kraftwerken und Endlagerprojekten in Frankreich und auf der ganzen Welt an den Tag legt, ist eine Aktion, die bewies, dass auch der Widerstand gute Karten auszuspielen weiss. Obwohl diese Aktion auch auf internationaler Ebene zu Repressionen führte, hat sie die Angreifbarkeit der angeblich hochsicheren Technokratie gezeigt.

Der Kampf gegen Cigeo muss intensiviert werden und weiterhin Teil einer Kritik am zerstörerischen westlichen Imperium sein, das an Visionen nur die Apokalypse kennt.

Seit Dezember 2018 touren wir mit einer Vortragsreihe durch Ostfrankreich6, die über die verschiedenen Aspekte des zentralen Projekts der Andra und seine Folgen informiert. Die im Januar gestartete «Atomik’Tour»7 wird mehr als 50 Orte in Frankreich besuchen, um eine «populäre und selbstverwaltete Debatte» gegen die staatliche Propaganda zu eröffnen. Sie wird mit dem Festival der Bure’lesques8 im August in Bure enden. Darüber hinaus wurden rechtliche Schritte gegen Cigeo eingeleitet, die zumindest vorübergehend erreicht haben, dass der Verkauf des während Jahren von Gegner·innen des Projekts besetzten Lejuc-Waldes aufgehoben wurde. Dieser Verkauf an die Andra war von der Gemeinde Mandres-en-Barrois hinter verschlossenen Türen und unter dem Schutz privater Wachen derselben Andra-Agentur beschlossen worden. Letztendlich ist es die Vielfalt der Protestaktionen gegen diese Maschinerie entscheidend dafür, ob kritische Debatten über die Zukunft der Kernenergie in Frankreich und dem Rest der Welt weiterhin möglich sind oder nicht. Die Versuche, die schädlichste Industrie der Welt zu legitimieren, müssen um jeden Preis ans Licht der Öffentlichkeit kommen und verhindert werden.

Ray Chinon und Friedhelm Dubois

  1. CIGEO, Centre industriel de stockage géologique (Industrielles geologisches Lagerzentrum): das grösste Industrieprojekt Europas, das im südlichen Maasgebiet ausgehoben wird, um radioaktives Material für 100.000 Jahre zu lagern.
  2. siehe auch Archipel 269: «Bure, Widerstand gegen die Atomlobby» und 276: «Zwang gegen Atomgegner·innen»
  3. ANDRA ist die nationale Agentur für die Entsorgung radioaktiver Abfälle.
  4. Das GIP, Groupement d‘Interet Public (Vereinigung für Gemeinnützigkeit), ist der Akteur, der zig Millionen Euro an die vom Cigeo betroffenen Départements verteilt.
  5. Der so genannte «Ingérop»-Computerangriff im Jahr 2018 richtete sich gegen ein französisches Ingenieurbüro, das dadurch unzählige Dokumente verlor – von Plänen für den Bau von Kernkraftwerken und Gefängnissen bis hin zum geplanten Cigeo-Standort in Bure.
  6. Die Website bureburebure.info informiert über aktuelle Termine.
  7. Die Atomik‘Tour organisiert eine populäre und selbstverwaltete Debatte über die Atomfrage und wird bis August 2019 mit mehr als 50 Etappen durch Frankreich reisen. Alle Termine: atomik-tour.org
  8. Das Bure’lesques-Festival findet am 9., 10. und 11. August in der Nähe von Bure statt: burefestival.org