ANDALUSIEN: Streik im Gewächshaus

von Dorothea Hellenthal, Junge Welt, 10.09.2019, Veröffentlicht in Archipel 285

Seit Anfang September 2019 streiken Landarbeiter·innen in der andalusischen Gemüseproduktion, um gegen unmenschliche Bedingungen in den Gewächshäusern zu protestieren.1 Bei Redaktionsschluss war der Arbeitskampf noch nicht beendet.

Am frühen Montagmorgen des 9. September treffen sich 30 Arbeiter und Arbeiterinnen vor dem Tor einer eingezäunten Plastik-Gewächshauslandschaft in Almería. Doch heute gehen sie nicht arbeiten, heute wird gestreikt. «Wir streiken schon seit zehn Tagen, doch die Geschäftsleitung macht keinen Schritt auf uns zu», sagt Farah, eine der Agrararbeiterinnen. Die Gewächshäuser, in denen Farah und ihre Kolleg·inn·en arbeiten, gehören zum Gemüseproduzenten «Godoy Hortalizas», der in 25 Länder in Europa exportiert. Spezialisiert ist er auf Paprika – die wir auch hier in Deutschland im Supermarkt kaufen können. Einige Arbeiter·innen der Firma hatten sich bereits Ende 2018 an die Gewerkschaft Sindicato Andaluz de Trabajadores (SAT) gewandt2, um gegen die verschiedenen Arbeitsrechtsverstösse vorzugehen. Im Januar kam es dann zum Streik. Die Beschäftigten forderten die Einhaltung des Mindestlohns, der damals noch 5,70 Euro pro Stunde betrug, sie bekamen bis dahin aber nur 4,10 Euro ausgezahlt. Ausserdem wurden Pausenzeiten nicht eingehalten, es wurden keine festen Arbeitsverträge vergeben (obwohl dies nach zwei Jahren verpflichtend ist) und die Anfahrt wurde nicht vergütet. (…) Der Produzent rief fünf der Beschäftigten, die in der Gewerkschaft aktiv sind, nicht zur neuen Arbeitssaison auf, obwohl er rechtlich dazu verpflichtet ist. «Die möchten uns loswerden», sagt Ahmad, einer der Betroffenen. Ausserdem weigere sich der Unternehmer, den neuen Mindestlohn von 6,90 Euro pro Stunde auszuzahlen. «Es gibt keinen Ort, an dem wir essen können. Die Vorarbeiter behandeln uns wie Hunde, und es gibt zu wenig sanitäre Einrichtungen. Wir sollen dafür zwischen die Pflanzen gehen», erzählt Ahmad aufgebracht.

Einschüchterung und Drohung

Die Stimmung vor dem Tor ist gereizt. Einige Minuten zuvor ist ein Vorarbeiter durch das Tor gefahren, vor dem zwei Sicherheitsleute zum Schutz der Firma postiert sind; im Auto hatte er neue Beschäftigte. «Die arbeiten hier nicht; das ist illegal!», rufen die Streikenden durch ein Megafon. Und damit haben sie Recht. Das spanische Streikrecht verbietet ganz klar, während eines Streiks neue Arbeiter·innen einzustellen. «Sie haben keinen Arbeitsvertrag», betont einer aus der Gruppe. Wenige Minuten später kommt der zweite Vorarbeiter. Die Streikenden wollen ihn aufhalten. Er wird nervös, streift mit dem Auto einen von ihnen, auf einen anderen fährt er direkt zu. Der Arbeiter rettet sich durch einen Sprung zur Seite, dabei verletzt er sich am Bein. Die Beschäftigten sind schockiert über dieses Vorgehen und erstatten Anzeige bei der Polizei, die kurz danach vorbeikommt. Doch das ist längst noch nicht alles. Die Geschäftsführung von Godoy Hortalizas versucht mit allen Mitteln, den Streik zu brechen, und schreckt dabei nicht vor Gesetzesbrüchen zurück. Einzelne Arbeiter·innen berichten, dass sie von Vorarbeitern zu Hause besucht und eingeschüchtert wurden, andere haben Kündigungsdrohungen erhalten. Die Streikenden haben mehrere Beschwerden bei der Arbeitsinspektion eingereicht, die Guardia Civil war mehrere Male vor Ort, doch gab es keine Reaktionen von Seiten der Behörden. Stattdessen wurden immer wieder Unterlagen und Papiere der Streikenden kontrolliert. (…)

«Wirtschaftswunder»

Die Politik schlägt sich auf die Seite der Unternehmen und erklärt die Region zum Wirtschaftswunder. Kaum jemand berichtet über die Arbeitsverhältnisse in den Gewächshäusern. Zuständige Behörden sind überfordert und werden ihrer Aufgabe kaum gerecht. Und auch die grossen Gewerkschaften wollen sich nicht einmischen. So ist hier eine Art rechtsfreier Raum entstanden. Wenn die Arbeiter·innen die Einhaltung des Gesetzes fordern, werden sie für verrückt erklärt. «Das Gesetz geht mir am Arsch vorbei!», ruft ein Unternehmer in einem Video, das im März heimlich aufgenommen und von der Gewerkschaft veröffentlicht wurde. Um das Gesetz zu umgehen, wird bei den Lohnabrechnungen getrickst, ein Netz aus Subunternehmen gesponnen, das kaum noch zu durchblicken ist, und Agrararbeiter·innen gezwungen, Papiere zu unterschreiben, die sie nicht verstehen. Aber auch wenn Arbeitsrechtsverstösse aufgedeckt werden, kommt es nur selten zu Reaktionen, und Gerichtsverhandlungen dauern lange, zu lange für viele Beschäftigte. Also bleibt nur die Möglichkeit, sich zusammenzuschliessen, um seine Rechte einzufordern. Vor dem Tor der Gewächshauslandschaft werden jetzt Pavillons und Stühle aufgebaut, überall wehen Transparente und Flaggen im Wind. Es gibt Frühstück, süssen Minztee, marokkanische Msemen und Honig. Auch wenn das Geld knapp wird und die Gewerkschaft keine Möglichkeiten hat, Streikgeld zu zahlen, wird weiter gestreikt. «Entweder wir arbeiten alle oder es arbeitet niemand», ruft Farah entschlossen über das Tor hinweg.

  1. Archipel übernimmt in gekürzter Form den Artikel aus der «Jungen Welt» vom 10. September 2019. Der vollständige Artikel findet sich unter: https://www.jungewelt.de/artikel/362525.agrarproduktion-streik-im-gewächshaus.html Mehr Informationen über die Solidarität mit den Streikenden unter: https://kurzlink.de/Interbrigadas
  2. Die SAT ist eine Erweiterung der andalusischen Landarbeiter·innen-Gewerkschaft SOC und vertritt nicht nur Arbeiter·innen aus der Landwirtschaft, sondern aus verschiedenen Bereichen der Wirtschaft.

Die Situation bei Godoy Hortalizas ist beispielhaft für die ganze Region Almería, im Süden Andalusiens. In den letzten 40 Jahren ist hier Europas Hochburg der Treibhausgemüseproduktion entstanden. 35‘000 Hektar Fläche sind bedeckt mit Gewächshäusern. Über 100‘000 Menschen arbeiten hier in der Landwirtschaft, 90 Prozent davon sind Migrant·inn·en. In kaum einem Betrieb wird der Mindestlohn bezahlt, es gibt keine Arbeitsplatzsicherheit oder Sozialversicherungen. Viele Menschen arbeiten weit mehr, als die erlaubte Arbeitszeit vorgibt. Die Arbeiter·innen werden schlecht behandelt und diskriminiert. Kaum ein Ort zeigt so klare Ausbeutungsverhältnisse innerhalb Europas wie das Plastikmeer um Almería.