Ein buntes Stimmengewirr klingt aus der Holzmengener Kulturscheune heraus. Hier im Harbachtal, zu Gast beim Verein Hosman Durabil, versammeln sich Mitte Februar über zwanzig Teilnehmer zu einem Workshop, um das Tourismuspotential für ihre Region neu zu denken. Sie wollen keinen Massenandrang, sondern eine Ergänzung zu ihren vor Ort gewachsenen Einkommensmöglichkeiten – die einen als Reitlehrer, die andern als Milchschaf-Halter.
Eingeladen hat das Forum Offene Landschaft, auf rumänisch: Peisaj Deschis. Es ist eine Plattform, die über ein Projekt zu Bürgerengagement mit dem Regionalentwicklungsverein GAL Microregiunea Hârtibaciu ins Leben gerufen wurde. Die Harbachregion, berühmt für pittoreske Kirchenburgen, ist als eine mittelalterlich geprägte Kulturlandschaft berühmt geworden. Über hunderte Kilometer Hügelland erstreckten sich malerische Weidelandschaften, mit Schafherden und riesigen Hutungseichen. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens 2007 steht das gesamte Hochland unter dem Schutz der europäischen Natura2000-Richtlinien für Vogelschutz und besondere Pflanzen- wie Tierarten. Doch in die malerische Landschaft hatten sich bereits seit den 1990er Jahren westeuropäische Agrarinvestments eingeschlichen. Die Abwanderung sich ebenso zunutze machend wie die Kellerbodenpreise, kauften sie - anfangs über Strohmänner – Tausende von Hektaren Acker- und Weideland in der Region auf. Was anfangs belächelt wurde, bekam in den letzten zehn Jahren ein hässliches Gesicht: Wie hässliche Narben zerschneiden Zäune die gesamte Landschaft, blockieren Wege, zwingen bedrohte Grossäugetiere wie Bären und Luchse zu gefährlichen Umwegen. In Folge verschärfe sich, so beschreiben es die Veranstalter, der Konflikt zwischen Tier und Mensch.
Das Forum Peisaj Deschis will dazu die Diskussion anstossen. Die Stimme des Forums ist eine Neue in der Region. Die bayrische Landschaftsarchitektin Viktoria Luft kam auf Umwegen kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie nach Siebenbürgen. Die brachiale Einzäunung der Kulturlandschaft erkannte sie bald schon als Gefahr auch für die Entwicklungsmöglichkeiten der Lokalbevölkerung. Öffentliche Interessen seien durch privatwirtschaftliche gefährdet.
Exkurs: Als Rumänien 2007 der EU beitrat, gingen viele junge Leute der höheren Löhne wegen ins westliche Ausland. Die Alten blieben ohne Nachfolger und Arbeitskräfte zurück. In dieser Situation begannen sie, das Land zu verkaufen. Mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation jedoch, zieht es etliche wieder zurück und manche wollen sich auch wieder der Landwirtschaft widmen – nur gibt es kein Land mehr zu kaufen. Zudem sind die Preise auch dadurch in die Höhe getrieben worden, dass internationale Unternehmen begonnen haben, den Boden des Landes zu monopolisieren. Kleinbauern haben schon jetzt kaum noch die Möglichkeit, Land zu kaufen. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft wird von der Politik, die auf die Liberalisierung der Land-, Agrar- und Nahrungsmittelmärkte abzielt, weder ausreichend geschätzt noch unterstützt. Das alles führt zu einer schleichenden Entfremdung der Dorfgemeinschaften zu Landschaft und Boden und einer Umwandlung der Region in ein agrarindustrielles Produktionsgebiet. Da sie nur wenig Arbeitskraft braucht, bringt sie keine wirtschaftliche Verbesserung für die ansässige Bevölkerung. Ganz im Gegenteil, meinen Fachpublikationen schon seit Jahren zum Thema: sie nimmt den ländlichen Regionen Entwicklungsperspektiven.(1)
Heute aber sollen Alternativen gesucht werden. Die Mitarbeitenden des Forums verteilen Karten der Region, legen transparentes Papier darüber und ermutigen die Workshop-Teilnehmer*innen, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Sie sollen aufzeichnen, wie sie sich das Harbach-Hochland in vierzig Jahren vorstellen. Die Moderatorin Ruth István – Siebenbürgen-Rückkehrerin und Tourismusexpertin – sieht eine Diversifizierung der touristischen Angebote im Harbach-kommen: „Ein so grosses Interesse aus der Region erfreut mich. Das mangelnde Interesse der öffentlichen Seite – nur von Birthälm kam ein Rathausvertreter – bleibt ein bekannter Wermutstropfen.“ Eine breite Palette von Aktivitäten ist die Besonderheit der Region und müsse sowohl in der Selbstwahrnehmung als auch in der Vermarktung hervorgehoben werden. Immer wieder betonten die Teilnehmer den partizipatorische Charakter, durch den eine Win-Win-Situation generiert würde und der dem Touristen eine gesteigerte Erlebnisqualität bietet.
Im Rahmen seiner Arbeit hat das Team von Peisaj Deschis viel mit den Menschen im Harbach-Hochland gesprochen. „Siebzig Interviews haben wir auf den Dörfern geführt“, berichtet Viktoria Luft. „Das war sehr interessant für uns. Eine Kulturlandschaft kann ohne die Menschen, die das Land bearbeiten, nicht erhalten werden. Leider ist es in der heutigen Zeit nicht gerade leicht, sich als Kleinbauer oder -produzent über Wasser zu halten - es gibt zu wenig Unterstützung. Tourismus bietet die Chance, über Direktvermarktung oder andere touristische Angebote etwas dazu zu verdienen und mehr für die Produkte zu bekommen. Im Rahmen des Workshops wollen wir mit Akteuren aus dem Tourismus über ihre Visionen und Gedanken diskutieren.“
Den Teilnehmer innen des Workshops ist die Verbundenheit mit Region anzumerken. Und das, obwohl das Verhältnis Alteingesessener und Zugezogener fast gleich ist. Die hier am Harbach Gebliebenen sind vielleicht etwas traditioneller – die „Neuen“ etwas stürmischer in ihren Ideen. Beides zusammen schafft jedoch eine erfrischende Dynamik. Einige der Teilnehmenden haben in den letzten Jahren begonnen, sich Einkommensquellen aus dem Tourismus zu erschliessen. Diese Entwicklung beginnt allmählich einen ernsthaften Platz in der lokalen Wirtschaftsstruktur einzunehmen – es gibt zahlreiche Gästehäuser, Netzwerke kleiner lokaler Produzentinnen, Reit- und Radtouren, kulturelle Angebote und noch anderes. Und mit Colinele Transivaniei gibt es auch schon eine Art übergeordnete Tourismuskoordination für die Region. Die Anwesenden sind sich einig, dass in den lokalen Produkten und den Dörfern noch grosse Potentiale schlummern. Entscheidend wird sein, wie es gelingt, beide Seiten vorteilhaft zusammenzubringen. Das Forum Peisaj Deschis soll auch dabei konkrete Unterstützung leisten, indem beispielsweise Beratungsarbeit geleistet wird wie zur Einrichtung einer Besenwirtschaft, einem hier punct gastronomic local genannten kleinen Restaurant.
Am späten Nachmittag endet der Workshop. Natürlich bleiben Fragen. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüche hinterlassen ihre Spuren an der einzigartigen Landschaft des Harbach-Hochlands. Welche Zukunft ihr gegeben ist, liegt in den Händen vieler – gut ist, dass sich die Leute aber weiterhin Gehör verschaffen wollen und Platz für alternative Entwicklungen sichern wollen, die in der Breite spürbar sind.
(1) Vgl. dazu u. a. J. Bouniol: L’accaparement des terres en Roumanie, menaces pour les territoires ruraux. 2013. sowie Eco Ruralis Land grabbing in Romania Report 2015