WECHSELKLIMA: Keine Langeweile in Hamburg

von Dieter A. Behr (Wien, Oktober 2008), 01.12.2008, Veröffentlicht in Archipel 165

Zwischen 16. und 24. August fand dieses Jahr in Hamburg ein Widerstandscamp statt, bei dem die beiden Themenkomplexe Klimawandel und Antirassismus behandelt wurden. Dieses «Doppelcamp» war das erste dieser Art; in den Jahren davor fanden Antira- Camps – meist aus dem Umfeld des Noborder-Netzwerks – einerseits, und Ökologie-Camps – wie z.B. das Klima-Camp in Heathrow – andererseits getrennt und meist ohne inhaltliche Bezugnahme zueinander statt.

Der erste Schritt in Richtung einer breiteren Themen und Spektren übergreifenden Auseinandersetzung zu Klimawandel und Migration/Antirassismus wurde allerdings bereits bei der Mobilisierung gegen den G8- Gipfel in Heiligendamm 2007 gesetzt. Am stärksten kam diese Querverbindung damals beim Aktionstag zum Thema Landwirtschaft zum Ausdruck.

In diesem Rahmen wurden also innerhalb der radikalen Linken wieder Themen aufgegriffen, die – völlig zu unrecht - lange Zeit als verstaubt, unpopulär oder bürgerlich galten. Der Medien-Hype rund um den Klimawandel, der im Frühjahr 2007 einsetzte, ließ es logisch erscheinen, die Chance zu nutzen, dieses Thema endlich von Links zu behandeln, nachdem das Politikfeld Ökologie spätestens seit Ende der 80iger Jahre und dem praktischen Ende der Trikont-Soli-Bewegung zu weiten Teilen den NGOs und den Grünen überlassen worden war.

Der Slogan «für ein ganz anderes Klima» war in diesem Sinne also äußerst gut gewählt.

Zurück zu Hamburg: Das Camp, das in einem Außenbezirk auf einer Brachfläche angesiedelt war, versammelte ca. 1000 Aktivist-Innen. Im Vorfeld war um die Durchführung des Camps hart gerungen worden und auch während der Aktionstage kam es im Hamburger Senat zu Konfrontationen zwischen den Fraktionen, die zum Teil bizarr wirkten. Die sozialdemokratische Opposition ließ keine Gelegenheit aus, das Antira- und Klimacamp zu diskreditieren und der Hamburger Juso-Vorsitzende machte sich lächerlich, indem er forderte, das «Terror-Camp» müsse sofort aufgelöst werden.

Das Antira- und Klimacamp zeichnete sich eindeutig dadurch aus, dass sich keinE TeilnehmerIn beschweren konnte, dass es zu wenige konkrete und kreative Aktionen gegeben hätte. Der Tagesplan der meisten AktivistInnen war tatsächlich voll – und zwar tendenziell eher mit Blokkaden und Besetzungen als mit Diskussionsrunden (was keinesfalls heißen soll, dass letztere bei derartigen Mobilisierungen nicht wichtig wären).

Die Supermarkt-Aktion unter dem Motto «Reclaim your Market» bei einem Aldi - Markt in der Innenstadt Hamburgs, an der ca. 300 AktivistInnen teilnahmen, thematisierte ökologische Zerstörung und Klimawandel durch industrielle Landwirtschaft, die sklavereiähnlichen und rassistischen Ausbeutungsstrukturen in der Produktion von Lebensmitteln – insbesondere bei Obst und Gemüse – sowie die repressiven Arbeitsbedingungen in den Supermarktfilialen. Überraschend besuchten rund 25 Möhren und Rettiche den Supermarkt und eigneten sich mehrere Obst- und Gemüsekisten sowie Schokolade an. Draußen gab es eine Vielzahl von Redebeiträgen, auf dem Dach wurde ein Transparent mit der Aufschrift: «Globale Soziale Rechte aneignen!», «Supermärkte = Klimakiller» sowie «Luxus für alle = Bio für alle» entrollt.

Beim Aktionstag gegen die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX in Lübeck demonstrierten 550 Menschen vor der Polizeiakademie und zogen später mit einem Umzug durch die Innenstadt.

Mit über 250 Menschen wurde die weltweit größte Agrodieselanlage der Firma ADM am Hamburger Hafen blockiert. Dort wird Gensoja aus Südamerika und Palmöl von den gerodeten Regenwaldflächen Indonesiens zu Diesel für deutsche Autos verarbeitet.

Am Aktionstag gegen Abschiebungen wurde bei der Ausländerbehörde, der Flüchtlings- Erstaufnahmeeinrichtung und der Lufthansa-Basis, die nach wie vor Abschiebungen in Linienflugzeugen vornimmt, protestiert.

Die beiden größten Aktionen fanden beim Hamburger Flughafen und bei dem im Bau befindlichen Kohlekraftwerk Moorburg am Hamburger Hafen statt.

Unter dem Motto «Fluten 3.0» war schon Monate zuvor angekündigt worden, dass am 22.8.08 eine Blockade des Flughafens stattfinden würde, um einen «Warnschuss vor den Bug der Abschiebeflotte» zu setzen. Verteilung von «global passports», eine Massenhochzeit, Transparentaktionen und PauschaltouristInnen gegen Abschiebungen ... - eine ganze Reihe von Gruppen hatte sich vorbereitet und waren – nicht selten als perfekte RollkoffertouristInnen verkleidet – auch problemlos ins Flughafeninnere gelangt. Über mehrere Stunden bis zum späten Nachmittag, als nochmals zweihundert DemonstrantInnen in Form einer Polonaise lautstark durch das Gebäude fluteten, wurde der Terminal 1 in eine öffentlichkeitswirksame Protestzone gegen Abschiebungen verwandelt.

Das letzte große «Target» für das Doppelcamp war das im Bau befindliche Kohlekraftwerk Moorburg. Bereits Mitte der Woche waren fünf AktivistInnen auf hohe Kräne der Baustelle geklettert und hatten sich mit einem Transparent («Energiekonzerne enteignen – Kapitalismus abschaffen») abgeseilt. Mittels der 5 Finger-Taktik, die schon ein Jahr zuvor in Heiligendamm große Polizei-Aufgebote schwach aussehen ließ, wurde die Baustelle besetzt.

Alles in allem waren die Aktionen gelungen und gröbere Repressionen konnten abgewehrt werden. Inhaltlich wurden, wie schon erwähnt, die Themenkomplexe Ökologie/Klimaschutz und Migration/Antirassismus zusammengebracht, was für die nächsten großen Mobilisierungen – Stichwort Klimagipfel in Kopenhagen im nächsten Jahr – entscheidend sein wird.

Die conclusio bleibt: Widerstandscamps bleibt das beste Sommerprogramm. Selbst an einem dermaßen verregneten Ort wie Hamburg...

zum weiterlesen:

http://camp08.antira.info/http://www.klimacamp08.net/http://fluten3punkt0.eu/http://www.g8-landwirtschaft.net