Zahlreiche Menschen aus Wien und von anderswo steigen in ihr Auto, um Flüchtlinge aus Ungarn nach Österreich zu holen, wo sie vorläufig versorgt werden. Die Bürger_innen-Initiative entstand als «Konvoi Budapest-Wien – Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge».
Anfang September 2015 beschloss die ungarische Regierung kurzerhand, den Zugverkehr zwischen Budapest und Wien einzustellen, um Hunderte von Flüchtlingen, die im Budapester Bahnhof festsassen, an einer Weiterreise Richtung Österreich und Deutschland zu hindern.
Daraufhin machten sich die Flüchtlinge zu Fuss auf den Weg und marschierten auf Landstrassen und der Autobahn entlang in Richtung Wien. Unterwegs bekamen sie Hilfe von der ungarischen Bevölkerung. Die Flüchtlinge wurden spontan mit Essen, Trinken und Reiseproviant versorgt. Als in Österreich die Situation bekannt wurde, appellierte eine Gruppe von Wiener_innen an ihre Mitbürger_innen, sie mögen in ihre Autos steigen, um direkt auf den Strassen in Ungarn Flüchtlinge einzusammeln und sie nach Österreich zu bringen. Die Initiant_innen gaben eine Adresse an, zu der die Teilnehmer_innen kommen sollten. Nach einer kurzen Koordination war ein Konvoi von 300 Autos mit über 300 Helfer_innen unterwegs. Autos und Kleinbusse mit verschiedenen europäischen Kennzeichen waren mit dabei. Internationale Medien berichteten regelmässig über den Konvoi. Mit dieser ersten Reise konnte bereits vielen Flüchtlingen geholfen werden. Sie passierten unbehelligt die österreichische Grenze und wurden zum Wiener Westbahnhof gebracht. Dort nahmen sie freiwillige Helfer_innen, Vertreter_innen von Hilfsorganisationen, Über-setzer_innen und Polizist_innen in Empfang, die sie auf Notquartiere verteilten und über die Weiterfahrt nach Deutschland berieten, wo zu diesem Zeitpunkt die Grenzen für die Neuankömmlinge noch offen waren. Im Bahnhof oder draussen lagerten bereits Hunderte von Menschen, darunter erschöpfte Familien mit kleinen Kindern, um die ersten Züge zu erreichen. Die meisten von ihnen waren aus Syrien, aber auch aus Afghanistan, Irak, Iran …
Mobile Solidarität
Nach diesem ersten grossen Transport blieb der «Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge» weiter im Einsatz – in kleinerem Rahmen, aber umso beharrlicher. Ein weiterer «Höhepunkt» war die Ankunft von 20.000 Flüchtlingen am 14. und 15. September an der ungarisch-österreichischen Grenze im Burgenland, kurz bevor die ungarische Regierung ein martialisches Gesetz gegen die Schutzsuchenden in Kraft setzte und die Stacheldraht-Mauer an der Grenze zu Serbien hermetisch schloss. Die ungarischen Behörden hatten ihre Lager geleert, um die Flüchtlinge loszuwerden, und mit Bussen an die österreichische Grenze gebracht. Andere hatten es auf eigene Faust geschafft. Die Initiative aus Wien bekam Verstärkung von Leuten aus Leipzig, die extra mit ihren Autos und Bussen anreisten. So setzten sich wieder rund 50 Wagen in Bewegung, die mehrmals zwischen der Grenze und Wien hin- und herfuhren. Zum Glück waren auch noch viele andere unterwegs: eine lange Reihe von Taxis, von denen viele gratis fuhren, und staatliche Sonderbusse, die sich auch auf den Weg gemacht hatten. Profiteure unter den Taxifahrern und mafiöse Helfer waren auch präsent, aber in der Minderheit.
- September: Inzwischen ist der Weg nach Ungarn versperrt. Deutschland hat wieder Grenzkontrollen eingeführt, ebenso Österreich. Die Flüchtlinge haben eine neue Route eingeschlagen: über Kroatien und Slowenien – auch dies ein beschwerlicher Weg.
Die Ereignisse überstürzen sich laufend. Vieles ist nicht voraussehbar, doch eines scheint sicher: Die schutzsuchenden Menschen lassen sich nicht mehr aufhalten – und sie brauchen unsere Unterstützung. Deshalb sind Initiativen wie der «Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge» so wichtig.