Trotz sintflutartiger Regenfälle war unsere Demonstration in Gardanne in Südfrankreich am 5. Februar 2017 ein grosser Erfolg. Fast tausend Personen haben gegen die Biomasseanlage protestiert, die das Unternehmen «Uniper» (früher «E.On») in dieser Arbeiterstadt nicht weit von Marseille baut.1
Dieses Beispiel von ökologischem Wahnwitz ist eines der übelsten Auswüchse im Bereich der erneuerbaren Energien, das noch dazu erhebliche finanzielle Unterstützung durch öffentliche Gelder erhält. Seit nunmehr zehn Jahren werden die Energiepolitik und ihre Auswirkungen auf Klima und Umwelt sehr stark von Brüssel bestimmt. Wir befinden uns gerade in einer entscheidenden Phase, da die EU am Anfang eines langen und sehr komplexen Prozesses zur Einrichtung des neuen «Clean Energy Package» (CEP – Paket für saubere Energie) für den Zeitraum 2020-2030 steht.
Um besser zu verstehen, was sich da zusammenbraut, bin ich kurz nach der Demonstration nach Brüssel gefahren. Aber dort etwas zu verstehen, ist nicht so leicht! «ILUC, LULUCF, RED…» Das sind nur einige der Abkürzungen, mit denen ich mich beim «Big Bioenergy Meeting» konfrontiert sah, das von mehreren NGOs mit Sitz in der europäischen Hauptstadt am 9./10. Februar organisiert wurde. Die Angestellten dieser NGOs zeigen einen erstaunlichen Willen, um die Sichtweisen der Eurokraten der Europäischen Kommission zu erfassen und oft auch zu kontern.
Bei dem Treffen hatten sich etwa 60 Personen aus 15 Ländern versammelt, die für Vereine und NGOs auf nationaler oder europäischer Ebene zu den Themen Energie, Klima, Ökologie und Transporte arbeiten, zusätzlich einige lokale Aktivist_innen, die auf diesem Gebiet ungefähr so viel verstehen wie ich. Wir haben uns abgestrampelt, um ungefähr die Hälfte der Vorträge und aufgeworfenen Fragen, die von erschreckender Komplexität sind, zu begreifen. Alles nur auf Englisch, was für mich als Briten normalerweise kein Problem darstellt. Das ist auch noch ein komischer Effekt des Brexit: Das wichtigste englischsprachige Land verlässt das Boot, während seine Sprache immer dominanter wird.
Trotz unserer Schwierigkeiten haben wir alle verstanden, dass es sich um eine breite Problematik mit grosser Wichtigkeit für unsere Zukunft handelt. Die Entscheidungen und vor allem die unterstützenden Programme der EU im Energiebereich werden einen Einfluss haben, den niemand ignorieren kann.
Schwerwiegende Schäden
Worum handelt es sich in wenigen Worten ausgedrückt? Am 30. November 2016 hat die Europäische Kommission ihr CEP publiziert. Das zentrale Element ist die Direktive für Erneuerbare Energie «RED» (Renewable Energy Directive). Im Rahmen der früheren CEP hat sich das RED, das 2010 in Kraft trat, die Ziele 20-20-20 gegeben. Das bedeutet, beim Energieverbrauch den Anteil der Erneuerbaren Energien (EE) auf 20 Prozent zu erhöhen, die Energieeffizienz um 20 Prozent zu verbessern und die Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent zu reduzieren, das alles bis 2020.
Das am 30.11.2016 veröffentlichte RED ist ehrgeiziger: In Zukunft sollen die EE 27 Prozent des Energieverbrauchs ausmachen. Es korrigiert einige Aspekte des früheren RED, die katastrophale Auswirkungen hatten, doch die globale Richtung bleibt. Die Agro-treibstoffe sind im RED von 2010 zweifelsohne das krasseste Beispiel eines schwerwiegenden Irrtums mit grossen «Kollateralschäden». Die EU hatte das Ziel angestrebt, 10 Prozent des Kraftstoffes für Transporte durch Bio- oder Agrodiesel zu ersetzen. Dabei handelt es sich um Zucker oder Stärke, vor allem aus Getreide- und Zuckerrübenanbau, um Biogas, das bei anaerober Faulung von Ernteabfällen entsteht, und um Agrodiesel, der aus Pflanzenölen hergestellt wird (Raps, Soja, Palmöl, Sonnenblumenöl, etc.).
Damals hatten die europäischen Entscheidungsträger noch nichts vom «ILUC» gehört, einem barbarischen Kürzel, welches bedeutet: «Indirect Land Use Change»2. Hinter diesem Konzept verbirgt sich eine umfassende Realität von Verwüstungen, Hungersnöten und massiven Entwaldungen, und zwar weltweit.
Öffentliche Förderungen für die landwirtschaftliche Produktion von Treibstoff zu bewilligen, um das Erdöl zu ersetzen, muss logischerweise den Anbau von Nahrungsmitteln benachteiligen und Unterversorgung und Hungerrevolten hervorrufen. Die landwirtschaftlichen Flächen werden auf Kosten der Wälder erheblich ausgedehnt. Die Kette der Folgen ist sehr schwierig zu erfassen und zu errechnen, aber viele Studien zeigen, wie kontraproduktiv diese Politik ist.
Nehmen wir als Beispiel die Palmölproduktion, deren Anbau im Jahr 2012 in den tropischen Ländern (vor allem Indonesien, Malaysia und die Länder Südafrikas) ungefähr 17 Mio. Hektar umfasste, gegenüber 6 Mio. im Jahr 1990. Mehrere neuere Studien zeigen, dass, wenn alle direkten und indirekten Auswirkungen in Betracht gezogen werden, die CO²-Bilanz der Agrotreibstoff-Produktion aus Palmöl schlechter ist, als bei der Verwendung von Erdöl. Die Emissionen können bis zu zwei- oder dreimal höher sein.
Angesichts dieser Situation, die zahlreiche NGOs seit langem aufgezeigt hatten, senkte die EU 2015 ihr Ziel von 10 auf 7 Prozent. In der neuen RED soll dieses stufenweise auf 3,8 Prozent im Jahr 2030 reduziert werden. Gleichzeitig tauchen nun neue «fortgeschrittene» Agrotreibstoffe auf, u.a. aus Algen und Bäumen.
Die Wälder opfern?
Ein weiteres wichtiges Kapitel des RED betrifft die Biomasse – deshalb war ich sehr motiviert nach Brüssel zu fahren. Seit drei Jahren bin ich Mitglied im «Collectif SOS Forêt du Sud» (Kollektif SOS Wald des Südens). Mir ist seither klar geworden, wie sehr die Begeisterung für die industrielle Biomasse ein weltweites Phänomen mit verhängnisvollen Auswirkungen ist. Es ist kaum bekannt, dass 60 Prozent der in Europa produzierten erneuerbaren Energien aus Biomasse kommen: Agro-treibstoffe, Biomethan, aber vor allem Brennholz zum Heizen und um Elektrizität zu produzieren, wie in Gardanne und in noch viel grösserem Massstab in Drax in Grossbritannien3.
Eines der am häufigsten verwendeten Argumente, um die Elektrizitätsproduktion aus Biomasse zu rechtfertigen, besagt, dass sie die Treibhausgasemissionen ganz klar verringern würde. Einige neuere Studien beweisen deutlich, dass dies nicht der Fall ist. Die CO²-Neutralität, die so sehr von der Industrie und zahlreichen Regierungen gelobt wird, ist ein Mythos. Im Juni 2015 hat das Weisse Haus eine «Politische Deklaration» veröffentlicht, die in dieselbe Richtung geht. Es stellt sich heraus, dass die CO²-Bilanz zweifelsohne sogar schlechter ist als jene von Kohlekraftwerken. Bei dem Treffen in Brüssel hat der Umweltexperte Duncan Brack eine Langzeitstudie vorgestellt, an der er seit zwei Jahren arbeitet. Sie befasst sich mit den Emissionen, die bei der Verbrennung von Biomasse entstehen4 und bestätigt diese Analyse.
Wir protestieren gegen diese Riesen-Kraftwerke auch aus vielen anderen Gründen: Die Schädigung der öffentliche Gesundheit5, die extrem niedrige Energieeffizienz (35 Prozent), die Vernichtung der Wälder in der Region und weltweit6, die Verschwendung öffentlicher Gelder7. Das Absurde an den EU-Zielen zeigt sich deutlich in ihrem Willen, bei den erneuerbaren Energien an der Priorität festzuhalten, die sie der Biomasse gegeben hat. 2016 hat die «Wald-Strategie» der EU darauf hingewiesen, dass für den «Nationalen Aktionsplan für Erneuerbare Energien», falls er umgesetzt wird, alle in Europa gefällten Bäume ausnahmslos für die Energieerzeugung genutzt werden müssten. «Die Kommission hat die Option gewählt, die Wälder für die Energie zu opfern.» (www.fern.org, 30.11.16)
Gigantische Holzfresser
Alte Kohlekraftwerke in Holzfresser umzuwandeln, verlängert nur eine zentralisierte und völlig veraltete Form der Energieerzeugung. Die Priorität müsste der Dezentralisierung und der Reduktion unseres Energiekonsums gegeben werden, mit Hilfe eines Programms, Gebäude zu isolieren und das Leitungsnetz zu verbessern. Auch wenn der RED-Vorschlag den grossen Kraftwerken mit mehr als 20 Megawatt Energieeffizienz vorschreibt, werden diese Kriterien nur für die neuen Kraftwerke ab 2021 angewendet, oder sogar erst ab 2024 nach einer Übergangsphase. Ausserdem könnten beim derzeitigen Wortlaut die Modelle in Drax und Gardanne, wo Kohle- in Biomassekraftwerke umgewandelt werden, nicht darunter fallen, weil es ja keine neuen Anlagen sind. Dies sind jedoch mit Abstand die grössten Werke in Europa.
Ausserdem wird allein die Tatsache, dass die «Bioenergie» einen Teil der erneuerbaren Energie in der Europapolitik darstellt, von vielen zurückgewiesen. Im Februar haben 120 Vereine und NGOs weltweit gefordert, dass sie davon ausgeschlossen wird. Die «Internationale Energie-Agentur» definiert die erneuerbare Energie folgendermassen: «Energien, die aus natürlichen Prozessen (Sonne, Wind, …) gewonnen und die schneller ersetzt als verbraucht werden.» Agrotreibstoffe oder Bio-masse zu verbrennen entspricht wohl kaum dieser Definition. Ein Baum braucht vielleicht 100 Jahre, um zu wachsen, und geht in 10 Minuten in Rauch auf.
Der Ball liegt nun bei den Europaparlamentarier_innen und den Minister_innen des Europarates, die den Kommissionsvorschlag studieren und Änderungsvorschläge einbringen müssen. Aber dieses Thema betrifft uns alle, und deshalb ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft sich dieser Fragen annimmt, auch wenn sie Kopfschmerzen bereiten. Wir werden weiterhin unsere völlige Ablehnung der schlimmsten Auswüchse, wie in Gardanne, zum Ausdruck bringen müssen.
- Gardanne soll 850‘000t Biomasse pro Jahr verbrennen, Drax verbrennt jetzt schon 7 Mio. Tonnen.
- In Auftrag gegeben vom Königlichen Institut für Internationale Angelegenheiten, Chatham House, London.
- Experten wiesen bei einem Hearing im US-amerikanischen Kongress am 25. September 2012 zum Thema «Human health effects of biomass incinerators» auf sehr gesundheitsschädliche Auswirkungen aufgrund von Feinstaub, Dioxin, etc. hin. In Frankreich hat das Netzwerk Umwelt und Gesundheit (Réseau Environnement Santé) Versammlungen in der Region Gardanne abgehalten, um die ortsansässige Bevölkerung über die Gefahren aufzuklären.
- Laut einer neuen Studie im Auftrag von ADEME über die «Disponibilités forestières pour l’énergie et les matériaux à l’horizon 2035» wäre der Bedarf viel höher als die Verfügbarkeit von Holz im Inland im Zeitraum 2031-2035.
- Allein die Firma Uniper erhält während 20 Jahren 70 Mio. Euro jährlich für ihr Kraftwerk in Gardanne als Vergütung für die Produktion von «erneuerbarer» Energie.