Das Europäische BürgerInnen Forum (EBF) und das ukrainische «Komitee für medizinische Hilfe in Transkarpatien» (CAMZ) veranstalteten vom 10. bis 13. September 2015 ein Treffen zwischen ukrainischen, russischen und ex-jugoslawischen Journalist_innen in Budapest.
Wir wählten den Tagungsort in der ungarischen Hauptstadt aus, weil er ausserhalb der am Konflikt beteiligten Länder lag und für die hauptsächlichen Teilneh-mer_innen relativ einfach erreichbar war. Das Treffen hatte zum Ziel, Journalist_innen aus der Ukraine und Russland einen persönlichen Dialog zu ermöglichen – jenseits der nationalistischen Propaganda der jeweiligen offiziellen Medien. Zusätzlich eingeladen waren Vertreter_innen des Alternativen Mediennetzwerkes für das ehemalige Jugoslawien (AIM), mit welchem das EBF zu Zeiten des Balkankrieges Journalist_innen aus allen Republiken zusammengebracht hatte. Sie berichteten den ukrainischen und russischen Gästen über ihre damaligen Erfahrungen und gaben somit einen wichtigen Input für die weiteren Diskussionen.
Die Zusammenkunft war ursprünglich für März 2015 vorgesehen gewesen. Wegen der Kurzfristigkeit des Zeitpunkts und der enormen Arbeitsbelastung der meisten Betroffenen konnte dieser Termin jedoch nicht eingehalten werden. Dazu kamen die komplizierten Reiseformalitäten. Doch dieses Mal war es so weit: Sieben Journalist_innen aus Russland konnten nach Budapest reisen und ebenso viele aus der Ukraine. Dabei handelte es sich um Frauen und Männer, die für verschiedenste, zum Teil sehr renommierte unabhängige Medien (Zeitungen, Radio, Fernsehen) tätig sind oder sich als Blogger_innen ein breites Publikum schaffen konnten. Insgesamt kamen rund dreissig Personen zusammen: Neben den Organisator_innen und den russischen und ukrainischen Gästen waren zwei Vertreter_in-nen des AIM, eine Delegierte von swisspeace* und ein Repräsentant des Community Media Forum Europe dabei.
Gegen die Hetze
Bei den dreitägigen Diskussionen wurden Parallelen und Unterschiede zwischen den Konflikten in der Ostukraine und im ehemaligen Jugoslawien herausgearbeitet, die Berichterstattung der jeweiligen regierungstreuen Medien erörtert und über die Berufsethik für einen unabhängigen Journalismus debattiert. Die Gefahr zur Selbstzensur kam ebenso zur Sprache wie das Bestreben nach Objektivität und Wahrheitsfindung. Mit ihrer Arbeit wollen die Journalist_innen Partei für die wehrlosen Opfer der Konflikte ergreifen, so wie es einer der Teilnehmer formulierte: «Objektivität heisst nicht Neutralität». Alle Tagungsteilnehmer_innen machten klar, dass sie die Dämonisierung der jeweils anderen Seite ablehnen und die Kriegshetze in den Medien verurteilen. Es wurde gefordert, dass Journalist_innen, die bewusst an dieser Art der Propaganda mitarbeiten, als Kriegsverbrecher verurteilt werden sollten. Am Schluss der Tagung überlegten die Teilnehmer_innen, wie weit sie sich in Zukunft vernetzen wollen und aufgrund von welchen technischen und finanziellen Mitteln. Es kam auch die Frage auf, wie ihre Arbeit in Westeuropa, zum Beispiel via Übersetzungen, besser zugänglich gemacht werden könnte. Unabhängige Journalist_innen, wie mehrere von den Anwesenden, sind oft grossen Risiken ausgesetzt. Deshalb wurde der Aufbau eines Netzwerkes der gegenseitigen Hilfe vorgeschlagen. Auf der Tagung stand – neben den erörterten Themen – vor allem die Vertrauensbildung im Vordergrund. Praktisch alle kannten sich virtuell und hatten schon Reportagen und Texte der anderen gelesen, doch die meisten waren sich noch nie persönlich begegnet. Bei der jetzigen Tagung wurden unmittelbar keine formellen Beschlüsse gefasst, doch die meisten Teil-nehner_innen wünschten sich eine Fortführung des Dialogs und weitere Zusammenkünfte. Ein wichtiger Anfang ist gemacht!
Flüchtlinge am Bahnhof
Das Treffen fand zufällig in dem Moment statt, als Tausende von Flüchtlingen durch Ungarn in Richtung Norden unterwegs waren. Hunderte campierten im Bahnhof von Budapest. Am zweiten Tag des Treffens fand eine Willkommenskundgebung – organisiert von ungarischen Flücht-lingsfreund_innen – vor dem Bahnhof statt. Die Tagungs-teilnehmer_innen beschlossen, gemeinsam hin zu gehen. Mehrere von den Journalist_innen reisten nach dem Treffen an die serbische Grenze, um über die dortige Situation der Flüchtlinge zu berichten. Auch hier geht es darum, mit der journalistischen Arbeit diese oft wehrlosen Menschen zu unterstützen.