Am Abend des 18. Oktober 2024 wurde der bekannte ukrainische Menschenrechtsaktivist Maksym Butkevych, mit dem wir seit vielen Jahren zusammengearbeitet haben, im Zuge eines grösseren Gefangenenaustausches aus über zweijähriger russischer Kriegsgefangenschaft entlassen.
Er war im März 2023 von einem Gericht im russisch besetzten Luhansk, aufgrund erfundener Anklagen, zu 13 Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt worden. Seine Befreiung kam unerwartet für ihn und uns. Hier seine Dankesworte: «Meine lieben Brüder und Schwestern, Freunde und Freundinnen, diejenigen, die ich kenne – und diejenigen, denen ich noch nicht persönlich begegnet bin. Ich möchte, wenn es möglich ist, das Unaussprechliche auszudrücken – all jenen meinen Dank aussprechen, die mich während meiner Gefangenschaft unterstützt haben, all jenen, die auf meine Rückkehr und meine Freilassung gewartet haben, und all jenen, die sich dafür eingesetzt haben, all jenen, die dafür gebetet haben: Euch allen meinen grossen, grossen Dank. Keine einzige Minute in der Gefangenschaft habe ich daran gezweifelt, dass ich von treuen, freien und solidarischen Menschen unterstützt werde. Aber ich muss sagen, dass ich erst jetzt beginne, das Ausmass der Unterstützung zu erkennen, und ich bin ein wenig überwältigt. Ich verneige mich vor Euch allen.
Frei zu sein ist Glück, und es ist der natürlichste menschliche Zustand, das Wesen des Menschen. Deshalb sind die Versuche, andere Menschen zu unterjochen, sie zu Sklaven, zu Waren, zu Objekten der Manipulation zu machen, eine Schande und ein Verbrechen von katastrophalem Ausmass. Deshalb erlaube ich mir, meiner Dankbarkeit eine bescheidene Bitte hinzuzufügen: Vergessen wir nicht die Unterjochten und die Versklavten, die in Gefahr sind und deren Würde ständig auf die Probe gestellt wird; tun wir alles, was wir können, um sie zu befreien. Denn solange jemand ein Sklave bleibt, ist niemand von uns wirklich frei.»
Buchbesprechung: «Am richtigen Platz – ein Friedensaktivist im Krieg»*
Kürzlich ist das Buch «Am richtigen Platz – ein Friedensaktivist im Krieg»* mit Texten von Maksym Butkevych erschienen. Das Vorwort schrieb Oleksandra Matwijtschuk, Vorsitzende des ukrainischen «Center for Civil Liberties», das 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Hier drucken wir zuerst Auszüge aus diesem Vorwort ab und danach eine Erklärung des «No borders-Projekts», das von Maksym vor Jahren mitbegründet wurde.
Oleksandra Matwijtschuk: Vor Ihnen liegt eine Sammlung von Texten und Interviews des ukrainischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Maksym Butkevych. Die Texte stammen aus verschiedenen Jahren und beziehen sich auf unterschiedliche Anlässe, Länder und Personen, aber immer geht es um die Verteidigung der Marginalisierten und die Wahrung der Menschenwürde.
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Publikation befindet sich Maksym bereits seit zwei Jahren in russischer Gefangenschaft. Er wurde aufgrund erfundener Anschuldigungen zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Russische Föderation ignoriert demonstrativ die Normen des Völkerrechts und die Beschlüsse internationaler Organisationen, sodass Maksym keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, um sich zu verteidigen, als seine Worte und seine Haltung. Und genau diesen Worten und dieser Haltung ist das vorliegende Buch gewidmet. Ich möchte Ihnen den Autor ein wenig vorstellen, der dies im Moment nicht selbst tun kann.
Ich kann mich nicht mehr an den Moment erinnern, als ich Maksym Butkevych kennengelernt habe. Aber es kommt mir so vor, als würde ich ihn schon so lange kennen, wie ich denken kann. Im Rahmen seiner Menschenrechtsarbeit hat er sich dem Schutz der am meisten benachteiligten Gruppe von Menschen verschrieben, die leider in keiner Gesellschaft je viel Empathie erfahren hat: Geflüchtete, Asylsuchende, Migrant·innen. Mit seinem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit setzte er sich unermüdlich für die Menschenwürde ein. Das erlaubte ihm, auch kleinste Anzeichen von Machtmissbrauch oder Fremdenfeindlichkeit zu erkennen. Nie schreckte er davor zurück, sich dagegen zu stellen. Auch wenn er von der Mehrheitsgesellschaft nicht verstanden oder unterstützt wurde.
Maksym ist ein sehr tiefgründiger Mensch. Einmal erwähnte er in einem Gespräch sein theologisches Selbststudium. Gleichzeitig war er unter Antifaschist·innen und Anarchist·innen zu Hause. Es war spannend, mit ihm sowohl über philosophische Konzepte als auch über praktische Probleme der Menschenrechtsarbeit zu diskutieren. Kein Wunder, dass er Mitbegründer von Hromadske Radio wurde, dessen Motto «Hört zu. Denkt nach» er beispielhaft verkörpert. Maksym kann zuhören, wie kaum ein anderer. Man möchte sich ihm anvertrauen.
Als tatkräftiger Mensch ist er jederzeit bereit, sich einzusetzen und Themen voranzutreiben. So arbeiteten wir gemeinsam an einem Menschenrechtsplan für das Parlament, entwarfen Strategiepapiere im Kampf gegen die Straflosigkeit von Folter durch die Polizei und nahmen an Demonstrationen für Meinungs- und Pressefreiheit teil. Ich kann mich an keine einzige wichtige Aktion erinnern, an der er nicht beteiligt war.
Als Reaktion auf das brutale Durchgreifen gegen Student·innen auf dem Maidan im November 2013 hat unser Team die Initiative «Euromaidan SOS» ins Leben gerufen. Wir machten es uns zur Aufgabe, landesweit allen Menschen, die für ihre Beteiligung an den Protesten belangt werden sollten, Rechtshilfe zur Verfügung zu stellen. Auch hier war Maksym unter den ersten, die uns unterstützten. Als Journalist fand er die Zeit, für «Euromaidan SOS» täglich über Misshandlungen, Folter und willkürliche Verhaftungen zu berichten. Als Mensch motivierte er die Freiwilligen mit Witzen und Selbstironie. In diesen schwierigen Zeiten erinnere ich mich sehr gerne an seinen Humor.
Niemand von uns war auf den Krieg vorbereitet. Aus heutiger Sicht erscheint es offensichtlich, dass Russland nach dem Sturz des pro-russischen Regimes von Janukowytsch eine Invasion beginnen würde, um uns auf unserem Weg zur Demokratie aufzuhalten. Aber als ich im Februar 2014 unserem Koordinator schrieb, dass es so aussehe, als seien russische Soldaten als «grüne Männchen» ohne Hoheitszeichen auf der Halbinsel gelandet, schrieb er mir überrascht zurück: «Lesja, wovon redest du?». Ich verstand damals selbst nicht, was da vor sich ging. (...)
Maksym glaubt an das Beste im Menschen. Deswegen hat er viele Jahre die Entstehung des internationalen Festivals für Dokumentarfilm und Menschenrechte, «Docudays UA», unterstützt. Von der Festivalbühne rief er einmal zu einer Solidaritätsaktion für den zu Unrecht inhaftierten Regisseur Oleg Sentsov auf. Es ist bittere Ironie, dass die Teilnehmer·innen des Filmfestivals nur wenige Jahre später Schilder mit der Aufschrift #FreeMaksymButkevych hochhalten sollten.
Nachdem er bereits in Gefangenschaft geraten war, hatte ich die Gelegenheit, seine Eltern kennenzulernen. Seine Mutter und sein Vater, echte Intellektuelle aus Kyjiw, kämpfen unermüdlich für die Freilassung ihres Sohnes und ertragen die ihnen auferlegten Strapazen mit Würde. Kaum vorstellbar, was sie das fast sechsmonatige «Verschwinden» von Maksym gekostet haben mag, nachdem er in einem Scheinprozess zu 13 Jahren Lagerhaft mit strengen Haftbedingungen verurteilt wurde. Die Anklage war offenkundig an den Haaren herbeigezogen. Die Handlanger des Kremls haben sich nicht einmal besondere Mühe gegeben. Maksym wurde beschuldigt, an einem Tag Kriegsverbrechen gegen Zivilist·innen in der Region Luhansk begangen zu haben, an dem er sich nicht einmal dort aufhielt. Sein Anwalt legte dem Richter umfassende stichhaltige Beweise dazu vor. Doch das Urteil kam «von oben», weswegen dies niemanden interessierte.
In meiner Nobelpreisrede habe ich mich auf Maksym bezogen. Ich kann mich sehr mit seiner Antwort auf die Frage identifizieren, warum er sich als Antimilitarist nach der russischen Invasion den ukrainischen Streitkräften angeschlossen hat. Ich weiss sie auswendig. Angefangen mit: «Es sind tragische Zeiten», bis hin zu: «Hier bin ich am richtigen Platz». Dein Platz ist auch bei uns, Maksym. Wir lieben dich. Wir glauben an dich. Wir kämpfen für dich. Wir warten auf dich.
Leben und kämpfen für einen Traum
Das Team von «No Borders»-Projekt schrieb folgenden Text zu dem Buch: (…) «Ich war mein ganzes Erwachsenenleben lang Antimilitarist und bin es aus Überzeugung geblieben. Ich glaube nicht, dass die militaristische Struktur über die Bereiche hinaus ausgedehnt werden sollte, für die sie geschaffen wurde.»
Diese Worte aus dem Munde eines Mannes, der in die Armee eingetreten ist, mögen manchen paradox erscheinen, aber für ihren Verfasser war dieser Schritt zu Beginn der russischen Invasion in der Ukraine eine logische Reaktion auf den unerbittlichen Ansturm einer grossen militärischen und imperialistischen Bedrohung. Im Frühjahr 2022 trat Maksym Butkevych in die ukrainischen Streitkräfte ein, im Sommer desselben Jahres wurde er von Russland gefangen genommen und dann aufgrund erfundener Anschuldigungen inhaftiert. Es ist erstaunlich, dass so viele Menschen in der Ukraine und im Ausland von Maksym erfuhren, als er anfing, eine Militäruniform zu tragen, denn davor sah man ihn oft in einem schwarzen Kapuzenpulli mit der orangefarbenen Aufschrift «Kein Mensch ist illegal». (...)
Einer von Maksyms Hauptträumen und -motivationen ist eine Welt, in der ausnahmslos alle Menschen lange und in Wohlstand leben können, eine Welt ohne Kriege, Hierarchien und Unterdrückung. Sein Weg führt vom Kindheitstraum, die Weiten des Weltraums zu erforschen, über viele Jahre des Aktivismus zur Unterstützung von Geflüchteten, Asylwerber·innen, Migrant·innen, von autoritären Regimen verfolgten Journalist·innen und Antifaschist·innen. Als Journalist leistete er jahrelange Arbeit und Medienerziehung zur Beseitigung rassistischer, fremdenfeindlicher und diskriminierender Narrative in den Medien und der Gesellschaft. Er beteiligte sich an Strassenprotesten für den Erhalt kommunaler Kinos, gegen die Repressionen totalitärer Regime, gegen rechtsextreme Bewegungen sowie Polizeibrutalität. (…)
Sein Weg führt auch in die Liebe zu seinen Eltern, die ihn immer unterstützten, zu einer Schildkröte und einer Katze, die zu Hause auf ihn warten, Freunde und Freundinnen, die sich im Aktivismus kennen gelernt haben, Kolleg·innen, die durch einen so vielfältigen und interessanten beruflichen Werdegang zu Freund·innen geworden sind, Science-Fiction-Serien, Musik verschiedener Genres, seine Leidenschaft für Dokumentarfilme, Poesie, Journalismus, das Schreiben spontaner Texte, die oft in den sozialen Medien erschienen, und einige davon sind nun in dem (jetzt auch auf Deutsch erschienenen) Buch zu finden. Nach seiner Gefangenschaft wurde in den Medien so viel über Maksym gesagt, von denen, die ihn kennen, respektieren oder seine Werte teilen, und hier, in dem Buch spricht er selbst zu uns. Vielleicht verstehen Sie nach der Lektüre dieser Texte, warum er einen Sinn im Aktivismus sieht, warum er Anarchist ist, warum er ein Fan des Star-Trek-Universums ist, warum er die Forschungen von David Yanagizawa-Drott schätzt und sie ins Ukrainische übersetzt haben möchte. Vielleicht werden Sie Maksym nach der Lektüre dieses Buches einen Brief schreiben wollen.
Text zusammengestellt von Constanze Warta, EBF
*Maksym Butkevych: «Am richtigen Platz – ein Friedensaktivist im Krieg», ANTHEA-Verlag, Berlin 2024 Preis: 15,00€ (D) 15,40€ (A), 15 CHF (CH) + Portokosten 12,5 x 19 cm, Paperback, 140 Seiten, ISBN 978-3-89998-434-7