Die Erweiterung des Schengenraums auf ihre
direkten Nachbarn Polen, Slowakei und Ungarn hat für die Ukraine schmerzhafte Konsequenzen. Dieses große Land und insbesondere die Provinz Transkarpatien stehen doppelt unter Druck: Einerseits seitens der EU, welche die Einreise von MigrantInnen kontrollieren und verhindern möchte. Andererseits durch die Ankunft von immer mehr MigrantInnen, die via die Ukraine versuchen, nach Westeuropa zu gelangen.
Die slowakischen Grenzwächter behaupten, ihre neuen Kameras würden die «Illegalen» daran hindern, in ihr Land einzudringen. Ihre ukrainischen Kollegen verkünden, die meisten Personen würden beim Versuch, illegal die Grenze zu überqueren, festgenommen. Wenn das Mikrophon abgeschaltet ist, klingt es anders: Im Allgemeinen reicht es, mit der richtigen Person handelseinig zu werden, um hinüber zu kommen. Unveröffentlichte Schätzungen der Sicherheitskräfte sprechen von mehr als 100 Millionen Dollar Jahresumsatz im ukrainischen Schleppergeschäft. «Der illegale Grenzübertritt kostet lokal 1500 bis 2000 Dollar. Über die transkarpatischen Grenzdörfer gelangen nicht weniger als 1000 Personen pro Monat in den Westen. Dieses Geschäft muss von höchster Stelle gedeckt sein, denn die Illegalen müssen auf ihrem Weg die ganze Ukraine durchqueren, mindestens 1500 km. Wer kann schon so flächendeckend arbeiten?»
Offizielle Statistiken gibt es nur über diejenigen, die es nicht geschafft haben. Die Anzahl der Festgenommenen beträgt allein in Transkarpatien jährlich etwa 5000 Personen. Die «Illegalen» werden je nach Herkunft unterschiedlich behandelt. Leute aus den GUS-Staaten werden sofort ausgewiesen. Die anderen werden im berüchtigten Lager Pavshino * unter Aufsicht der Grenzwächter und deren Hunde interniert. Hier soll ihre Identität festgestellt werden, was meist lange Zeit in Anspruch nimmt. Viele arme Länder haben in der Ukraine keine Gesandtschaft und die Anfragen zur Identitätsfindung werden nach Moskau geschickt. Grundsätzlich darf aber niemand länger als sechs Monate in Pavshino festgehalten werden.
Viele MigrantInnen stellen so schnell wie möglich Antrag auf Asyl. Dies ist mit Kosten verbunden: Die Migrationsbehörde fordert hohe Honorare für von ihr bestellte Dolmetscher, ansonsten wird der Antrag nicht entgegengenommen, oder es müssen lange Wartezeiten in Kauf genommen werden. Wenn ein Asylverfahren eröffnet wird, bekommen die MigrantInnen einen provisorischen Aufenthaltstitel für die ganze Ukraine. Sie haben allerdings weder das Recht auf Arbeit noch auf Sozialhilfe. 99 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Ein Einspruch gegen die erstmalige Ablehnung ist zwar hoffnungslos, verlängert aber das Aufenthaltsrecht. Die meisten MigrantInnen versuchen während dieser Periode erneut die Grenze Richtung Westen zu überqueren.
«Meine Behörde empfängt 70 Prozent aller in der Ukraine gestellten Asylanträge. Von 500 Bewerbern erhalten nur vier bis fünf Personen einen positiven Bescheid», erklärt Mikola Tovt, Leiter der regionalen Migrationsbehörde in Transkarpatien. «Eine Mehrheit der Bevölkerung sieht in einem dunkelhäutigen Migranten automatisch einen Kriminellen. In der Provinzhauptstadt Uschgorod kam es in letzter Zeit vermehrt zu rassistisch begründeten Angriffen auf Asylbewerber.»
Aber nicht nur die Asylbewerber sitzen auf dem kürzeren Ast. Vor mehr als drei Jahren hat die Ukraine einseitig die Visapflicht für Reisende aus Westeuropa abgeschafft. «Zum Dank» ist es seither für UkrainerInnen deutlich schwieriger geworden, Schengenvisa zu erhalten. Mit der Erweiterung des Schengenraums auf die Slowakei, Polen und Ungarn Ende 2007 hat sich die Situation weiter verschärft. Die EU fordert von der Ukraine eine enge Zusammenarbeit in Migrationsfragen und zwang sie 2007 praktisch, ein Rücknahmeabkommen zu unterzeichnen, das 2010 in Kraft treten soll. Darin verpflichtet sich die Ukraine, jede Person, die über ihr Territorium «illegal» ins Schengenland gelangt ist, wieder aufzunehmen.
Dieser Handel – Visaerleichterungen gegen Rücknahme – wird zwangsläufig zu einer weiteren krassen Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Ukraine führen. Weder die ukrainische Politik noch die Bevölkerung ist auf eine menschengerechte Aufnahme zahlreicher MigrantInnen auf der Flucht vor Krieg und Misere vorbereitet. Selbst wenn bis 2010 Schritte in Richtung einer entsprechenden Gesetzgebung unternommen würden, müssen wir davon ausgehen, dass internationale Konventionen in der Ukraine kaum mehr als Makulatur darstellen
*Pavshino wird schrittweise geschlossen und durch ein «moderneres» Internierungslager in Wolhynien ersetzt. Grundsätzlich ändert sich aber kaum etwas. Initiative Migrationen Transkarpatien
Die ethnisch bunt gemischte Bevölkerung des Südostrands der Karpaten ist seit Jahrhunderten darauf eingestellt, ihren Lebensunterhalt durch Saisonarbeit zu verdienen, egal, ob sie gerade zur Donaumonarchie, zur Tschechoslowakei, zur Sowjetunion gehörte oder jetzt Teil der Ukraine ist. Arbeitsmigration betrifft mehr als die Hälfte der Haushalte, vor allem auf dem Land.
Die Ankunft von zahlreichen MigrantInnen aus dem Kaukasus, dem Nahen Osten, Asien und Afrika ist hingegen ein neues Phänomen. Verständlich wird sie durch die geographische Lage Transkarpatiens mit gemeinsamen Grenzen mit vier EU-Mitgliedstaaten: Polen, Slowakei und Ungarn (seit Ende 2007 Schengenländer), sowie Rumänien. Über das kleinste Oblast der Ukraine führt nunmehr ganz offenbar der meist genutzte Landweg für MigrantInnen auf dem Weg nach Westeuropa.
Wer interessiert sich in Transkarpatien für Migrationsfragen?
Ausser der regionalen Migrationsbehörde und den Sicherheitsorganen (Grenzwächter, Geheimdienst, Polizei...) gibt es zwei grosse NGOs, die den MigrantInnen minimale materielle und rechtliche Unterstützung gewähren. Sie haben allerdings kein Interesse daran, die Migrationsfrage als gesamtgesellschaftliches Problem anzusehen, und zahlreiche Berichte von direkt Betroffenen sparen nicht mit Kritik an ihrer Arbeit. Das UNHCR hält sich deutlich zurück, da es sich bei den meisten MigrantInnen nicht um Flüchtlinge handle. In der Bevölkerung herrscht eine unterschwellig fremdenfeindliche Grundhaltung. Die Medien veröffentlichen fast ausschliesslich die Pressemitteilungen der Sicherheitskräfte. Erste rassistische Übergriffe junger, unorganisierter Jugendlicher führen dazu, dass sich die dunkelhäutigen Ausländer nur mehr in Gruppen in der Öffentlichkeit zeigen, was seinerseits das Misstrauen der einfachen Bevölkerung verstärkt.
Unsere «Initiative Migrationen Transkarpatien» versteht sich als langfristige Aktion mit drei Schwerpunkten: «Border Monitoring», Verteidigung der Rechte von MigrantInnen und Öffentlichkeitsarbeit in unserer Region.
Kontakt: camzua(at)gmail.com