UKRAINE: Hungerstreik in einem Flüchtlingsgefängnis

von Michael Rössler (Freundeskreis Cornelius Koch), 13.04.2012, Veröffentlicht in Archipel 201

Im März 2009 konnte eine Delegation des Europäischen BürgerInnen Forums (EBF) das Gefängnislager für Flüchtlinge und Migranten von Zuravyci in der Nähe der ukrainischen Stadt Luts’k besuchen. Die Mitglieder der Delegation waren schockiert. In demselben Lager haben im Januar 2012 somalische Flüchtlinge einen Hungerstreik begonnen, um auf ihre unmenschliche Behandlung aufmerksam zu machen.

Zur Erinnerung: In der Ausgabe des Archipels Nummer 172 schilderte die Delegation ihre damaligen Eindrücke: „Das ukrainische Lager befindet sich weit abgelegen in einem sumpfigen Wald auf einer ehemaligen sowjetischen Atom-Raketenbasis. Das Areal ist von einer hohen weissen Mauer mit glänzendem Stacheldraht umgeben. Die Gebäude sind frisch renoviert; alles wirkt sauber und steril. Ein perfektes Gefängnis, dem Innenministerium unterstellt, mit Polizisten, aber auch mit grimmigen privaten Wächtern in schwarzen Uniformen und langen Schlagstöcken. Frauen in gestärkten weissen Kitteln wandeln durch die Gänge wie in einer Klinik. Ein moderner Gulag. Das Lager ist für 180 Flüchtlinge geplant, doch es sind nur 29 Menschen interniert. Wir erfahren, dass auch hier das Geld fehlt, um mehr Insassen zu ernähren. Der Westen finanzierte nur den Umbau. Die Flüchtlinge bleiben maximal 6 Monate im Lager und werden dann freigelassen - ohne Unterkunft und Geld - irgendwo draussen in der Landschaft. Wir werden in einen Bau zu den Flüchtlingen geführt: Sie sitzen in einem vergitterten Aufenthaltsraum, wirken wie gelähmt. Unter den Augen der Wärter wollen sie nicht mit uns reden, sie haben Angst. Was geschieht mit diesen Menschen, die das reiche Europa zurückschickt? Was ist die letzte Konsequenz dieser Politik? Wir verlassen diesen Ort mit einer Gänsehaut. Endstation Ukraine.“

Die Somalier im Teufelskreis

Seit dem 6. Januar 2012 befinden sich 58 Somalier in diesem Lager im Hungerstreik, 11 von ihnen sind Frauen (7 von ihnen unter achtzehn Jahren) und 17 von ihnen sind Männer unter achtzehn Jahren. Die Hungerstreikenden sagen, dass ein siebzehn Jahre alter Junge sehr krank sei und sich in einem separaten Raum befinde. Während langer Zeit kam kein Arzt, dann kam er endlich am 15. Januar. Die Hungerstreikenden berichten, dass sie die Opfer in einem völlig ungerechten Asyl-System seien. Somaliern wird fast grundsätzlich das Asyl in der Ukraine verweigert. Wenn sie versuchen, über die Grenze in die Europäische Union zu gelangen, werden sie zurückgeschoben und interniert. Die Hungerstreikenden sagen, dass sie polizeilicher Verfolgung und Erpressung ausgesetzt seien. Inzwischen können sie für 12 Monate interniert werden (früher sechs Monate), wenn sie keine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung haben, um legal in der Ukraine zu bleiben. Die Polizei sagt den Flüchtlingen: „Kein Papier? Kein Geld? Dann ab ins Gefängnis!“ Ein anderer Hungerstreikender, der nie ein Verbrechen begangen hat, war von den drei Jahren seines Aufenthalts als Asylbewerber in der Ukraine im Ganzen zwei Jahre im Gefängnis. Ein Asylbewerber kann kurze Zeit nach seiner Entlassung wieder festgenommen werden und wiederum für zwölf Monate eingesperrt werden. Einige der Hungerstreikenden sind als Asylbewerber seit fünf oder sechs Jahren in der Ukraine und werden momentan zum ersten Mal festgehalten. Andere sind schon mehrmals interniert worden.

Schutz der Verfolgten

Das EBF appelliert an das ukrainische Innenministerium, Vertretern von humanitären Nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), die im „Ukrainischen Flüchtlingsrat“ (darunter unsere Partnerorganisation CAMZ aus Uschgorod) zusammengeschlossen sind, den Zugang zum Lager bei Luts’k zu gestatten, um die Hungerstreikenden medizinisch und psychologisch betreuen zu können und um einen Dialog mit den Behörden einzuleiten. Das EBF unterstützt die Forderungen der Hungerstreikenden nach Freilassung aus dem Lager, nach einer Aufenthaltsbewilligung und einem Asylstatus, so dass sie nicht mehr der polizeilichen Verfolgung und der behördlichen Willkür ausgesetzt sind. Warum Menschen quälen, die sich so zu Wort melden: „Wir sind keine Mörder. Wir haben Somalia nur verlassen, um unser Leben zu retten“?
Die Flüchtlinge aus Somalia können nicht in ihr Herkunftsland, das von Bürgerkriegen zerrissen wird, zurückgeschickt werden. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat im letzten Juni entschieden, dass die Somalier internationalen Schutz geniessen müssen. Diese Entscheidung ist bindend für alle Mitgliedsstaaten des Europarats, so auch für die Ukraine. Es ist allerdings zu hoffen, dass das Urteil auch in Westeuropa befolgt wird. Es ist zu einfach, nur die Ukraine für die unhaltbare Situation der Flüchtlinge zu kritisieren. Denn diese Situation ist die direkte Folge der brutalen Abschottungspolitik der Festung Europa an ihrer östlichen Aussengrenze.
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