Die Bergkette Swydowets ist Teil der Waldkarpaten. Sie liegt in der Region Transkarpatien im Südwesten der Ukraine, eingebettet in die Flüsse Teresva und Tchorna Tisza im geographischen Mittelpunkt Europas. Hier soll ein gigantischer Tourismuskomplex gebaut und somit das ganze Berggebiet zerstört werden.
Die Bliznitsa ist mit 1‘883 m der höchste Gipfel des Bergmassivs, das sich über ca. 45‘000 ha erstreckt. Zahlreiche Wälder, seine naturbelassene Wildheit, die Vielfalt der Flora und Fauna und seine drei natürlichen Seen machen es zu einem der schönsten Berggebiete der Karpaten. Die steilen Nordabhänge sind mit Fichtenwäldern, die baumlosen Bergkuppen mit subalpiner Vegetation und Almen bedeckt. Auf den Südhängen überwiegen Fichten/Buchen- oder Buchenwälder. Im Herzen von Swydowets entspringt der Fluss Tchorna Tisza – die Quelle der Theiss, einer der bedeutensten Flüsse der Region. Rund um das Svydovets-Massiv liegen vier Dörfer1. Swydowets erhält mit 1400 mm/Jahr die höchsten Niederschläge in der Region.
Im Jahr 2016 hat man zum ersten Mal vom Plan eines Skizentrums auf dem Swydowets gehört. Es soll grösser und schicker werden als «Bukovel», die bekannteste Ski-station in der Ukraine. Der Gouverneur von Transkarpatien, Gennady Moskal, nannte zu dem neuen Tourismuskomplex unglaubliche Zahlen: geplant sind mehr als 60 Hotels, 120 Restaurants, 33 Lifte, die zu Pisten mit einer Gesamtlänge von 230 km führen. All das wird von Investoren finanziert, deren Namen er nicht nennen will. Ausserdem Einkaufszentren, Ärztehäuser, Fitness-Studios, Bankfilialen, mehrstöckige Parkhäuser und sogar eine 1 km lange Piste für kleinere Flugzeuge. Der zukünftige Tourismuskomplex soll Platz für bis zu 28‘000 Touristen bieten. 5‘000 Arbeitsplätze sollen geschaffen werden. Laut Moskal wäre es für die Einheimischen ein Traum, Arbeit in der Nähe zu finden. In diesen Bergen gehen die Menschen seit Jahrhunderten oft weit entfernt auf Saison arbeiten.
Zu Beginn des Jahres 2017 hat die Verwaltung der Distrikte Tyatchiv und Rakhiv öffentliche Informationsveranstaltungen abgehalten, um die Zustimmung der drei betroffenen Dörfer Yassinya, Tchorna Tisza und Lopukhovo für den geplanten Tourimuskomplex zu erhalten. Der Unternehmer Vasyl Fabritsy, ein Aktivist des Dorfes Lopukhovo gegen die Verbauung des Bergmassivs, erklärt dazu: «Wir haben von der Versammlung in Lopukhovo erfahren, als sie zu Ende war. Es gab eine Ankündigung in der Zeitung, worin jedoch nicht erwähnt wurde, dass es um eine Abstimmung für oder gegen das Skizentrum Svydovets gehen sollte. Nur zwanzig von der Verwaltung manipulierte Dorfbe-wohner·innen waren anwesend und haben für das Projekt gestimmt. Sie haben für das ganze Dorf entschieden.»
Mobilisierung gegen die Zerstörung
Mehrere entschlossene Bewohner·innen von Lopukhovo haben eine Anzeige beim Verwaltungsgericht eingebracht. Wie 70 Prozent der Menschen in diesen Dörfern arbeiten sie im Wald, haben eine Sägerei oder einen anderen Job, der mit Holz in Verbindung steht. Schon seit 20 Jahren protestieren sie gegen das System, die schlechte Bewirtschaftung und die Korruption in den staatlichen Wäldern. Insbesondere prangern sie die Kahlschläge wegen angeblichen Parasitenbefalls an. Sie haben Juristen·innen, Umweltorganisationen, Gemeinderät·innen und Parlamentarier·innen um Hilfe gebeten. Zu Beginn wollte sich niemand engagieren. Schliesslich hat sich eine junge Studentin des Umweltrechts der Sache angenommen, mehrere NGOs mobilisiert, darunter die ukrainische Umweltinitiative «environment people law» (EPL, http://epl.org.ua/en , Zeleny Dossier (www.dossier.org.ua) und die Europäische Kooperative Longo maï.
Zeitungen haben angefangen, über das Projekt zu schreiben und die Kehrseite der Medaille hervorzuheben. In mehreren Artikeln und in den sozialen Netzen wurde über die Anzahl der Hektaren gestritten, die für einen derartigen Tourismus-Komplex abgeholzt werden müssten. Die Aktivist·innen von Lopukhovo und die Umweltschüt-zer·innen finden diese oberflächliche Polemik lächerlich. Sie solle nur dazu dienen, die Köpfe zu verwirren. Es gäbe sowieso keinen genauen Plan, wie diese zukünftige Tourismusstation aussehen solle. Auch wenn nur eine kleine Anlage (um die 1‘400 ha) genehmigt würde, eröffne das die Möglichkeit, die ganze Gegend zu zerstören, meinen die Aktivist·innen.
Die Bewirtschaftung der Wälder ist eine sehr sensible Frage in der Region und in der ganzen Ukraine. Nach der Maïdan-Revolution 2014 haben Viele geglaubt, dass sich die Korruption und die exzessive Ausbeutung der Wälder verringern würden. Die Aktivistin Valeri Pavluk erinnert sich: «Schon 1998 und 2000 hatten wir grosse Überschwemmungen mit Schlammlawinen, die mehrere Häuser mitrissen und das Dorf bedeckten. Damals war klar, dass das die Folge des Raubbaus an den Wäldern war. In den letzten Jahren ist es nur noch schlimmer geworden. Im Staatswald von Lopukhovo hat man 2005 zum Beispiel 50 000 m³ Holz geschlagen. 2016 waren es auf einer vergleichbaren Fläche 240‘000 m³. Die Situation ist katastrophal und hoffnungslos geworden.»
Immer zahlreichere Kahlschläge verursachen Erosion. Weil die Lastwägen im Winter keine steilen Hänge befahren können und weil bei der Holzbringung die Länge des Rückweges direkten Einfluss auf den Verkaufspreis hat, werden Holzschläge immer häufiger entlang der Forststrassen durchgeführt, wo sie Auswaschungen und Erdrutsche verursachen.
Illegale Abholzung
Etwa 15,9 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes sind bewaldet, das sind mehr als 10 Millionen Hektar. Die ukrainischen Karpaten sind zu 32 Prozent mit Wald bedeckt, hauptsächlich mit Kiefern, Tannen, Buchen und Eichen. Die Waldfläche in Transkarpatien beträgt 526‘000 ha. Bis auf wenige Gemeinde- und Privatwälder sind alle Wälder Staatseigentum. Das Staatskomitee der Forstindustrie ist das oberste Organ und verwaltet die staatlichen Wälder, die zum Grossteil angepflanzt sind und intensive Pflege benötigen. Das Durchschnittsalter der Bäume beträgt nur 55 Jahre. Ältere Wälder und Urwälder werden in Naturschutzgebieten oder in entlegenen Berggebieten bewahrt, wo der Zugang für Forstunternehmen schwierig ist.
Was verstehen wir unter illegaler Abholzung? Holzschläge ohne entsprechende Genehmigung; falsche Angaben über Volumen und Wert der gefällten Bäume; Holzschläge ausserhalb des genehmigten Geländes; Erteilung von Genehmigungen aufgrund von Korruption; Abholzen von gesunden Bäumen wegen angeblichem Parasitenbefall; die illegale Ausweisung und Abholzung von Waldgebieten für Bauvorhaben oder Abbau von Bodenschätzen.
Was verursacht die illegale Waldnutzung? Viele Leute in den Waldkarpaten sind von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen und können es sich nicht leisten, Brennholz zu kaufen. Deshalb gibt es das Gewohnheitsrecht kleiner Holzschläge für den Eigenbedarf, die nicht ins Gewicht fallen.
Im Gegensatz dazu stehen die Abholzungen zur persönlichen Bereicherung. Sie sind gut organisiert, inklusive falscher Papiere, und erfordern eine ganze Kette von Aktivitäten. Vom Holzschlag bis zum Export von Rund- oder Bauholz wird alles von der korrupten Staatsmacht gedeckt. Die Nachfrage für illegales Holz auf dem internationalen Markt ermuntert die Gesetzesübertreter im Landesinnern. Auch die lückenhafte Forstgesetzgebung mit ungenauen und komplizierten Verfahren ist für die illegale Abholzung verantwortlich. Der Justizapparat ist schwach und ineffektiv, es mangelt an Transparenz. Gesetzesübertretungen in der Waldwirtschaft werden quasi nicht verfolgt und enden selten mit einem Gerichtsurteil. Die Bürger·in-nen und Gemeinden nehmen an Fragen, die die Wälder betreffen, kaum teil, weil Informationen nicht effizient verbreitet werden und es keine öffentlichen Anhörungen gibt.
Die kleine ukrainische Umweltbewegung «Lissova Varta» (Waldwache) dokumentiert illegale Holzschläge und verbreitet Berichte, Dokumentationen und Fotos in den sozialen Netzen. Die Aktivist·innen laden zu Arbeitsgruppen ein und vermitteln, wie man illegale Schläge aufdecken kann. Leider ist diese Bewegung in Transkarpatien nur wenig aktiv. Auch hat das Anprangern der illegalen Abholzung bisher überhaupt keine Konsequenzen. Die Medien berichten kaum mehr darüber, so alltäglich ist es geworden. Oksana Stankevych-Volosyanchuk, eine in Transkarpatien bekannte Ökologin stellt fest: «Im Svydovets-Massiv entspringen die Zuflüsse der Theiss, also Tchorna Tisza, Kisva, Chopuorka und zum Teil der Fluss Teresva. Hier finden wir Seen, Sumpfgebiete, Bäche und Feuchtwiesen, die eine wichtige Rolle für die Hydrogeologie der Karpaten spielen. Diese Feuchtgebiete werden durch Schneeschmelze, Niederschläge und Oberflächenwasser alimentiert. Sie dienen als Wasserreserve über das ganze Jahr, indem sie einen Grossteil des Regen- und Tauwassers binden. So sinkt die Wahrscheinlichkeit grosser Hochwasser. Diese Täler und Feuchtgebiete bilden empfindliche Ökosysteme. Exzessive menschliche Eingriffe in das System haben zerstörerische Folgen. All diese Ökosysteme sind die Grundlage für die endemischen Arten der Karpaten.
Die Schaffung von touristischer Infrastruktur auf diesem Gebiet, die neuerliche Zerstörung von Wäldern, der Bau eines Strassennetzes, von Hotels mit Wasseranschluss und Kläranlagen wird sicher Änderungen im Wasserhaushalt hervorrufen. Diese fragilen Ökosysteme leiden schon jetzt unter den chaotischen Zuständen, die wildes Campieren an den Seen hervorrufen: Brennholznutzung, Wasserverschmutzung durch Putzmittel, was würde eine grosse Baustelle erst mit sich bringen? Wahrscheinlich würde so ein Projekt den Klimawandel, den wir schon spüren, beschleunigen. Wie werden sich die Veränderungen auswirken? Katastrophale Hochwasser, Bodenerosion, Erdrutsche, Absinken des Grundwasserspiegels, Wasserverschmutzung, Dürre. Nicht die Gäste, die Einheimischen werden die Leidtragenden sein.»
Ein Netzwerk zum Schutz der Wälder
Wir sind Aktivist·innen des Dorfes Lopukhovo, transkarpatische Umweltorganisationen aus Lviv und Kiew, Jurist·innen, Natur-liebhaber·innen und Mitglieder von Longo maï. Wir verstehen nicht, wozu diese Urbanisierung im Herzen von Svydovets. Wozu eine Infrastruktur oben auf den Almen, wenn es in den Bergdörfern keine gibt. Hier gibt es keine Strassen, keine Kanalisation, keine Kläranlagen, keine Mülltrennung, keine Hotels, keine Supermärkte, kein einziges gutes Restaurant, keine Banken und keine Krankenstationen. Die staatlichen Förster von Lopukhovo haben schon begonnen, eine Strasse durch das Bergmassiv zu dem zukünftigen Skizentrum zu bauen, welche die Distrikte Tyatchiv und Rakhiv miteinander verbinden soll.
Also haben wir im Juli begonnen zu kämpfen. Wir haben Journalist·innen, das Fernsehen und Ökolog·innen eingeladen, sie auf die Berggipfel gebracht und ihnen die Absurditäten des Projekts erklärt. Wir haben beim Gericht wegen Verfahrensfehlern Einspruch erhoben. Die erste Gerichtsverhandlung fand am 14. November 2017 statt. Die beiden zuständigen Präfekte sowie ihre Anwälte fanden es nicht der Mühe wert zu erscheinen. Hingegen waren zwanzig Aktivist·innen anwesend und die Verhandlung wurde von einem nationalen Fernsehsender gefilmt. Der Richter hat unsere ökologischen Argumente angehört und entschieden, dass das Urteil von drei Richtern gefällt werden soll – eine aussergewöhnliche Situation. Die nächste Verhandlung soll am 4. Dezember stattfinden.
Ausserdem haben wir uns mit Aktivist·innen und Umweltschutzorganisationen in Uschgorod getroffen. Wir haben eine Verletzung der Verpflichtung zum nachhaltigen Tourismus angezeigt, die laut Rahmen-Konvention zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung der Karpaten (Lillafüred, Ungarn) besteht. Das Umweltministerium haben wir um eine Untersuchungskommission gebeten – bisher ohne Antwort. Viele Leute erklären auf Facebook ihre Unterstützung. Daraufhin hat der Gouverneur inoffiziell kundgetan, dass man den Aktivist·innen nicht glauben soll. Am Tag nachdem wir vor Gericht Einspruch erhoben haben, hatten die drei aktivsten Projekt-gegner·innen in Lopukhovo eine Kontrolle der Arbeitsinspektion. Sie erhalten auch regelmässig Drohungen, damit sie sich aus dem Kampf zurückziehen. Die Mobilisierung wächst; jeden Tag kommen neue Leute dazu, aber in den Dörfern bleiben wir in der Minderheit. Auch wenn Einige mit uns einverstanden sind, haben sie Angst, den Mächtigen entgegenzutreten, stehen unter dem Einfluss ihres Arbeitgebers oder fürchten die unbekannten Investoren.
Wir fordern: die Befürwortung einer Baugenehmigung des Präfekten aufzuheben, keine Umwidmung des Geländes zu erteilen, die Hochebene und die natürlichen Seen des Swydowets-Massivs durch eine Vergrösserung des benachbarten Naturschutzgebietes zu schützen. Ausserdem die Obergrenze der Holzernte pro Hektar zu senken und die Kontrolle durch zivilgesellschaftliche Organisationen wie «Lissova Varta» zu verstärken. Wir rufen NGOs, nationale und internationale Organisationen in allen Ländern auf, unsere Aktion für die Erhaltung des Swydowets-Bergmassivs zu unterstützen. Wir sind eine Minderheit in unserer Region, schliesst euch an!