DOSSIER SAATGUT: Vielfalt in Gefahr!

von Heike Schiebeck Longo maï - Via campesina Österreich, 23.01.2011, Veröffentlicht in Archipel 189

Die Umsetzung der EU-Erhaltungssortenrichtlinie privatisiert freie Sorten. Aus für Pflanzentauschmärkte in Österreich? Im Juni 2008 hat die EU-Kommission die Richtlinie 2008/62/EG erlassen. Sie regelt die Zulassung von Landsorten und seltenen Sorten, die von genetischer Erosion bedroht sind und bis jetzt noch nicht registriert waren sowie das «Inverkehrbringen» dieser Sorten. Bei einer Informationsveranstaltung des Lebensministeriums wurden nun die Durchführungsbestimmungen für Österreich vorgestellt.

Die anwesenden ErhalterInnen von seltenen und bedrohten Sorten reagierten entsetzt: «Unsere schlimmsten Befürchtungen wurden übertroffen», so Florian Walter, Bergbauer in Pöls und Erhalter zahlreicher Sorten. «Dies ist das Aus für die so beliebten Pflanzentauschmärkte! Das mühsam aufgebaute Netzwerk von ErhalterInnen in Österreich wird mit diesen Regelungen in Frage gestellt.»
Bisher waren Erhaltungssorten freie Sorten, die genutzt, vermehrt und weitergegeben werden durften. Nach Inkrafttreten der Umsetzungsbestimmungen können diese Sorten in einem – im Vergleich zum regulären Zulassungsverfahren – vereinfachten und billigeren Verfahren zugelassen werden. Bis jetzt gab es diese Möglichkeit nicht. Sobald jedoch eine Sorte als Erhaltungssorte zugelassen ist, darf sie nur mehr von den jeweiligen Zulassungsinhabern vermehrt und verkauft werden. Die Sorte, die bisher allen frei zu Verfügung stand, wird somit privatisiert.
Genau dieser Punkt löst Empörung auf Seiten der ErhalterInnen aus. «Diese traditionellen und seltenen Sorten werden seit Jahren von zahlreichen Bauern und Bäuerinnen sowie GärtnerInnen vermehrt, betreut und züchterisch verbessert. Nun sollen wir sie nicht mehr verkaufen, ja nicht einmal mehr tauschen dürfen! Für uns ErhalterInnen bedeutet das ein ständiges Leben in Ungewissheit, ob nicht morgen auch die geschätzte und gehütete Lieblingssorte privatisiert ist und nicht mehr weitergegeben werden darf. Wer wird sich dann noch die Mühe machen Sorten zu erhalten und weiter zu entwickeln?» so Walter entrüstet.
Derzeit befinden sich in Österreich fast 70 Gemüsesorten im Zulassungsverfahren, darunter so bekannte und beliebte Sorten wie die Tomaten «Green Zebra» und «Auriga» oder der Paprika «Roter Augsburger». EU-weit sind bereits 100 Sorten zugelassen. Sobald ein EU-Mitgliedsland eine Region als «Ursprungsregion» einer gewissen Sorte anerkennt, darf diese nur mehr in dieser Region angebaut werden. Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten sind damit vorprogrammiert. Zusätzlich gelten strenge Mengenbeschränkungen.
«Die EU-Kommission hat vorgegeben, durch die Erhaltungssortenrichtlinie die Bewahrung und Weiterentwicklung von traditionellen und seltenen Sorten erleichtern zu wollen. Das Gegenteil ist der Fall! Die Richtlinie und insbesondere auch ihre Umsetzung in Österreich machen die Arbeit der ErhalterInnen zunichte. Im Internationalen UN-Vertrag über Pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGR-FA) ist das bäuerliche Recht, Samen aus eigener Ernte zu gewinnen, zu tauschen und zu vermarkten, festgeschrieben. Dieser Vertrag wurde von der EU und allen Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Durch die Erhaltungssortenrichtlinie wird dieses Recht verletzt», ärgert sich Heike Schiebeck, Vorstandsmitglied der ÖBV-Via Campesina Austria, der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer-Innenvereinigung.
Die Umsetzung der Saatgutrichtlinie legalisiert die Biopiraterie: Pflanzensorten, die über Jahrhunderte von unzähligen Generationen von Bäuerinnen und Bauern gezüchtet wurden, sollen nun zum Eigentum einzelner Zulassungsinhaber werden. Seltene Sorten, die zynisch als «Liebhabersorte ohne ökonomischen Nutzen» bezeichnet werden, sind durch das teure Zulassungsverfahren und die restriktiven Anbaubestimmungen vom Aussterben bedroht. Im schlimmsten Fall werden dutzende oder hunderte traditioneller Saatgutsorten so binnen weniger Jahre durch Europas Agrarbürokratie ausgerottet.
Das ErhalterInnennetzwerk, die ÖBV-Via Campesina Austria und die Grünen Bäuerinnen und Bauern fordern die politisch Verantwortlichen in Österreich auf, die Durchführungsbestimmungen der Erhaltungsrichtlinie einer gründlichen Überarbeitung zu unterziehen. Insbesondere die Regelungen, die sich auf den Verkauf, die Weitergabe und den Tausch von Saatgut beziehen, müssen so abgeändert werden, dass die Arbeit der zahlreichen ErhalterInnen nicht bedroht wird.
Unterstützen Sie unsere Forderungen und schreiben Sie an Herrn Ministerialrat Zach im Lebensministerium: heinz-peter.zach@lebensministerium.at
Bitte schicken Sie eine Kopie Ihres Schreibens an: heike.schiebeck@gmx.at