Syngenta gegen landlose Bauern - Fortsetzung

von Beatriz Graf (EBF), 30.06.2010, Veröffentlicht in Archipel 163

Am 17. April 2008 fand der weltweite Tag der Landlosen statt. Dieses Datum nahmen zwei Vertreter der brasilianischen Landlosenbewegung MST wahr, um nach Basel zu reisen und dort am Hauptsitz des Agrokonzerns Syngenta ein Dossier zu deponieren 1. Das Dossier befasst sich mit der Besetzung einer Forschungsstation von Syngenta im brasilianischen Bundesstaat Paranà, die in unmittelbarer Nähe des Nationalparks Iguaçu liegt. Bei der Besetzung wurde ein landloser Bauer erschossen, zu Tode kam ebenfalls ein Angestellter der Sicherheitsfirma, die Syngenta mit der Vertreibung der Besetzer am 21. Oktober 2007 beauftragt hatte.

Während ihres Aufenthalts in Basel haben die Anwältin Gisele Cassano und der Bauer Jonas Gomes unter anderem neun Mitglieder des Basler Parlaments getroffen, die sich äusserst empört über das Verhalten Syngentas in Brasilien zeigten. Drei Parlamentarier forderten die Firma sofort zu einer Unterredung auf, die Ende Juni in Basel stattfand. Die Geschäftsleitung von Syngenta bedauerte zwar die Vorfälle in Brasilien, wies jedoch jegliche Verantwortung für die tragischen Ereignisse auf ihren Versuchsfeldern von sich. Sie weigert sich, mit der MST zu verhandeln und lehnt eine Entschädigung der Verletzten des 21. Oktobers und der Witwe des getöteten Bauern ab. Syngenta gab des Weiteren vor, über die Arbeitsweise der von ihr in Brasilien engagierten Sicherheitsfirma «NF Segurança» nicht auf dem Laufenden gewesen zu sein. Medienberichte, die vor dem 21. Oktober erschienen sind, beweisen jedoch das Gegenteil: NF Segurança hat landbesetzende Bauern mehrmals angegriffen, ist bekannt für ihre brutalen Methoden und wurde überdies mehrmals angeklagt, u.a. wegen illegalen Waffenbesitzes. Syngenta Brasilien hätte wissen müssen, mit wem sie Verträge abschliesst.

Syngenta sieht sich zu Reaktionen gezwungen Das Gespräch mit den Parlamentarien zeigte seine Wirkung. Syngenta schickte bald darauf eine Liste von brasilianischen Organisationen, mit denen sie zu einer Diskussion bereit wäre. Zudem gab sie bekannt, dass sie Vertreter nach Brasilien schickt, um gemeinsam mit den Behörden und Universitäten von Paranà eine annehmbare Lösung für alle zu finden. Die Reise der Brasilianer in die Schweiz hat sich also gelohnt: Der Agrochemie-Konzern sieht sich gezwungen, auf die internationale Empörung und vor allem die Intervention der Basler Parlamentarier zu reagieren.

Das nächste Eckdatum wird nun der 21. Oktober 2008 sein, an dem sich die blutige Vertreibung der Landbesetzer jährt. Dann wird geschaut, welche konkreten Auswirkungen der «gute Wille», den Syngenta verlauten lässt, wirklich hat. Zurzeit wird eine Delegation von Beobachtern zusammengestellt, die im Januar 2009 nach Brasilien reist, um dort den Gerichtsprozess gegen die NF Segurança und gegen die MST-Mitglieder mitzuverfolgen. Unterdessen hat uns Gisele Cassano mitgeteilt, dass die brasilianische Bundespolizei der NF Segurança die Betriebserlaubnis entzogen hat. Jene kann zwar laut Gisele Cassano gegen diese Entscheidung eine Beschwerde einlegen, dennoch würde sie schwerlich weiterarbeiten können.

Versuch der Kriminalisierung schlägt fehl Die Anwältin hat uns zudem darüber informiert, dass es im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul eine grossangelegte Kampagne gab, um die MST zu kriminalisieren. Der Generalstaatsanwalt forderte sogar die Auflösung der MST. Gisele Cassano kommentiert: «Das ist absurd! Das einzig Gute dabei ist die Empörung, welche die Forderung bei Professoren, Studierende, Richtervereinigungen und der Anwaltskammer ausgelöst hat. Die MST ist eine rechtmässige Vereinigung, und das Verhalten der Staatsanwaltschaft verstösst gegen die brasilianische Verfassung und gegen den Rechtsstaat, für den wir Brasilien halten. Der Generalstaatsanwalt stützt sich zudem bei der Forderung, die MST zu verbieten, auf ein Gesetz aus Zeiten der Militärdiktatur. Nach den zahlreichen Protesten hat die Staatsanwaltschaft nun zwar ihre Entscheidung zurückgezogen, doch für viele Familien kommt das zu spät. Sie sind bereits mit Polizeigewalt von dem Land vertrieben worden, das sie ehemals besetzt hatten – trotzdessen ihr Aufenthalt inzwischen legalisiert war.

Auf der Internetseite der MST 2 findet sich dazu ein Protestbrief auf Englisch oder Französisch und zwei E-Mail Adressen, an die der Brief geschickt werden kann. Auf meine Einsendung im Namen des Europäischen Bürgerforums erhielt ich eine Antwort des Generalstaatsanwalts von Rio Grande do Sul, in der er bestätigte, dass es sich um ein Missverständnis handle und dass er niemals die Absicht hatte, die MST aufzulösen.

Von Gentech zu ökologischem Landbau?

Während dieser Ereignisse haben die Via Campesina und die MST in Cascaval (Paranà) eine internationale Tagung zu ökologischem Landbau organisiert, an der sich Bauern aus ganz Brasilien und den umliegenden Ländern trafen. Während mehrerer Tage haben sie ihre Erfahrungen ausgetauscht.

Das Gelände rund um die Versuchsstation von Syngenta, unweit des Tagungsorts gelegen, ist verlassen, seit die Leute der MST vertrieben wurden – der Konzern kann dort keine Experimente mehr mit gentechnisch veränderten Pflanzen oder stark toxischen Produkten durchführen. Der Druck der Öffentlichkeit, dass Syngenta dieses Gelände verlässt, bleibt weiterhin gross. Bereits existiert ein Projekt des Gouverneurs von Paranà, die Versuchsstation in ein Forschungszentrum für ökologischen Landbau umzuwandeln.

  1. siehe Archipel Nr. 160, Mai 2008

  2. http://www.mst.org.br/mst/especiais.php?ed=71