SPANIEN: Soziale Kämpfe in Andalusien

von Jacques Berguerand, FCE und Longo maï, 23.02.2018, Veröffentlicht in Archipel 267

Auf Einladung der andalusischen Landarbeiter-Gewerkschaft SOC-SAT waren Vertreter·innen des EBF und Genossenschafter·innen aus mehreren Longo-maï-Kooperativen im November 2017 in Spanien. Sie wollten mehr über die aktuellen Kämpfe und die Realität der Landarbeiter·innen in Andalusien erfahren. Hier ihr Bericht, mit einer ausführlichen Übersicht und einem historischen Rückblick.

Spanien zählt 500‘000 km² und rund fünfzig Millionen Einwoh-ner·innen. Die Geburtenrate ist derartig gesunken, dass auch die Zahl der aktiven Bevölkerung seit den Jahren 2010 rückläufig ist. Nachdem Spanien lange ein Auswanderungsland war, ist es nun gezwungen, trotz seiner hoher Arbeitslosenrate, der Immigration die Türen zu öffnen. Die massive Arbeitslosigkeit verteilt sich je nach Region unterschiedlich und betrifft vor allem Jugendliche.

Land und Freiheit
Am Ende des XV. Jahrhunderts zerstörte die spanische katholische Monarchie das zuletzt verbliebene arabische Reich. Die Adeligen und Kriegsherren wurden für ihre geleisteten Dienste mit riesigen Ländereien belohnt. Die dadurch entstandene ungerechte Struktur des Gross-grundbesitzes in Andalusien und der Extremadura dauerte bis zum Wahlsieg der Volksfront im Jahr 1936. Der Druck unzähliger landloser Bauern, Bäuerinnen und Tagelöhner·innen, die sich bisher bei den Latifundist·innen verdingen mussten, bewirkte eine Landreform. Eine Million Hektar Land wurde an mehrere hunderttausend Familien verteilt. Diese Massnahme u.a. diente dann General Franco als Rechtfertigung für seinen faschistischen Militärputsch, um den enteigneten Grossgrundbesitzer·in-nen, oft einflussreiche Mitglieder des katholischen Laienordens Opus Dei, ihre Landgüter zurück zu geben.
Bis Francos Tod im Jahr 1975 setzten die andalusischen Tage-löhner·innen ihren Kampf in der Illegalität fort und organisierten sich in «comisiones jornaleras» (Tagelöhnerkommissionen). Die offizielle Gründung der SOC (Sindicato de Obreros del Campo) im Jahr 1976 gab den Auftakt zu Landbesetzungen. Das Motto der Bewegung lautete: «Land und Freiheit».
Spanien verwandelte sich im gleichen Zeitraum in eine «konstitutionelle Monarchie» – ein postfranquistischer Kompromiss. Der Kontakt zwischen den Longo-maï-Kooperativen und den andalusischen Landarbeiter·innen der SOC knüpfte sich Anfang der 1980ger Jahre. Die SOC war und ist die einzige Gewerkschaft in Europa, welche die Landfrage in ihrer ganzen sozialen Dimension stellt und eine echte Landreform fordert. Der Preis dafür ist hoch und bedeutet monatelange Gefängnisstrafen und Geldbussen.
Im Jahr 1985 gaben das «Europäische Komitee zur Verteidigung der Flüchtlinge und Immig-rant·innen» (CEDRI) und Longo maï die höchst informative und immer noch aktuelle Broschüre «Land und Freiheit, der Kampf der Landarbeiter in Andalusien» heraus und schickte Beobachter·in-nen an Prozesse gegen die Landbesetzer·in-nen. Damals fand die Besetzung eines Landgutes von 2‘000 Hektar statt; auf dem Gelände mit einer Gemeinde von 2‘500 Einwohner·innen entstand die Kooperative Marinaleda. Die Bewohner·innen wählten einen Aktivisten der SOC zum Bürgermeister.

Spezialisierte Landwirtschaft
Im Jahr 1985 trat Spanien der Europäischen Gemeinschaft bei. Tiefe Veränderungen bahnten sich für die Landwirtschaft und die von ihr lebenden Menschen an. In der ersten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, Europas Lebensmittelautonomie zu sichern; die zweite Phase war der rasanten Modernisierung der Landwirtschaft gewidmet, um diese für den Weltmarkt konkurrenzfähig zu machen. Folglich mussten gezwung-enermassen ein Maximum der «unrentablen» Kleinbauern und -bäuerinnen ihre Höfe aufgeben. Die Produktionen konzentrierten sich in vorbestimmten europäischen Regionen in spezialisierten Grossbetrieben. Enorme Geldmassen begleiteten diese Restrukturierung. Beim Durchqueren von Spanien von Nord nach Süd ist diese Spezialisierung gut zu sehen: zuerst die reichen Industrieregionen Katalonien und das Baskenland im Norden; die Produktion von Zitrusfrüchten konzentriert sich um Valencia, der Getreideanbau in Kastilien-La Mancha und um Madrid im Zentrum Spaniens. In Andalusien sind ab Jaén, soweit das Auge reicht, nur Olivenbäume zu sehen. Das «Plastikmeer» mit den Gemüse-Gewächshäusern breitet sich mehr östlich um Almeria herum aus. Andere Gegenden haben sich auf den Anbau von Erdbeeren, Mandeln, Wein und die Produktion exotischer Früchte wie Mango und Avocado spezialisiert. Es ist ein auffälliges Paradox im klimatisch trockenen Andalusien, dass Kulturen mit grossem Wasserbedarf angebaut werden, obwohl im Jahr nur 300 mm Regen fällt. Der Preis solcher Kulturen ist das dramatische Sinken des Grundwasserspiegels. Die industriellen Anbaumethoden bringen eine enorme Erosion mit sich. Jährlich schwemmt es 200 Tonnen Erde pro Hektar gepflanzter Olivenbäume weg. Die systematische Verwendung von Herbiziden, um die mechanische Ernte zu erleichtern, sowie Kunstdünger und Pestizide verschmutzen unwiderruflich alle Gewässer einschliesslich des Grundwassers. Langfristig gesehen kann dieses Landwirtschaftsmodell nicht überleben.

Zweischneidige Sozialmassnahmen
Ab 1970 zwangen die sozialen Umstände den Diktator Franco, sogenannte Gemeindearbeiten einzuführen. Die arbeitslosen spanischen Tagelöhner·innen wurden zeitweise und für oft unnütze Arbeiten im öffentlichen Bereich angestellt. 1982 schaffte die neugewählte sozialistische Regierung diese Massnahme ab und ersetzte sie durch drei andere. Die erste ist das Arbeitslosengeld. Noch heute bekommen Landarbeiter·innen an die 430 Euro Arbeitslosengeld während sechs Monaten, wenn sie gewisse Bedingungen erfüllen. Die Wichtigste ist, dass sie je nach Alter die erforderliche Anzahl an Arbeitstagen pro Jahr nachweisen können. Ein Jugendlicher oder eine Jugendliche unter 25 Jahren muss mindestens 52 Arbeitstage in einem Jahr vorweisen können. Für die 25- bis 65-jährigen sind es 35 Tage. Paradoxerweise leben durch diese soziale Massnahme gewisse Privilegien der Latifundisten auf, da sie – als Arbeitgeber·innen ­ die Arbeitsatteste ausstellen und oft willkürlich die bei ihnen Beschäftigten aufsplittern und isolieren.
Die zweite Massnahme ist der Beschäftigungsplan für Landregionen (Plan de Empleo Rural). Hierbei handelt es sich um staatliche Subventionen, die der Realisierung von Infrastrukturen auf dem Land dienen sollen. Die Gemeinde muss dafür ein Projekt einreichen. Der Berechtigung auf Arbeitslosengeld werden Arbeitstage innerhalb eines solchen Projekts den sonst geleisteten Tagen zugerechnet. Normalerweise sind Arbeitsplätze im Rahmen des PER-Programms jenen vorbehalten, die sonst nicht auf genügend Arbeitstage kommen, oder sich seit langem ohne Arbeitslosengeld durchbringen müssen. Der Kooperative Marinaleda kam dieses PER-Programm für ihre Entwicklung zu Gute. Doch diese Massnahme wurde stark kritisiert, weil sie zu grosser politischer Vetternwirtschaft und Korruption geführt hat. Die dritte Massnahme fördert berufliche Ausbildungen, jedoch ohne Perspektiven auf Anstellungen.

Ungleiche Verteilung
In Andalusien sind 66 Prozent des Bodens in der Hand von 6 Prozent Grundbesitzer·innen. In der Provinz Jaén kumulieren 20 Prozent der Besitzer 70 Prozent des Bodens.
Um die Kleinstadt Jódar herum sind 70 Prozent des Bodens in der Hand von Grossgrundbesitzern, die dem Opus Dei angehören. Einem einzigen Besitzer gehören 350‘000 Olivenbäume auf etwa 3‘500 Hektar. Die Gräfin von Alva in der Nähe von Sevilla besitzt 35‘000 Hektar Land und erhält von Europa 3 Millionen Euro Landwirtschaftssubventionen.
Was ist mit den 600 Millionen Euro passiert, die Europa als direkte Hilfe 1998 an Andalusien ausgezahlt hat? Welche Geldmenge war es 2017, fast 20 Jahre später? Wer bekam das Geld? Im landwirtschaftlichen Bereich ist diese direkte Hilfe für Erzeugerzusammenschlüsse, für den Ausbau von Infrastrukturen und für Investitionen zur Produktionssteigerung bestimmt. Den Grossteil dieser Subventionen erhalten ungerechter Weise diejenigen, die den meisten Boden besitzen, denn die Obergrenze ist nicht festgelegt. Konsequenzen dieser Subventionspolitik sind das Wachsen der Strukturen, die Mechanisierung und Industrialisierung der Produktion und das Verschwinden von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft. Trotz ähnlicher Lebensbedingungen stehen die Landarbeiter·innen mit den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Konkurrenz, weil sie immer noch mit feudalen Landwirtschaftsstrukturen konfrontiert sind. Produ-zent·innen, die keiner Erzeuger·in-nen-Gemeinschaft angehören, oder Direktverkauf tätigen sind von diesen Subventionen ausgeschlossen.
Das hier gezeichnete düstere Bild hat sich seit dem Eintritt von Spanien in den Europäischen Markt vor etwas mehr als 30 Jahren noch mehr verdunkelt. Ist es dann erstaunlich, dass sich Widerstand organisiert und die sozialen Kämpfe andauern? Wie soll man verstehen, dass ein derartiger landwirtschaftlicher Reichtum so schlecht verteilt ist und so viel Armut schafft?
Wo blieb die schöne Idee, die sich im «Gesetz der andalusischen Bodenreform von 1984» darauf beruft, dass Eigentum von Boden «seine soziale Funktion erfüllen muss»? Schlussendlich dient diese schüchterne Reform, ein Erbe Francos, vor allem der Privatisierung des staatlichen Bodens. Die Reform, die 1983 von der SOC in Marinaleda vorgeschlagen wurde, geht viel weiter. Es heisst darin: Beschäftigung von vielen Arbeitskräften durch «soziale Kulturen», Enteignung der Grossgrundbe-sitzer·innen ohne Entschädigung, Gründung von Kooperativen, Aufbau von kleinen Verarbeitungsbetrieben und Direktvermarktung.

Krise in Andalusien
Die stark bevölkerte «Autonome Gemeinschaft Andalusien» war immer ein Auswanderungsland. Bis zu Anfang der 1970er Jahre emigrierten 1,3 Millionen Andalusier·in-nen nach Katalonien, Madrid, Valencia, ins Baskenland oder auf die Balearen. Noch einmal so viele wanderten in andere europäische Länder, nach Lateinamerika und in die USA aus. Die Bewirtschaftung der 1,5 Millionen Hektar Olivenbäume in Monokultur wurde nach und nach in hohem Masse mechanisiert. Viele Arbeitskräfte waren somit überflüssig geworden und die Menschen zogen in die Städte.
Vor 2008 boomte die Baubranche in ganz Spanien und verschaffte vielen von ihnen Arbeit. In dieser Zeit erweiterte sich die SOC (Sindicato de Obreros del Campo) zur SOC-SAT (Sindicato Andaluce de Trabajadores – andalusische Arbeitergewerkschaft). Die Krise von 2008 bedeutete für zahlreiche Bauunternehmen den Bankrott. Viele junge Menschen kehrten aufs Land zurück und griffen erneut den Kampf um den Boden auf – die einzige Perspektive, um zu überleben und sich ernähren zu können.
Andalusien ist mit einer Fläche von 87‘000 km² und mehr als 9 Millionen Einwohner·innen die zweitgrösste Region Spaniens. 2017 war dort die Arbeitslosenrate mit 30 Prozent die höchste in ganz Europa, und 41 Prozent der Bevölkerung leben mit zwei Euro pro Tag am Rande des Existenzminimums. 3,5 Millionen, jeder Dritte in etwa, riskiert die soziale Ausgrenzung. 800‘000 bis 1 Million Menschen sind ohne bezahlte Arbeit. In der Provinz von Jaén beträgt die Arbeitslosigkeit sogar 40 Prozent, das bedeutet mehr als 600‘000 Menschen. In ländlichen Gebieten sind es sogar 70 bis 80 Prozent, wie im 45 km von Jaén entfernten Jódar, einer kleinen Stadt mit 12‘000 Einwohner·innen, davon 4‘000 Saisonarbeiter·innen. Die gleiche Situation herrscht in bestimmten Stadtvierteln von Jaén, deren Bevölkerungszuwachs auf die ländliche Abwanderung zurück zu führen ist.

«Cerro Libertad» – Hügel der Freiheit
Kommen wir zurück zur Aktualität: Am 1. April 2017 besetzen 200 Aktivist·inn·en vom SOC-SAT ein verlassenes Landgut mit 65 Hektar Olivenbäumen in der Nähe von Jaén. Die Besetzung findet aus Solidarität mit dem Gewerkschafter der SOC-SAT Andrés Bódalo statt, der zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. So entscheiden wir uns Mitte November 2017 dazu, vor Ort zu gehen, um die Besetzer·innen kennen zu lernen, bei der Olivenernte zu helfen und die aktuelle Situation besser zu verstehen. Etwa 15 Menschen empfangen uns. Nach und nach renovieren sie die Gebäude für die Unterbringung der freiwilligen Helfer·innen, denn es braucht einen kollektiven Ort, an dem sich alle versammeln oder gemeinsam essen können. Auch zum Olivenpressen braucht es einen Platz. Maria, Curro und einige andere zeigen uns die Finca und erzählen uns ihre Geschichte. Einige Ziegen, zwei Schweine und einen Garten gibt es, der ihnen den ganzen Sommer Gemüse für die Küche geliefert hat. Sogar verkaufen konnten sie etwas Gemüse in der nahe gelegenen Stadt Jaén, dem Zentrum der Olivenproduktion. Es war viel Arbeit, die Olivenbäume, die seit fünf Jahren nicht mehr gepflegt worden waren, für die Ernte vorzubereiten. Sie wird wohl eher gering ausfallen, denn es hat nicht nur an Pflege gefehlt, es hat auch seit acht Monaten nicht mehr geregnet!
Die Finca gehört einer grossen spanischen Bank, der BBVA. Sie kam in ihren Besitz, nachdem der Vorbesitzer, ein Unternehmer im Immobiliengeschäft, in der Krise von 2008 Bankrott ging. Die Bank streicht seit fünf Jahren Subventionen aus dem Topf der «Gemeinsamen Agrarpolitik» der EU ein, zwischen 20 und 30‘000 Euro im Jahr. Die Subventionen sind an die Fläche mit Olivenbäumen gebunden, egal ob diese bewirtschaftet wird oder nicht.
Traditionell sind in dieser Gegend etwa 100 Olivenbäume pro Hektar gepflanzt, ein Baum alle zehn Meter. Die systematische Bewässerung mit Tropfsystem oder mit Hilfe kleiner Staubecken um jeden Baum sorgt für riesige Ernten, solange es Wasser gibt. Auf den besten Böden wurde die Anzahl der Bäume verdoppelt oder verdreifacht, der Schnitt und die Ernte ist nun, wie im Weinbau, mechanisiert. Folglich braucht es erheblich weniger Saisonarbeiter·innen. Das Projekt der SOC-SAT ist es, eine Kooperative für etwa zehn Familien zu gründen. Statt der grossen Monokulturen planen sie nach agroökologischen Kriterien eine diversifizierte Produktion. Neben Gemüseanbau, Wein, Getreide, Kichererbsen und Olivenöl, soll, wie früher, viel für den Eigenbedarf produziert werden. Derzeit verhandelt die SOC-SAT mit der Bank über eine langfristige Nutzung des Landes.

Ein politischer Gefangener
Wir haben die Gelegenheit, Andrés Bódalo, den verurteilten Gewerkschafter der SOC-SAT, kennen zu lernen. Schon mit neun Jahren begann er als Tagelöhner zu arbeiten und wurde frühzeitig pazifistischer Aktivist der SOC. Am 1. April 2016 trat er eine dreieinhalb jährige Gefängnisstrafe an. Nach 538 Tagen Haft im Gefängnis von Jaén wird er mit einer elektronischen Fussfessel, die er bis Anfang 2019 behalten muss, entlassen. So wird überwacht, dass er seine Wohnung jeden Abend ab 22 Uhr bis morgens früh um sieben Uhr nicht verlässt. Zudem ist jeder Zeit kontrollierbar, wo er sich aufhält. Jede Woche oder auch willkürlich, wird er vorgeladen – zum Beispiel zur Blutabnahme, um festzustellen, ob er Drogen zu sich nimmt oder alkoholabhängig ist.
Er erzählt uns, wie er ins Gefängnis kam: Im Jahr 2008 kam die SOC-SAT mit Aktionen in den Supermärkten Carrefour und Mercadona in die Schlagzeilen der spanischen Presse. Die Aktivist·innen schoben gefüllte Einkaufswägen, ohne zu bezahlen, an den Kassen vorbei und verteilten den Inhalt gratis an bedürftige Menschen. Sie wollten auf den krisenbedingten Nahrungsmangel unter den Landarbeiter·innen und in unzähligen armen Vierteln der grossen Städte aufmerksam machen. Auch die skandalöse Tatsache, dass die Supermärkte drei Tage vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums Nahrungsmittel zerstören, haben die Aktivist·inn·en denunziert. 52 von ihnen wurden angeklagt und mit schweren Geldstrafen und langen Gefängnisstrafen bedroht.
Doch die Aktion zeigte Wirkung, denn der spanische Staat und die «Autonome Gemeinschaft Andalusien» mussten sich an das Welternährungsprogramm der UNO wenden, um mit Nahrungsmitteln die Not vor Ort und Stelle zu lindern. Heute noch verteilt Spanien jährlich 45‘000 Tonnen Nahrungsmittel, davon allein 6‘000 Tonnen in der Stadt Jaén. In Andalusien leben 400‘000 Landarbeiter·innen. Insgesamt betrifft diese Massnahme 30 bis 40 Prozent der aktiven Bevölkerung. Sie besteht darin, dass Caritas, das Rote Kreuz und Sozialzentren jeder bedürftigen Familie alle zwei Wochen ein Paket mit Grundnahrungsmitteln gibt: Olivenöl, Kichererbsen, dicke Bohnen, Linsen, Nudeln und Reis.
Im Jahr 2012 gab es in Spanien 6 Millionen Arbeitslose. Andrés und mehrere Familien besetzten in Jódar, seinem Geburtsort, das Kulturzentrum, denn die soziale Situation war immer katastrophaler geworden. 70 Prozent der Einwoh-ner·innen waren arbeitslos und Arbeitslosenhilfe bekam man immer schwieriger. Die Besetzer·innen forderten einen Beschäftigungsplan für den Ort und wollten nicht von Sozialhilfe abhängig sein. Nach dreiwöchiger Besetzung räumte die Polizei früh morgens um sechs Uhr auf brutale Art das Zentrum. Die Aktivist·innen zogen vor das Gemeindeamt, wo ihnen der Eintritt verweigert wurde. Es kam zu einem Gerangel. Die Anzeige des Bürgermeisters bewirkte, dass gegen 18 Personen Anklage erhoben wurde, die in erster Instanz sofort zu insgesamt 100 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. 2015, drei Jahre später, wurden dann 14 Personen freigesprochen und vier Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt: Andrés zu dreieinhalb Jahren, die anderen zu zweieinhalb Jahren. In Jaén war Andrés Spitzenkandidat auf der Liste von Podemos für die spanischen Parlamentswahlen und in Jódar hätte er Aussicht auf das Bürgermeisteramt gehabt. Beides wurde durch den Prozess und seine Verurteilung verunmöglicht. Um Andrés aus den Klauen der Justiz zu befreien, bleibt nur die Möglichkeit, ein Gnadengesuch an den spanischen König zu richten. Aktuell erwarten in Andalusien 600 Aktivist·innen ihr Gerichtsurteil. Es werden insgesamt 140 Jahre Haft und eine Million Euro Geldstrafe gefordert. Diese enorme Repression wird von einem parteiischen Justizapparat und der spanischen Regierung ausgeübt. Bis jetzt gibt es auf diese skandalöse Jurisdiktion keine internationale Reaktion, die jedoch dringend nötig wäre.

In letzter Minute: Hilferuf für «Cerro Libertad»
Dieser Artikel wurde am 11. Januar 2018 beendet. Ein Telefonat informiert uns am 12. Januar, dass ein gerichtlicher Beschluss der Forderung der Bank BBVA nachkommen und einen Räumungsbefehl gegen die Bewohner·innen von Cerro Libertad veranlassen wird. Seit zehn Monaten besetzen und bearbeiten unsere Freundinnen und Freunde der SOC-SAT diese verlassene Finca, nun ist ihr Projekt in Gefahr!
Alle sind willkommen, beim Olivenernten und Bäumeschneiden und der Verhinderung der Räumung zu helfen! Die Unterkunftsbedingungen sind sehr spartanisch und es wäre gut, wenn jede·r sich an den täglichen Ausgaben finanziell mitbeteiligen könnte. Doch es lohnt sich, diese sympathischen und kämpferischen Menschen kennen zu lernen und zu unterstützen.

Mailto: cerrolibertad(a)gmail.com