SPANIEN: Acht Monate Landbesetzung in Somonte

von Florence Landriot für die Asamblea de ocupación de tierras de Somonte übersetzt aus dem Französischen von Tobias Zortea, 28.11.2012, Veröffentlicht in Archipel 209

Bereits seit acht Monaten verteidigt die Bewegung um die Besetzung des Landgutes Somonte1 ihre Positionen und entwickelt sie weiter. Hinter uns liegt ein Frühling intensiver Arbeit, in dem die Böden vorbereitet und ein Gemüsegarten angelegt wurden, sowie eine besonders heißer Sommer – sowohl im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinn2.

Die Organisation der Besetzung steht jetzt auf solidem Fundament: Die Bewirtschaftung der Ackerflächen, die das Herzstück des Projektes darstellt, wächst; die Idee und der Sinn der Aktion sind klar und präzise; die compañeras/os organisieren das Zusammenleben, die convivencia; die Unterstützung von Seiten der Gewerkschaft und von SympathisantInnen, sowohl aus Spanien wie auch international, lässt nicht nach.
Man muss nur die ersten Fotos anschauen, um, im Vergleich zu vorher, die getane Arbeit zu ermessen. Auf ca. vier der 40 bewässerbaren Hektaren Land wird produziert. Es werden unterschiedlichste Pflanzen angebaut: Auf Paprika, Kürbisse und Sommerauberginen folgen verschiedene Sorten von Kohl. In einem Feld wurde Knoblauch gesät, um die für die Produktion von Biotreibstoff bestimmten Disteln zu ersetzen, deren Anbau dort vor Jahren von der andalusischen Regionalregierung in Auftrag gegeben wurde.
Der ausschlaggebende Motor, die Energie der Bewegung, ist unsere Vision, unser Ziel: Arbeit für die Bevölkerung, Lebensmittel für die Familien, Gerechtigkeit für alle. Das Ziel ist in Reichweite, sofern das Projekt nicht aufgrund kurzfristiger Interessen von Politiker-Innen zerstört wird.

Alltag

Der Tagesverlauf folgt dem Rhythmus der Arbeit und der gemeinsamen Mahlzeiten. Das Leben in der Gemeinschaft ist ein herausfordernder sozialer Lernprozess. In den Wohnungen, die gemeinschaftlich bewohnt werden, bieten inzwischen einige Möbel ein bisschen mehr Komfort. Die Privatsphäre ist sehr begrenzt. Dies liegt zum einen am Mangel von zur Verfügung stehendem Wohnraum, sobald die Anzahl der BewohnerInnen steigt. Zum anderen ist es aber auch wichtig, sich daran zu erinnern, dass der Kampf noch nicht beendet ist (die Erinnerung an die Räumung manu militari am 26. April ist immer noch sehr frisch) und dass der Gedanke der Kollektivität bewahrt bleiben muss. Es ist wichtig zu lernen, die tausend kleinen Probleme zu lösen, die uns viel stärker trennen als die großen Probleme, die uns eher vereinen. Die Versammlungen sind der Platz, um diese kleinen Probleme zu behandeln.
Zu Fragen des Zusammenlebens wie auch zu anderen Themen haben wir zahlreiche Ratschläge von Gruppen erhalten, die unsere Bewegung unterstützen und die oft selbst politische Projekte verfolgen: So-
zialarbeiterInnen selbstverwalteter sozialer Zentren, Gruppen von UmweltschützerInnen, Gewerkschafter-Innen, SchülerInnen und Studierende, Lehrende und all die anderen Menschen, die sich um die Entwicklung von Gesellschaft und Umwelt sorgen. Diese von Beginn an internationale Unterstützung läßt nicht nach und ist wesentlich. Neben dieser direkten Unterstützung ist die Freude, Ideen und Arbeit zu teilen, eine ständige Energiequelle. Aus dem Besuch von annähernd hundertfünfzig Personen aus Madrid und der direkten Umgebung, die anfangs Oktober kamen, um zweihundert Olivenbäume zu pflanzen, wurde ein dreitägiges Fest. Und das trotz eines Stromausfalls, der uns die ersten Tage von der Wasserversorgung abschnitt. Im Gegenteil: Die Erinnerung wird durch diese gemeinsame Erfahrung umso eindrücklicher bleiben.

Ein Beispiel geben

Ein Beispiel gibt man nicht, ohne sich ein Beispiel an anderen zu nehmen: an den älteren Personen, die kommen, um die Erinnerung an vergangene Kämpfe zu teilen wie zum Beispiel mit Diego Cañamero und den compañeras/os der SAT, die sich bei der Besetzung von Marinaleda schweren Strafen aussetzten und trotzdem nicht nachliessen. Somonte will auch ein Beispiel eines erfolgreichen Kampfes für eine bessere Zukunft geben.
Die Hoffnung, dies zu erreichen, ist wichtig für alle Bewegungen, die um ihre Rechte kämpfen oder versuchen, ungerechte Systeme zu verändern. Viele Augen sind jetzt auf diesen kleinen Punkt in Andalusien gerichtet. Aber das Beispiel Somonte richtet sich vor allem an die LandarbeiterInnen der umliegenden Dörfer. Nicht, um eine Lektion in Sachen Mut und Bewusstsein zu erteilen, sondern um jene Angst zu besiegen, die aus vielen Jahren sozialer Unterdrückung erwachsen ist. Es macht viel Freude, mit einem Auto voll frisch geerntetem Gemüse zum Markt zu fahren und sich mit den Bewohner-Innen der Umgebung auszutauschen. Das ist auch ein guter Moment, um das Projekt zu erklären und die Fragen zu beantworten, die eine solche Aktion – die oft als radikal beurteilt, aber schnell als legitim anerkannt wird – nach sich zieht.

Die Würde wiedererlangen

Der Kampf, der in Somonte geführt wird, ist ein Kampf um die Würde. Die Würde der LandarbeiterInnen ist bedroht durch die massive Arbeitslosigkeit, welche für sie den Verlust sozialer Rechte und manchmal selbst des Wohnraumes bedeutet. Wie kann man in dieser Situation sein Recht auf ein besseres Leben in Anspruch nehmen? Indem man sich einem beschämenden System der Spekulation mit Agrarland widersetzt, das den LandarbeiterInnen ihre Perspektiven und den StadtbewohnerInnen den Zugang zu lokalen Lebensmitteln nimmt. Hunderte Journalistinnen und Journalisten sind nach Somonte gekommen und haben ihre Eindrücke in Schrift und Bild verbreitet. Meistens haben sie korrekt über unsere Vorstellungen berichtet: Umweltschutz, Ernährungssouveränität, Antikapitalismus, soziale Gerechtigkeit… Aber manchmal richtete sich der Fokus stark auf die Armut und stellte die Personen schnell als «arme Leute, die ein Dach über dem Kopf suchen», dar. Auch wenn viele, die hier leben, nichts mehr zu verlieren haben, so sind doch alle aus Überzeugung hier. Sie haben ihr Fami-lienleben, ihre Aktivitäten und manchmal auch ihre Arbeit zurückgelassen, um an dieser Bewegung teilzunehmen. Einige haben viel Erfahrung in der Gewerkschaftsbewegung und der Landwirtschaft wie zum Beispiel Lola und Javier, die SprecherInnen der Besetzung von Somonte und Mitglieder der SAT Córdoba.

Rechte einfordern

«Das Land ist, wie der Wind und das Wasser, keine Ware!» Diesen Slogan hört man jedes Mal, wenn der freie Zugang der Bevölkerung zu lebenswichtigen Gemeingütern behindert wird. Mehr aber als einen Slogan brauchen wir Rechte. Versammlungen, Treffen, Konferenzen vervielfachen sich, um verschiedene Möglichkeiten für die Legalisierung der Selbstverwaltung des besetzten Landes durch die ArbeiterInnen zu vergleichen und zu prüfen. Ziel ist es, möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen und die lokale Wirtschaft zu entwickeln. Das ist mit breiteren politischen Forderungen verbunden, wobei das Ziel des Fortbestandes von Somonte nie aus den Augen verloren werden darf. Dabei sind alle Zwischenschritte wichtig, um voranzukommen.

Bäume pflanzen

Ich weiß nicht, ob der Satz «Es gab eine Zeit, in der man Spanien im Schatten seiner Bäume durchqueren konnte» Legende ist oder ob er sich tatsächlich auf vergangene Zeiten bezieht; heutzutage ist das Risiko eines Hitzeschlags jedenfalls groß. Als Konsequenz einer massiven Abholzung ist das Land von Somonte, wie viele andere Landstriche auch, fast wüstenartig. Außer an den südlichen und östlichen Grenzen des Geländes, die durch zwei, von Vegetation gesäumte Bäche gebildet werden, sind Bäume und Büsche sehr selten. Der Rand der Bäche stürzt ein, die Felder sind der Erosion durch Wind und Wasser und die arbeitenden Menschen sind ohne Unterbrechung der Sonne ausgesetzt. Aus diesem Grund wird in Zusammenarbeit mit dem Europäischen BürgerInnenforum, der Gewerkschaftsbewegung SOC/SAT, der Europäischen Ko-operative Longo maï und Organisationen von UmweltschützerInnen aus Córdoba und Sevilla ein Aufforstungsprojekt vorbereitet. Es sollen heimische Baumarten ausgewählt werden, die ohne größere Probleme wachsen können. Hierfür kommen wilde Olivenbäume (Acebuche), Walnuss (Nogal), Johannisbrotbaum (Algarrobo), wilde Pistazie (Lentisco), Rosmarin (Romero), aber auch andere Sorten in Frage. Bald wird eine Kampagne beginnen, um Spenden für den Kauf von Bäumen (mit der Möglichkeit einer Patenschaft) zu sammeln, dazu Werkzeug und andere Materialien. Wir werden auch weiterhin verschiedene Gruppen und Netzwerke für die Unterstützung von Somonte mobilisieren, damit sie einerseits Kulturveranstaltungen und Konferenzen mit uns organisieren und andererseits, uns beim Bäumepflanzen tatkräftig helfen.

Alte Handgriffe, neue Kraft

Seit den ersten Tagen der Besetzung von Somonte wird das Land mit den Händen bewirtschaftet. Mit den Händen werden die Steine aus den Feldern entfernt, mit der Hacke in der Hand wird der Boden für den Anbau vorbereitet, das Heu wird mit der Sichel gemäht... Die älteren Leute entdecken alte Handgriffe wieder und erklären uns mit Eifer und Hingabe die Arbeitsweise einer traditionellen Landwirtschaft ohne Maschinen. Diese auf Körperkraft basierende Landwirtschaft hat sich bewährt, um der lokalen Bevölkerung Arbeit und Lebensmittel bereitzustellen. Sie ist ganz von sich aus kompatibel mit den Anforderungen des Umweltschutzes, der im Bewusstsein der LandarbeiterInnen von Somonte präsent ist. Außerdem erlaubt sie zum kapitalistischen Modell der Landwirtschaft, das seine Schädlichkeit schon bewiesen hat, alternative Ideen zu verwirklichen. Deshalb will Somonte, das schon ein soziales und landwirtschaftliches Experimentierfeld ist, auch Ausbildungszentrum für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft sein, die versucht, das Beste der Tradition zu bewahren und aktuelle Kenntnisse des Umweltschutzes umzusetzen.
Bei jedem Neuankömmling wiederholt Lola: «Unsere Türe ist für jeden offen; die kulturelle und soziale Herkunft ist nicht wichtig.» Allerdings müssen alle compañeras/os, die kommen, um ihre Energie und ihre Zeit in diesen Kampf zu stecken, dessen Grundlage und Disziplin respektieren. Es handelt sich um harte tägliche Arbeit mit genauen Arbeitszeiten und den Beschränkungen auf einen gemeinsamen Wohnraum. Doch die entstandene Dynamik lässt oft Zweifel und Müdigkeit vergessen. «Wenn wir den Zug in Gang gesetzt haben, werden wir jedem, der aufspringen will, unsere Hand reichen!», fügt Lola selbstsicher hinzu. SOMONTE HÄLT STAND!
übersetzt aus dem Französischen von Tobias Zortea

  1. Somonte, Palma del Rio, Andalusien. Ein nicht bewirtschafteter Gutshof in öffentlichem Besitz, Finca pública mit 400 Hektar Land. Seit dem 4. März 2012 von LandarbeiterInnen besetzt, um den Verkauf des Hofes zu verhindern und um ihn zu bewirtschaften. Siehe die Artikel in Archipel Nr. 203, April 2011 «Spanien: Aguante Somonte! Tierra y libertad!»; Archipel Nr. 205, Juni 2012, «Land gegen Krise« und die Internetseite somonte.net
  2. In den Kämpfen mit der SAT (Sindicato Andaluz de los Trabajadores). Siehe Archipel Nr.207, August 2012, «Spanien: Neues aus Andalusien» und auf sindicatoandaluz.org