„Ne NATO – Mir nam dajte“ (NATO, nein danke – Frieden wollen wir) – so heißt ein Buch zur aktuellen Debatte um den NATO-Beitritt Sloweniens. Herausgegeben wird es vom Mirovni Institut (Friedensinstitut) in Ljubljana, das zu einer Gesprächsrunde mit verschiedenen AutorInnen einlud. Wie wird die öffentliche Diskussion um die geplante Volksabstimmung geführt? Wie reagieren die BürgerInnen und welche Konsequenzen ergeben sich aus der anstehenden Entscheidung? Im folgenden fassen wir einige Einschätzungen von Gorazd Kovacic und Marta Gregorcic (Mirovni Institut), Professor Darij Zadnikar (Universität Ljubljana) und Igor Mekina zusammen, der als Journalist bei der Wochenzeitung Mladina und für die alternative Nachrichtenagentur AIM tätig ist.
„Die NATO-Debatte begann erst nach dem 11. September mit der Sendung ‚Unterm Teppich‘ bei RTV Slovenija" erklärt Marta Gregorcic. „Bis dahin gab es überhaupt keine öffentliche Diskussion. Erst Anfang dieses Jahres fand dann eine dreistündige Debatte im Parlament zur NATO statt. Für die Zivilgesellschaft entsteht überhaupt erst nicht die Gelegenheit, sich zu äussern. Lassen Sie mich das einmal so sagen: Slowenien hat heute zwar eigene Politiker, aber keine eigene Politik. Und die Politiker haben keine eigenen Visionen." Der EU- und NATO-Beitritt – zum Club der wichtigen Leute, der Weltelite zu gehören – das sei ihr Programm und Demokratieverständnis in einem. Auf dem so eingeschlagenen Weg seien Argumente und Diskussionen unerwünscht: „Es ist wie ein Ultimatum: Wir müssen da mitmachen."
In der etablierten Parteienlandschaft des Landes findet sich keine Stimme gegen den NATO-Beitritt. Wenn sich einzelne Politiker skeptisch dazu äussern, so Gorazd Kovacic, könnten sie sich in ihrer eigenen Partei nicht durchsetzen. Igor Mekina kann sich diese Vorsicht der Politiker schon erklären. Im Rahmen von Recherchen seiner Zeitung flog auf, dass im Informations- und Aussenministerium, sogar im Sicherheitsrat, schwarze Listen mit NATO-Gegnern geführt werden. Darauf sind vor allem Aktivisten, aber auch Journalisten erfasst. Einige Regierungsmitglieder wollen so aus unabhängigen Journalisten die neuen inneren Feinde machen. Der Aussenminister gab die widerrechtliche Weisung, bestimmte Unterlagen zum NATO-Thema nicht herauszugeben. Einige seiner Beamten kannten sich jedoch besser in der Rechtslage aus als er, und so wurden die Dokumente publik. Ganz offensichtlich sollen kritische Stimmen eingeschüchtert und unterdrückt werden.
„Regierungsmitglieder beschuldigen NATO-Kritiker altmodisch oder Kommunismus-Nostalgiker oder gar eine ernsthafte Gefahr für Sloweniens Unabhängigkeit zu sein" führt Kovacic aus. „Man behauptet schlichtweg, sie würden die westliche Orientierung des Landes ablehnen." Konfrontiert mit der Unterdrückung einer öffentlichen Auseinandersetzung ginge es heute mehr um die Frage, wie demokratisch die Regierung in Ljubljana agiere, als um die Inhalte von Pro oder Contra bezüglich des NATO-Beitritts.
Darij Zadnikar geht von einem relativ ausgewogenen Verhältnis in der Bevölkerung von Befürwortern und Gegnern eines NATO-Beitritts aus. Die meisten NATO-Gegner seien dies nicht aus philosophischen, ethischen oder politischen Überlegungen, meint Darij Zadnikar. Sie würden vielmehr pragmatisch denken: der Beitritt wird eine Menge Geld kosten. Slowenien muss das Militärbudget um fünfzig Prozent erhöhen. Gleichzeitig seien die Pensionskassen leer, würden Sozialleistungen abgebaut und im Kultur- wie Bildungsbereich wird gespart. „Das ist die euroatlantische Zivilisation, wie es zu unserem Erstaunen der ansonsten moderate Staatspräsident Kuèan genannt hat. Aus unserer Sicht ist es die klassische Frage nach Butter oder Kanonen." Paradox sei es, dass keine der führenden Parteien die Meinung von fast der Hälfte der Bevölkerung vertrete. Somit nähmen die Politiker ihre klassischen Repräsentationsaufgabe nicht wahr. Die Frage nach dem Entstehen der politischen Elite Sloweniens sei hierbei ein wichtiger Aspekt, betont er. „Die hiesigen Eliten haben sich in den letzten zehn Jahren im Kontext des Bürgerkrieges auf dem Balkan gebildet. Ihr Wirtschaftskonzept ist vom Waffenhandel geprägt. Da stecken riesige Interessen hinter, die sich auch heute und für den künftigen Weg zur Annäherung an die NATO-Standards auswirken. Das heisst ganz einfach, dass wir neue Waffen kaufen werden müssen – hauptsächlich aus den USA. In so einem kleinem Land ist das ein enormes Geschäft, bei dem es um gigantische Provisionen geht."
Igor Mekina wagt einen Vergleich mit Serbien. Dort seien etwa 80 Prozent der Bevölkerung für eine NATO-Mitgliedschaft des Landes, hauptsächlich aus zwei Gründen. Zum einen assoziiere man mit einer Mitgliedschaft im Bündnis die Aufnahme in den Westen. Man erhoffe sich davon, die westlichen Standards schneller zu erreichen, um auch Einlass in die EU zu finden. Der andere Grund finde sich in den Lehren, die man in Serbien aus dem letzten Krieg 1999 gezogen habe. In der serbischen Nomenklatura selbst habe es damals einflussreiche Stimmen gegeben, die Milosevic von einer Auseinandersetzung mit der NATO abrieten und stattdessen eine Mitgliedschaft Serbiens favorisierten. „Was Serbien geschehen ist, würde der Türkei nicht passieren." so bringt es Mekina auf den Punkt. „Die Lektion, die man auf dem Balkan daraus gelernt hat, ist ganz simpel – wenn du nur auf unserer Seite bist, wird dir nichts passieren, was auch immer du an Unrecht begehst."
Für Gorazd Kovacic hat der Afghanistankrieg einen deutlichen Meinungsumschwung in der öffentlichen Meinung bewirkt. Die Leute hätten damals verstanden, dass NATO-Mitglied zu sein nicht nur hiesse, einer politischen oder militärischen Organisation anzugehören. Man werde eben auch direkt in die Aussenpolitik der USA hineingezogen, und das sei sehr problematisch.
Die lange Geschichte Jugoslawiens als blockfreies Land hebt Igor Mekina hervor: „In dieser Epoche haben wir erfahren, dass die Welt in arm und reich geteilt ist. Das ehemalige Jugoslawien hat als Staat versucht, Schritte zu setzen, um das zu verändern. Diese Ideen sind heute leider vergessen. Das ist eine weniger erfreuliche Folge des modernen Denkens in Europa." Unabhängig von politischen Tatsachen, so Mekina weiter, scheine sich auch in Slowenien die Weltanschauung von Gut oder Böse, Freund oder Feind, mehr und mehr durchzusetzen. Man lebe am Balkan, neben Kroaten und Moslems – morgen könnten sie vielleicht zu Feinden an der Südgrenze werden. Die Mehrheit der Menschen wolle zum reichen Westen gehören und dann müsste man auch bereit sein, die westlichen Werte gegen den „Rest der Welt" zu verteidigen: „Überall draussen lauert der Feind und deshalb müssen wir in die NATO und für diese Philosophie kämpfen – wenn es sein muss, eben in Afghanistan oder im Irak. Das war in Slowenien nicht immer so."
Ausserdem geriete Slowenien zunehmend unter die Kontrolle der NATO, so Mekina. „Manchmal stösst man dabei auf absurde Auswüchse. Da gibt es zum Beispiel einen Brief vom slowenischen Vertreter bei der NATO an das hiesige Aussenministerium, in dem über das neue NATO-Konzept informiert wird. Demnach wird es in den einzelnen Mitgliedsstaaten – je nach Situation – nur noch bestimmte Militäreinheiten geben. In Slowenien also keine Panzer und keine Flugabwehr mehr. In dem Schreiben heisst es unter anderem, dass selbiger Vertreter bei einem hohen NATO-General angefragt hätte, ob es denn irgendwo ein Konzept, eine Marktnische für die slowenische Armee geben könnte. Wir verkaufen unser Heer also komplett bis auf einige Alpineinheiten - da sind wir und die Italiener ja besonders gut - und ein paar Sanitäter. Für die übergeordnete Organisation ist das super – wir hingegen sind völlig wehrlos. Big brother is watching you – and your borders."
Innerhalb von weniger als drei Jahren wurde die slowenische Milzarmee unter enormen Anstrengungen zu einem Berufsheer umgebaut. Für die Miliz war das ein tiefer Schock. Eine so modernisierte Armee könne man – wenn schon – sinnvoller einsetzen als in der NATO-Maschinerie, wo ein kleines Land kein Gewicht hat: bei Friedensmissionen zum Beispiel. Österreich, Finnland oder die Schweiz hätten wichtige Rollen in der Friedenspolitik, weil sie eben nicht in der NATO seien, meint Mekina.
Marta Gregorcic geht davon aus, dass sich für Slowenien ohnehin bessere Alternativen finden liessen. Auch wenn das Mirovni Institut sich an Gegenaktionen zum Treffen von Bush und Putin beteiligt habe – „Slowenien eignet sich als diplomatische Drehscheibe weitaus mehr als als NATO-Mitglied."
Laut Marta Gregorcic kommen die kritischen Stimmen zum NATO-Beitritt vor allem von Einzelnen. Daneben gibt es kleine, informelle Gruppen von Akademikern, Journalisten und Verlegern. Der Bewegung „NATO – Nein danke" – einer Plattform aus autonomen Gruppen, Initiativen wie „Dost je" (Basta Ya) und vielen anderen – komme die Koordination und das Organisieren von Aktionen in allen Teilen Sloweniens zu. Internationale Unterstützung erfahren die slowenischen Gruppen von ähnlich orientierten Initiativen in Europa, den USA, Mexiko und Lateinamerika, wobei die NATO nur eines ihrer Themen ist. Darij Zadnikar: „Ende August haben wir das No-Border-Camp in Prekmurje organisiert, bei dem es unter anderem auch um die NATO-Kampagne ging. Jetzt steht die NATO-Konferenz in Prag an, zu dem die Ostländer von Brüssel selbst eingeladen werden. Dafür werden in Prag Anti-NATO-Demonstrationen vorbereitet, die wir natürlich auch unterstützen." Hinzu komme das fast gleichzeitig in Florenz stattfindende Europäische Sozialforum, bei dem sich das Mirovni Institut und andere beteiligen wollen. Gerade die neue Form von Militarisierung, die moderne Art von Imperialismus sollten, so Zadnikar, Schlüsselfragen dieses Treffens sein.
Zusammenfassung von Jochen Langer
Weitere Informationen im Internet auf slowenisch und englisch unter www.dostje.org oder www.mirovni-institut.si