SERBIEN: Kolonisierung des Balkans

von Huso Hodzic, Musiker und Komponist, 10.04.2025, Veröffentlicht in Archipel 346

Zurzeit finden riesige Proteste in Serbien statt. Auslöser dieser Massenbewegung war der durch Misswirtschaft und Korruption verursachte Tod von fünfzehn Menschen. Der Unmut in Serbien und in den angrenzenden Republiken ist nicht neu, doch jetzt ist das Fass wohl übergelaufen.

Das magische Licht einer hoffentlich besseren Welt ist in Serbien mit zahlreichen Demonstrationen von einer neuen Generation, unterstützt von Menschen aller Generationen, aufgegangen, die den Sturz des derzeitigen Regimes und den Kampf gegen Korruption und staatliche Kriminalität fordern. Es ist dreissig Jahre her, und es scheint, als sei es erst gestern gewesen, dass die stille Kolonisierung des Balkans mit der Erkundung des Balkangebiets durch verschiedene ausländische Unternehmen begann. Sie versicherten uns, dass wir bald wie in den arabischen Emiraten leben würden, nachdem ein amerikanisches Unternehmen grosse Ölreserven auf dem Gebiet der Herzegowina entdeckt hatte und dass dies der Beginn eines goldenen Zeitalters auf dem Balkan sein würde – und wir waren uns nicht einmal bewusst, dass dies die erste Phase und die Vorbereitung für die Kolonisierung des gesamten Balkans war.

Nach dem schrecklichen Krieg waren wir am Boden, gelähmt und arm, und eine leichte Beute für verschiedene Manipulationen aus Ost und West, die uns eine Wiedergeburt unserer Länder und natürlich ein goldenes Zeitalter und ein angenehmes Leben versprachen. Doch die Realität sieht anders aus: Auf dem Balkan sind 50 Prozent der Bevölkerung Analphabet·innen, und nach den Schrecken des Krieges haben 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung begonnen, eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, die sich erst 20 bis 25 Jahre nach dem Krieg manifestiert.

In dieser gemarterten Gesellschaft machten sich verschiedene Unternehmen aus Ost und West daran, Politker·innen zu suchen und zu benützen, um endlich mit der vollständigen Ausbeutung strategischer Rohstoffe, wie wir sie heute nennen, beginnen zu können. Die Geopolitik strategischer Rohstoffe hat der Balkanregion einen schweren Schlag versetzt. Jedes Mal, wenn wir über Öl reden, betrachten die meisten Menschen diesen Rohstoff als einen Faktor, der enorme Einnahmen generiert, aber auch grosse Konflikte.

Rohstoffe und Geopolitik

Woher kommt die Verbindung zwischen Geopolitik und strategischen Rohstoffen im 21. Jahrhundert? Ist das 21. Jahrhundert nicht das Jahrhundert des Freihandels und der Marktgesetze? Im Falle strategischer Rohstoffe sind die Grundsätze des freien Marktes nicht grundlegend, sondern zweitrangig. Diejenigen, die den freien Markt geschaffen haben, glauben, dass dieser nur innerhalb ihrer Grenzen frei ist, während die Anderen, die von einer staatlich gelenkten Wirtschaft herkommen, glauben, dass der freie Markt über ihre Grenzen hinaus frei sein muss. Wir sind mit zwei völlig gegensätzlichen Ansichten konfrontiert, in deren Mittelpunkt der berühmteste strategische Rohstoff des 21. Jahrhunderts steht: Lithium.

Geopolitik ist die Manifestation von Macht in internationalen Beziehungen und Rohstoffe können eine «Waffe» in zwischenstaatlichen Konflikten sein. Wie oft wurden der Preis und das Angebot von Öl durch politische Ziele bestimmt? Lithium hat als leichtestes Metall strategische Bedeutung, da es das Zentrum der Wirtschaft darstellt. Nicht jeder hat Lithium, aber jeder braucht es. Früher oder später wird jeder ein Nutzer oder eine Nutzerin von Elektroautos sein, während nur Wenige Lithium, elektrische Batterien und Autos produzieren werden. Aus diesem Grund holt die Europäische Union die Bergbauaktivitäten mit 14 Bergbauprojekten nach Europa zurück und errichtet mehr als 20 Lithiumverarbeitungsanlagen in einem Gebiet, das frei von geopolitischen Risiken ist. Allein in Serbien soll es 20 bis 30 Standorte für den Lithiumabbau geben, was zu einer ökologischen Katastrophe grossen Ausmasses und zur völligen Zerstörung einer ganzen Region führen würde, und dies nicht nur in Serbien, sondern auch in Bosnien-Herzegowina. Strategische Rohstoffe sind weitgehend zu einem Übungsfeld für globale Konfrontation geworden. So veröffentlichte die Europäische Kommission im Jahr 2010 eine Liste mit 14 strategischen Rohstoffen, während diese Liste heute 35 Rohstoffe umfasst. Rohstoffe werden als strategisch bezeichnet, weil nur wenige Länder über grosse Mengen verfügen, weil ihre Gewinnung kompliziert ist und weil es für strategische Rohstoffe keine einfachen Ersatzstoffe gibt. Die Europäische Kommission prognostiziert, dass der Bedarf an Lithium bis 2030 um das 12-fache und bis 2050 um das 57-fache steigen wird.

Was in Europa nirgendwo kontrovers diskutiert wird, ist in Serbien zum Problem Nummer eins geworden. Während kein europäisches Land auf sein Lithium verzichten will, wird in Serbien von grossen Teilen der Bevölkerung der Lithium-Abbau aus sozialen und ökologischen Gründen in Frage gestellt. Um die Bewegung der Abbau-Gegner·innen zu diskreditieren, warnten die höchsten Vertreter des serbischen Staates, dass eine Geheimdienstoperation im Gange sei, die darauf abziele, die serbische Wirtschaft lahmzulegen. Die Frage der Sorge um das menschliche Leben und die natürliche Umwelt sei zu einem Mittel der wirtschaftlichen Sabotage geworden, wie der Präsident Serbiens erklärte, der immer noch zwischen den Interessen des Westens und des Ostens hin- und herpendelt und dabei die Interessen seines eigenen Volkes ignoriert.

Der serbische Staat hat mit der Europäischen Kommission eine strategische Partnerschaft vereinbart, die auch die Lithium-Gewinnung umfasst, worüber jedoch nicht kommuniziert wurde. Die Aktivist·innen fordern, dass das Europäische Parlament und die Industrieminister·innen der Mitgliedstaaten das Gesetz über kritische Rohstoffe ablehnen sollen, da es, wie sie behaupten, grundlegende Menschen- und Umweltrechte verletzt und sich «auf den grossflächigen Bergbau konzentriert, anstatt auf Lösungen, die auf der Gesundheit aller Lebewesen basieren». Die Petition wurde an die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Mezzoli, an Mitglieder des Europäischen Parlaments, an Minister·innen und Vertreter·innen der Industrie, an die Europäische Kommission und an den Rat der EU geschickt, und wie ich erfahren habe, ist die Petition international unterwegs – von Spanien, Portugal, Chile bis zu den Balkanstaaten.

Aufgrund der anhaltenden staatlichen Korruption haben Student·innen, Bauern, Bäuerinnen und Rentner·innen, die in allen grösseren Städten Serbiens Veranstaltungen organisiert haben, ein grossartiges Zeichen gesetzt. Sie sind für mich der erste Sonnenstrahl auf dem dunklen Balkan.

Huso Hodzic, Musiker und Komponist

Kompositionen zu finden unter: www.youtube.com/@HusoHodzic-Musicology