SERBIEN - Bergbaukolonie der EU

von Ronja Morgenthaler, 13.12.2024, Veröffentlicht in Archipel 342

Die Menschen in Serbien protestieren gegen den Lithiumabbau in ihrem Land – er verseucht die Böden und verunreinigt das Wasser. Die EU hat den Lithium-Pakt dennoch beschlossen. Denn die deutsche E-Autoindustrie braucht den Rohstoff.

Wer ihn bedroht, weiss Aleksandar Matković nicht. Mitte August bekommt der Ökonom vom Institut für Wirtschaftswissenschaften in Belgrad Todesdrohungen via Telegram. Wenn er weiterleben wolle, solle er sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, heisst es in den Nachrichten. Kurz darauf führt die serbische Polizei Razzien in den Wohnungen von vier seiner Freunde durch. Die Profile von Matković und anderen Wissenschaftlern und Umweltaktivistinnen werden auf einer regierungsnahen Website hochgeladen, in einem neu gegründeten «Register von Ökoterroristinnen». In verpixeltem Schwarz-Weiss vor giftgrünem Hintergrund muten die Bilder an wie Fahndungsfotos von Schwerkriminellen.

Die Umweltbewegung ist der serbischen Regierung ein Dorn im Auge. Und das vor allem wegen ihres Erfolgs. Die Proteste gegen den geplanten Lithiumabbau im Jadar-Tal polarisieren das ganze Land. «Das hat die politische Landschaft in Serbien komplett verändert», meint Aleksandar Matković. «Ökologische Fragen waren überhaupt nicht auf der politischen Agenda, aber mit den geplanten Gesetzesänderungen zur Lithium-Frage haben sie das ganze Land mobilisiert. Das waren die grössten Proteste seit dem Sturz von Milošević.»

Lithium für deutsche E-Autos

Die EU und Serbien wollen im Jadar-Tal, südwestlich von Belgrad, das grösste Lithium-Vorkommen Europas erschliessen. Daran hat insbesondere Deutschland ein grosses Interesse. Für den Ausbau der E-Mobilität ist die deutsche Industrie auf den Rohstoff angewiesen. China kontrolliert einen Grossteil des weltweiten Abbaus und der Verarbeitung von Lithium. Um nicht von China abhängig zu sein, fördert die EU europäische Bergbauprojekte, wie die des britisch-australischen Bergbauinvestors «Rio Tinto» im Jadar-Tal. Das Jadar-Tal ist eine bevölkerungsreiche, fruchtbare Agrar-Region mit grossen Trinkwasservorkommen. Die drohende Zerstörung und zu erwartenden Verunreinigungen von Wasser und Boden mobilisierten Umweltschützer, Wissenschaftlerinnen und Anwohner gleichermassen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in einem Beitrag in der «nature» (wissenschaftliche Berichte, nature.com) dargelegt, dass schon allein die Forschungsbohrungen die Konzentrationen von Bor, Arsen und Lithium in den nahe gelegenen Flüssen erhöht hat. Überschreitungen der Sanierungsgrenzwerte wurden wiederholt in Bodenproben nachgewiesen. Nach landesweiten Protesten hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić 2022 das Projekt zunächst auf Eis gelegt. Vor allem der Entwurf eines Gesetzes zur Enteignung der Bevölkerung sorgte für massiven lokalen und landesweiten Widerstand, der Vučić zwang, das Projekt für beendet zu erklären.

Trotz des angeblichen Stopps hat Rio Tinto seit Juni 2022 in der Umgebung von Loznica im Jadar-Tal weiter Grundstücke im Wert von 1,2 Millionen Euro gekauft, wie das «Balkan Investigative Reporting Network» berichtete. Mitte Juli dieses Jahres kam dann auch die politische Kehrtwende: In Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič unterzeichnete Vučić in Belgrad eine Absichtserklärung, die eine Förderung ermöglichen soll. Auch die Hersteller Mercedes-Benz und Stellantis planen, sich an der Mine zu beteiligen.

Die serbische Regierung hofft auf Milliardeneinnahmen durch das Projekt. 58.000 Tonnen Lithium will Vučić jährlich abbauen lassen. Das reiche für 1,1 Millionen Elektroautos und würde damit 17 Prozent des europäischen Bedarfs decken, erklärte er dem Handelsblatt (17.07.2024). Vučić verspricht, den Rohstoff nicht nur zu exportieren, sondern auch den Bau von Batterien in Serbien voranzutreiben.

Autokratische Transformation

«Wir machen keine Fortschritte im Bereich der grünen Transformation, im Gegenteil, wir machen Rückschritte», sagt Matković. Der Ökonom warnt davor, Serbien zu einer «Bergbaukolonie» zu machen. Ausländische Investitionen, wie die von Rio Tinto, führten nicht zu einer Erhöhung des Lebensstandards in Serbien. «Die soziale Ungleichheit in Serbien ist extrem und sie wird sich nicht verringern, wenn wir uns als Rohstofflieferant von einem einzigen Unternehmen abhängig machen.» In dem Lithium-Deal mit Rio Tinto verschmilzt die vermeintlich grüne Transformation mit dem Autoritarismus von Vučić, schreibt Matković Anfang August in einem offenen Brief. Kurz darauf erhält er die ersten Drohungen.

Es sind vermutlich Aussagen wie diese, die Matković und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter zur Zielscheibe staatlicher Repression machen. Immer mehr Umweltaktivistinnen und Umweltaktivisten wird vorgeworfen, mit ihren Aktivitäten die «verfassungsmässige Ordnung abschaffen zu wollen». Sie werden zu Staatsfeindinnen stilisiert oder als «Ökoterroristen» diffamiert. «Wir schätzen, dass rund sechzig Aktivistinnen und Aktivisten irgendeine Form von Drohung oder Anschuldigung erhalten haben», sagt Matković. Auch prominente Unterstützerinnen der Proteste, wie etwa die kroatische Sängerin Severine Vucković, geraten ins Visier. Bei ihrer Einreise wurde sie von der Grenzpolizei festgehalten und zu ihrer Meinung zur geplanten Lithium-Mine befragt. Die EU scheint vor den Gefahren für die Umwelt, aber auch vor der Repression gegen die Umweltschützerinnen und Umweltschützer die Augen zu verschliessen. Zu wichtig ist der Rohstoff für das Gelingen der «grünen Transformation» und des europäischen Green Deal. In der Tageszeitung (12. 08. 24) beteuert Staatssekretärin Franziska Brantner zwar, die EU und Serbien müssten dafür sorgen, dass Umweltstandards eingehalten würden. Die Mine komme aber auf jeden Fall – entweder unter chinesischer oder europäischer Beteiligung.

Wettlauf um Rohstoffe

«Die Europäische Union ist in einer Art Panikmodus», meint der Rohstoff-Experte Michael Reckordt. «Sie versucht sich gerade ähnlich wie auch China oder die USA, überall global auf der Welt Rohstoffzugänge zu sichern.» Innerhalb kürzester Zeit verabschiedete die EU im vergangenen Jahr den «Critical Raw Material Act», mit dem Ziel, die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen zu verbessern und die Resilienz der Lieferketten zu stärken. Die geopolitischen Rivalitäten mit China, aber auch die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, sowie der «Inflation Reduction Act», mit dem die USA eine Nationalisierung ihrer Rohstoffquellen und der Produktion vorantreiben, sorgen dafür, dass die EU stark unter Zugzwang ist. Dieser Wettlauf um kritische Rohstoffe offenbart aber vor allem die Widersprüche einer grünen Wirtschaftstransformation, die allein auf Elektrifizierung setzt: «Im Grunde ist die grüne Transformation, so wie sie in der Politik definiert ist, die Antwort auf das Versagen, die Klimakrise zu stoppen oder einzudämmen», so Michael Reckordt. «Es wird panikartig versucht, da zu dekarbonisieren, wo es den grössten Druck gibt. Das ist der Strom- und Mobilitätsbereich.»

Beim Thema Lithium wird das besonders deutlich. Vor allem das Autoland Deutschland braucht den Rohstoff für die hiesige Industrie. Deutschland hat einen weitaus höheren Metallverbrauch als viele seiner Nachbarländer, ein Drittel davon entfällt auf die Autoindustrie. Insgesamt liegt der deutsche Rohstoffverbrauch weit über einem global gerechten Niveau. «Wenn Deutschland sagt: ‚Wir brauchen fairen und freien Zugang zu den Rohstoffmärkten dieser Welt‘, dann bedeutet frei und fair überhaupt nicht das, was wir als Umwelt- oder Menschenrechtsorganisation darunter verstehen, sondern einfach nur, wir müssen möglichst günstig an möglichst viele Rohstoffe ran», so Reckordt.

Statt sich aggressiv die Zugänge zu kritischen Metallen zu sichern, wie in Serbien, müsste also in erster Linie der Rohstoffbedarf insgesamt reduziert werden, betont Reckordt. Das hiesse vor allem kleinere und weniger Autos zu bauen, eine Verkehrswende einzuleiten, welche die Abhängigkeit vom Auto reduziert, Rohstoffe zu recyclen und den Energieverbrauch in der Industrie drastisch zu senken. In der Konsequenz würde das bedeuten, eine wirkliche grüne Transformation zu vollziehen und die Wirtschaft tatsächlich klimaneutral und ökologisch umzubauen, anstatt Rebound-Effekte1 zu erzeugen und Umwelt- und Menschenrechtsprobleme ins Ausland zu verschieben. Mit dem deutschen Selbstverständnis als wachsende Export- und führende Auto- und Industrienation geht das nicht zusammen.

Dabei zeigen sich die Widersprüche der kapitalistischen grünen Transformation auch hierzulande, wie zuletzt die angekündigten Sparpläne von VW deutlich vor Augen führen. Job-Garantien in Deutschland und das Recht auf eine unversehrte Umwelt in Serbien schliessen sich jedoch nicht gegenseitig aus. Eine weitreichende Transformation einzuleiten, welche die Interessen der breiten Bevölkerung und die Sicherung ihrer Existenz ins Zentrum stellt, wäre die politische Aufgabe der Stunde. Den europäischen Lithium-Deal und die deutschen Industrie-Interessen im Ausland auf Kosten der dort lebenden Bevölkerung durchzusetzen, ist das genaue Gegenteil.

Ob die Mine kommen wird, wagt Aleksandar Matković nicht zu sagen. Die Pläne von Rio Tinto, Vučić und der EU mobilisieren über die Landesgrenzen hinaus. Immer mehr internationale Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, unter anderem aus Deutschland, beteiligen sich an den Protesten gegen den Bergbau in Serbien. Dieser Rückhalt ist in Anbetracht der massiven Repression enorm wichtig. Ob der Lithium-Abbau allerdings wirklich verhindert werden kann, «hängt an uns allen», schreibt Matković.

Ronja Morgenthaler*

*Ronja Morgenthaler ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin mit dem Fokus auf sozial-ökologische Transformation, Klima und Ostdeutschland. Dieser Artikel erschien als erstes am 11. September 2024 im Online Magazin Jacobin Deutschland.

  1. Effizienzsteigerungen senken oft die Kosten für Produkte oder Dienstleistungen. Dies kann dazu führen, dass sich das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer ändert: Sie verbrauchen mehr – die ursprünglichen Einsparungen werden teilweise wieder aufgehoben. Dieser Effekt wird «Rebound» genannt.

Das Auto und die ökologische Katastrophe

BUCHTIPP - Es geht um utopische Auswege aus der autodestruktiven Vernunft. Kaum etwas prägt die moderne Konsumgesellschaft so sehr wie das Automobil – Grund genug, unsere toxische Liebesbeziehung zu ihm zu analysieren und Auswege aus der planetaren Autodestruktion aufzuzeigen.

Kilian Jörg unternimmt jenseits von Klimabilanzen und moralischen Vorwürfen eine letzte Spritztour durch einbetonierte Vorstellungen von «Freiheit», «Normalität», «Vernunft» und «Natur», die den Ökozid alternativlos erscheinen lassen. Mithilfe von Beyoncé, Lynch und Le Guin begibt er sich auf eine Achterbahnfahrt durch Popkultur, faschistische Männlichkeit, Erdöl, Nationalparks, aktivistische Landbesetzungen und die Tugenden der Autofetischist·innen, um zu einer Utopie autofreier Welten aufzurufen. Der Soziologe, Historiker und Autor Conrad Kunze* meint: «Die schönste Aussage im Buch ist die Prognose, dass der Privatbesitz von Autos in grossen Städten 2025 Geschichte sein wird. Bis dahin führt die Lektüre durch die Ideengeschichte von Plato bis Baudrillard, und vom ersten Elektroauto bis zum Tesla im Weltall. Unterhaltsamerweise wird die Leserin/der Leser nebenbei in die zeitgenössische Philosophie eingeführt – eine seltene Synthese aus Wissenschaft und lebendigem Denken. Überraschend endet die Reise mit einem vorsichtig-zaghaften Versuch der Zuversicht.»

Kilian Jörg: «Das Auto und die ökologische Katastrophe», 390 Seiten, erschienen am 27. Sept. 2024 im transcript Verlag, Bielefeld

*Das Buch von Conrad Kunze zur selben Thematik, erschienen 2022 ebenfalls bei transcript (Public History – Angewandte Geschichte): «Deutschland als Autobahn: Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus».