Im Juni 2014 wurde das interkulturelle Austauschprojekt für jugendliche Roma im Archipel vorgestellt und um Unterstützung dafür gebeten. Wir* haben uns an dem Projekt beteiligt, indem wir die Jugendlichen vor zwei Jahren bei uns in Südfrankreich empfingen. Diesen Sommer wurden wir zu ihrem Treffen nach Serbien eingeladen.
Am 31.Juli brachen wir von Marseille nach Belgrad auf und verbrachten dort eine sehr intensive, ausgefüllte Woche, von der wir Euch gerne einige Eindrücke vermitteln möchten. (Der Artikel erscheint aus Platzgründen leider erst in dieser Nummer, Anm. d. Red.). Diese Treffen, die schon seit etwa zehn Jahren existieren, sind vor allem ein freundschaftlicher interkultureller Austausch zwischen Deutschland, Frankreich und Serbien. Sie ermöglichen Romakindern, durch Europa zu reisen und dabei auch etwas zu lernen. Drei Organisationen in den drei Ländern spinnen Ideen dazu, was diese Treffen beinhalten könnten und bereiten sie vor: Vacti in Belgrad, l’Artichaud in Marseille und Balkan Biro in Münster. Wir hatten das Gefühl, dass diese regelmäßigen Treffen dem Wiedersehen in einer Familie ähneln, wo über kurze Zeit die Verbindung plötzlich intensiv wird. Die Idee dieses Bildungsprojekts ist es, jedes Mal während einer Woche die Kultur der Roma in das Programm thematisch einzubinden.
Diskriminierung als Thema Das Hauptthema in diesem Jahr war die Diskriminierung – ein Phänomen das uns ständig begegnet, vor allem wenn es um Roma geht. Wir vertieften dieses Thema anhand der Geschichte der Roma unter anderem durch den Tatsachenbericht der Roma-Aktivistin Burka, die ihre Eltern in Sajmište, einem der Konzentrationslager von Belgrad, verloren hatte. Wir lasen viel und hatten einen Gedankenaustausch über die Zeugenberichte von Hilde, einer jüdischen Frau in Serbien, die als freiwillige Krankenschwester in einem Konzentrationslager gewesen war. Zwei ältere Frauen aus dem Romaviertel Vojni Put erzählten uns bei einem Interview ihre Geschichte, wie sie sich zu Titos Lebzeiten fühlten, und was sich heute für sie verändert hat. Die Tänzer_innen und Rapsänger der Gruppe Roma Sijam («ich bin Roma») begleiteten uns die ganze Woche und leiteten Tanz- und Theaterworkshops, in denen wir für eine Abschlussaufführung probten. Durch das Thema Diskriminierung sind wir uns sehr nahe gekommen, weil sie alltäglich um uns herum stattfindet. Die Gruppe der jungen Roma veranstaltet internationale Tourneen. Ihre Botschaft an jedem Auftrittsort ist: «Wir sind alle menschliche Wesen, gemeinsam können wir die Dinge noch verändern, auch ohne Gewalt anzuwenden!»
Während dieser Woche blieb uns auch Zeit zu Ausflügen: zum Beispiel in den Park von Kalemegdan, der beeindruckenden Festung von Belgrad, die eine prächtige Aussicht auf einen Grossteil der Stadt bietet. Untergebracht waren wir in Zemun, einem der ältesten Stadtteile. Abends tanzten wir in dem von Roma bewohnten Viertel Vojni Put auf traditionellen Festen und wanderten mehrmals im Regen zurück. Aber auch der gemeinsame Austausch auf sprachlicher Ebene war interessant. Mehrmals wurde uns vorgeschlagen, an Sprachgruppen teilzunehmen, in denen ein kleiner Wortschatz der jeweils anderen Sprache vermittelt wurde, um die gemeinsame Verständigung zu unterstützen. Eine Woche ist jedoch zu kurz, um eine Sprache zu erlernen. Die Kommunikation findet eher mit Hilfe der Gestik statt und sie ist ein Hauptelement, das einen beim Reisen aus dem Gewohnten herausreißt.
Ansichten von Belgrad Sule, der Mann, der uns durch Belgrad fuhr, sprach deutsch. Er hörte serbische Musik, die uns mitriss. Als wir in die Stadt vordrangen, bemerkten wir nach und nach, dass der Verkehr anders als in Frankreich war – weniger dicht, und in den Strassen, die zum Grossteil von kleinen, niedrigen Häusern gesäumt waren, schien mehr Platz zu sein. Zu Fuß unterwegs, um Essen einzukaufen, zeigte uns Johanna, unsere Begleiterin von l’Artichaud, ein zerfallenes Gebäude mit zerbrochenen Fenstern. Es steht in diesem Zustand seit der Bombardierung von 1998 – zur Erinnerung. Die Roma leben in Stadtteilen, wo sie ihre eigenen Häuser möglichst nahe beim Haus ihrer Eltern bauen. Sule, zum Beispiel, besitzt eins der größten Häuser und baut daran seit mehr als einem Jahr. Das Geld dafür verdient er mit Gelegenheitsjobs in anderen Ländern, wie z. B. in Deutschland.
Es war Hochzeitsaison, als wir die Stadt durchstreiften. Die Fußgänger_innen blieben stehen und wurden alle fröhlich eingeladen. Ansonsten unterscheiden sich die Belgrader_innen nicht sehr von den Bewohner_innen anderer Städte, auf jeden Fall fiel uns nichts Offenkundiges außer der Sprache auf. Wir stellten aber fest, dass es praktisch keine Menschen mit schwarzer Hautfarbe gibt. Das könnte erklären, warum die Menschen unsere drei komorischen Freunde, die mit uns gekommen waren, interessiert musterten. Dadurch stutzig geworden, erkundigten wir uns und bekamen zur Antwort, dass es sich dabei nicht unbedingt um ablehnende Blicke handelte, eher um neidische. Alles in allem ist Belgrad nach bekannten Schemen aufgeteilt: die reichen Viertel mit Einkaufsmeilen im Zentrum, ärmere Außenbezirke, Stadtviertel mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Hinsichtlich der Sitten und Gebräuche sind natürlich Unterschiede festzustellen. Wir haben unsere Zeit hauptsächlich mit Romas verbracht. Deshalb sind unsere Feststellungen nicht zu verallgemeinern. Zu allen Mahlzeiten gab es Spezialitäten mit Fleisch von Tieren, die nach muslimischer Art geschlachtet worden waren, denn die Roma hier sind in der Mehrzahl Muslime. Sie essen viel und vor allem Fleisch.
Natürlich stießen wir auf die erwarteten Stereotype, den Kult von Prestige zum Beispiel. Aber, abgesehen von den Klischees, lag die größte Überraschung für uns in der traditionellen Musik. Wir hatten nicht erwartet, so laute Verstärkeranlagen und elektrische Instrumente zu hören, und hatten eher mit mehr Präsenz der Musiker_innen gerechnet. Trotzdem war die Stimmung bei diesen Festen gemütlich und lud zum Feiern ein; wir haben sogar einige Figuren der traditionellen Tänze gelernt! Der Verhaltenskodex hier im Viertel war spürbar anders als in der Stadt. Für die Leute hier ist es zum Beispiel normal, eine Waffe mit sich zu tragen, wenn sie in die Stadt gehen. Anscheinend besuchen wenige Französinnen und Franzosen Serbien, denn mehrmals, als wir gemeinsam unterwegs waren, nannten die Leute unsere Gruppe die Franzuskis.
Wahrscheinlich sind diese aufgeschriebenen Gedanken etwas diffus, aber eine Woche ist niemals ausreichend, um sich der Dinge wirklich bewusst zu werden und sie zu erfassen (übrigens reicht dazu nicht einmal ein Jahr oder mehr!). Vielleicht erfüllte eben deshalb eine freudige Energie unsere Entdeckungen und intensiven Begegnungen. Wir hoffen, dass es diese Zusammenkünfte auch in Zukunft geben wird!