Mitte Mai reisten wir nach Griechenland, um zum zweiten Mal an dem vom Verein Peliti organisierten Saatgutfestival in Paranesti teilzunehmen. Auch dieses Jahr fanden wir viel Energie und Großzügigkeit vor.
Mehrere tausend für Saatgut und Ernährungsunabhängigkeit Begeisterte kamen um aufzutanken – mit verschiedensten Kernen und Körnern, aber auch mit Widerstandskraft, die sie zurzeit dringend brauchen. Nach dem Festival hatte Peliti ein Treffen mit Leuten und Organisationen aus 12 Ländern organisiert. Das war eine Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und zu diskutieren, wie wir am Besten die Herrschaft der Saatgutmultis bekämpfen können; in dem wir uns sowohl gegen die neuen Gesetze wehren, die unter dem Einfluss eben dieser Industrielobby von der Europäischen Kommission beschlossen wurden, als auch und vor allem, indem wir die internationale «gesetzlose» Bewegung der Hersteller_innen von bäuerlichem Saatgut und alten Sorten stärken.
Entmündigt und ausverkauft
Wir halten es für wichtig, dass viel mehr Leute in Europa wissen, was sich zurzeit in Griechenland abspielt. Einerseits das widerliche Experiment, den Staat unter Vormundschaft zu stellen, die langsame Zerstörung aller demokratischen Prozesse, die erzwungene Privatisierung öffentlichen Eigentums, die rasante Verarmung breiter Bevölkerungsschichten – all das aufgezwungen von einer ausländischen «Troïka»1. Ande-rerseits die zahlreichen Widerstandsbewegungen, die aktiv nach innovativen Lösungen suchen.
Selbst über der wunderschönen Gegend an den Ausläufern des Rhodopes, ein mit Wald bedecktes Gebirgsmassiv, weit weg von allen Wirtschaftszentren und Städten, hängt das Damoklesschwert. Diese Berge und ihre Wälder sind – oder muss man schon sagen: waren? – in staatlichem Besitz. Eine der bedrohlichsten Maßnahmen, zu der Griechenland gezwungen wurde, ist die Gründung der Taiped, einer anonymen Handelsgesellschaft, die damit beauftragt ist, öffentliches Eigentum zu privatisieren, damit die Schulden des Landes zurückgezahlt werden können. Die Wälder können so an Unternehmen verkauft werden, die mit der seit kurzem aufgekommenen Schwärmerei für Energie-Holz spekulieren. Und außerdem verbergen sich unter diesen Wäldern Uranreserven…
Widerstand gegen Goldminen
Die Bewegung gegen das Tagebau-Goldminenprojekt im Herzen von Halkidiki, einer besonders schönen Region im Osten von Thessaloniki, weiß bereits was es bedeuten kann, sich hartnäckig gegen diese Art von extrem Umwelt verschmutzenden und zerstörenden Riesenprojekten zu wehren. Wir haben sie vor dem Festival besucht. An den Zugängen der kleinen Gemeinde Ierissos, eine der Bastionen dieses Kampfes, halten Empfangskomitees Wache, um den Ordnungskräften die Strassen zu versperren. Die Leute hier sind aufgebracht, denn das Dorf musste in letzter Zeit eine Welle von Verfolgung durch die Polizei über sich ergehen lassen. Zwei junge Leute sind seit Wochen in Haft – ohne Anklage oder Prozess. Diese Brutalität hat die Gegner_innen des Projektes des Kanadischen Unternehmens Eldorado nur noch mehr zusammengeschweißt.
… Windparks
Spiros, Landwirt, phantastischer Geiger und Mitglied des Lokalkomitees von Peliti auf Kreta, ist einer von denen, die ins Gefängnis kamen, weil sie sich vor die Bulldozer legten, die Pisten für die gigantischen Windparks in den Bergen schaffen sollten, wo seit jeher ihre Schafe und Ziegen weiden.
Im Jahr 2009 kündigte die neue Regierung PASOK, angeblich irrtümlicher Weise, oder jedoch mit großer Übertreibung an, dass die Staatsschulden doppelt so hoch seien als von der vorherigen Regierung verlautbart. Daraufhin setzte die Troïka drei Memorandums of Understanding2 sowie eine Serie von Gesetzen und Mechanismen in Kraft, welche die griechische Realität derzeit total entstellen, ohne dass die Regierung oder das Parlament einschreiten könnten. Da ist z.B. das Gesetz vom Januar 2013 für die Nutzung von Land. Und dann gibt es auch die Fast track-Verfahren, die Investitionen erleichtern sollen, indem sie «umweltbedingte Einschränkungen» umgehen. Gleichzeitig haben die europäischen Regierungen mit Hilfe der Medien alles getan, um in der griechischen Bevölkerung Schuldbewusstsein zu erzeugen.
Gegen den Ausverkauf an Grosskonzerne
Die Taiped verkauft alles, was die Staatskasse wieder füllen könnte3; z.B. den Eyath, einen sehr effizienten und rentablen Gemeindebetrieb, der sich um die Wasserverwaltung der Stadtlandschaft von Thessaloniki (über eine Million Einwohner) kümmert. Hier wiederum hat sich der Widerstand unter dem mysteriösen Siegel 136 organisiert. Das ist ganz einfach die Geldsumme, die jeder Haushalt beisteuern müsste, damit das Unternehmen in den Besitz der Bürgerinnen und Bürger gelangt. Das Netzwerk, das in allen Vierteln der Stadt Komitees auf die Beine gestellt hat,konntesein Dossier für den Kauf, dank 22, der sozialen und solidarischen Ökonomie nahe stehenden Banken und Instituten aus sieben Ländern hinterlegen4. Ihm stehen drei Konkurrenten gegenüber: Suez sowie ein griechisches und eine russisches Unternehmen. Es soll in nächster Zeit eine Entscheidung getroffen werden.
Selbsthilfe im Gesundheitswesen
Im gleichen Zug haben die Troïka und ihre Task Force5 die Einkommen und Pensionsgehälter drastisch gesenkt (um durchschnittlich 40%). Sehr viele Griech_innen haben jetzt überhaupt keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung mehr. Deswegen wurde die Initiative ergriffen, solidarische Gesundheitszentren aufzubauen. Eines der Ersten war das von Thessaloniki, das ursprünglich für Migrant_innen im Hungerstreik und für zahlreiche Papierlose eingerichtet wurde. Heute sind 70% der Patienten Griech_in-nen. Ungefähr 80 Ärzte, Zahnärzte und Krankenschwestern arbeiten hier ehrenamtlich. Dank dieses Zentrums ist ein Netzwerk von Ärzten entstanden, das auch eine gewisse Anzahl von Patienten ohne Geld in ihrer Praxis behandelt. Um die öffentlichen Krankenhäuser zu verpflichten, auch mittellose Menschen ohne Krankenversicherung zu operieren, organisiert das Zentrum dort Versammlungen mit Medienpräsenz.
Die Menschen ergreifen die Flucht
Die Geschwindigkeit und Brutalität, mit der dieser soziale, wirtschaftliche und psychologische Umsturz stattgefunden hat, ruft in der griechischen Bevölkerung Gefühle wie Wut, Erniedrigung, Depression und Hoffnungslosigkeit hervor. Es entstehen sowohl Widerstands-, Solidaritäts- und Erneuerungsbewegungen, aber es stärkt auch die Rechtsextremen und führt zu Ausländerhass und Rassismus gegen jede Art von Sündenbock. Effektiv gibt es das Phänomen der Stadtflucht, der Rückkehr in die Dörfer, auf das Land. Aber es gibt auch eine noch größere Emigrationsbewegung, vor allem unter den jungen Menschen mit einer guten Ausbildung, nach Deutschland, Kanada und Australien.
Viele denken, die Troïka wendet diese Schock-Behandlung an, um den anderen Ländern der EU zu veranschaulichen, was sie erwartet, wenn sie die Reformen, die ihnen von Brüssel diktiert werden, nicht durchführen. Alle Bürger_innen Europas sollten sich dessen bewusst sein, weil wir alle davon betroffen sind. Es wäre auch wichtig, Beziehungen zu den griechischen Widerstandsbewegungen aufzubauen und sie zu unterstützen.
In den nächsten Nummern des Archipels werden wir Ausschnitte aus Interviews mit Menschen der verschiedenen Widerstandsbewegungen publizieren.
Zum ersten Peliti-Festival siehe Archipel Nr. 206 und 207.
- Darunter die deutsche Gemeinschaftsbank GLS, der französische Crédit Coopératif und die italienische Banca Etica.
- Eine «technische Unterstützung», bestehend aus ca. 300 hohen Funktionären aus Staaten der Euro-Zone, die in die griechischen Ministerien integriert sind und dafür sorgen müssen, dass die Vorschriften der Troïka genauestens befolgt werden.