Selbstverwaltung in Bewegung

von Backe, 01.06.2019

Organisiert von RiMaflow* und «FuoriMercato-Selbstverwaltung in Bewegung» fand von 12. bis 14. April 2019 in Mailand in RiMaflow das Dritte Euromediterrane Treffen der Arbeiter·innenökonomie statt. 250 Teilnehmer·innen aus 13 Ländern (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Kurdistan, Russland, Slowenien, Spanien, Ungarn sowie Argentinien und Brasilien) verbrachten drei intensive Tage des Austauschs: Arbeiter·innen angeeigneter Fabriken, Vertreter·innen von Basisgewerkschaften, Arbeitskollektiven, landwirtschaftlichen Projekten, feministischen Kollektiven, Vertriebskollektiven und anderen Initiativen..

Renaissance der Arbeiterselbstverwaltung

Massenhafte Aneignungen von Fabriken durch die Arbeiter·innen gab es schon in der Geschichte: während der Pariser Kommune 1871, in den revolutionären Kämpfen in Russland 1917, in Norditalien 1920, im Spanien der 1930er Jahre. In diesen Kämpfen ging es allerdings um mehr als um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Sie fanden in Krisen der Herrschaftssysteme statt, waren Ausdruck der Stärke und Offensive der Arbeiter·innenbe-wegung, der Zuspitzung der Klassenkämpfe und der Übernahme der ökonomischen und politischen Macht durch die unterdrückten Klassen. In den letzten Jahrzehnten – geprägt durch eine überwiegend defensive Haltung der Arbeiter·innenorganisationen – gab es nur noch wenige, meist kurzlebige Versuche der Aneignung und Selbstverwaltung.

Zahlreiche Fabrikbesetzungen und Aneignungen durch die Arbeiter·innen Anfang des neuen Jahrhunderts in Argentinien und anderen südamerikanischen Ländern inspirierten die Akteurinnen und Akteure 2007 zu einem ersten internationalen Treffen. Anfangs ging es den Arbeiter·inne·n zunächst um die Sicherung ihrer Arbeitsplätze. Im weiteren Prozess entschieden sich die meisten Belegschaften für die Form der Selbstverwaltung; und zwar nicht nur für die eigene Fabrik, sondern auch als Orte/Instrumente einer gesellschaftlichen Veränderung für eine Ökonomie ohne Ausbeutung, für eine Gesellschaft, die den Bedürfnissen aller Menschen dient statt den Interessen von Eliten.

Nachdem in der Folge Fabrikbesetzungen auch in anderen Teilen der Welt zunahmen, gibt es seit 2014 regelmässige regionale Treffen in Nord- und Südamerika sowie in Europa.

2014 und 2016 fanden die ersten europäischen Treffen in den angeeigneten Fabriken Scop-Ti (ehemals Unilever) bei Marseille sowie Vio.me in Thessaloniki statt. Im Mittelpunkt der beiden ersten Treffen standen die Vorstellung der beteiligten Projekte, der Austausch über die Erfahrungen und Schwierigkeiten in der Selbstorganisation sowie die Anbahnung von Vernetzungen, um die jeweiligen Produkte ausserhalb des «Marktes» zu vertreiben.

Neue Allianzen der Selbstverwaltung

Es gibt viele Gründe, die Besetzungen und Aneignungen von Fabriken wie auch von landwirtschaftlichen Gütern gut zu heissen. Die Gesetze sehen sie in der Regel nicht vor, und den herrschenden ökonomischen und politischen Kräften sind sie ein Dorn im Auge, daher sind sie der Gefahr einer Räumung ausgesetzt. So war beispielsweise die Legalisierung von Scop-Ti und RiMaflow sowie die Abwendung der Räumung von Vio.me nur möglich, weil die Arbeiter·innen die Fähigkeit besassen, vielfältige gegenseitige Kooperationen auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene zu entwickeln – und dank der Solidarität vieler Unterstützer·innen.

Die Akteurinnen und Akteure wollten sich stärker mit anderen gesellschaftlichen Konflikten auseinandersetzen, sich mit «blinden Flecken» konfrontieren, weitere Allianzen knüpfen und dementsprechend zu diesem 3.Treffen noch breiter einladen. Partiell ist dies gelungen.

Man stelle sich vor: ein Industrieviertel an der Peripherie von Mailand, noch aktive Produktionsstätten, aber auch zahlreiche verlassene Fabriken; ein eher graues, tristes Bild. Mittendrin eine Fabrik in anderen Farben; Transparente, Plakate, Wandbilder. Auf dem Vorplatz zahlreiche kleine Gruppen im intensiven Austausch mit Gesten, Gelächter und Umarmungen. Junge und Alte, Frauen und Männer, ein babylonisches Stimmengewirr: RiMaflow, eine seit über 6 Jahren von Arbeiter·inne·n besetzte und angeeignete Fabrik. Hier fand das Euromediterrane Treffen statt. Verschiedene in der Landwirtschaft Aktive waren präsent. Unter anderem die andalusische Landarbeiter·innengewerkschaft SOC-SAT, das italienische Netzwerk FuoriMercato und das toskanische Projekt «Mondeggi Bene Comune-Fattoria senza padroni», ein 200 ha grosses landwirtschaftliches Gut, das vor 5 Jahren besetzt wurde und nach und nach bewirtschaftet wird.

Sie brachten in das Treffen die Konsequenzen des Klimawandels und die zunehmende Zerstörung der natürlichen Ressourcen ein wie auch die Konzepte der Agrarökologie und der Ernährungssouveränität. Und sie betonten auch die Notwendigkeit, die Ansätze von Kooperationen mit Migrant·inn·en zu fördern, sie stärker in die Prozesse der Selbstorganisation einzubinden und Tendenzen zu überwinden, sie als Objekte von Betreuung anzusehen.

Vertreter·innen feministischer Gruppen aus Italien sorgten dafür, dass auf diesem Treffen nicht nur männliche Sichtweisen präsent waren. Sie forderten die Entwicklung von Selbstorganisation auch in der Reproduktion. Damit einher ging die Infragestellung und Reflektion geschlechtlicher Rollenzuschreibungen, auch innerhalb der selbstverwalteten Initiativen.

Konklusionen und Perspektiven

Einigkeit bestand darin, dass zukünftig die Kooperation mit landwirtschaftlichen Projekten und Organisationen (z.B. «La Via Campesina») und auch mit feministischen Gruppen verstärkt werden soll. Sowohl für das ökonomische Überleben wie auch für den Erhalt ihrer transformatorischen Perspektive sind alternative Absatzmärkte von entscheidender Bedeutung. Sie sollen in der nächsten Zukunft weiter ausgebaut und verbindlicher gestaltet werden. Sehr bedauert wurde, dass an dem Treffen nur einige kleinere gewerkschaftliche Basisorganisationen und auch wenige Initiativen urbaner sozialer Bewegungen teilnahmen. Mit letzteren wie auch mit gewerkschaftlichen Kämpfen soll verstärkt die Ko-operation gesucht werden.

In den Berichten aus den verschiedenen Ländern wurde übereinstimmend dargestellt, dass sich die Ausgangsbedingungen für eine Ausbreitung von selbstverwalteten Initiativen mit dem zunehmenden Einfluss rechter gesellschaftlicher Kräfte verschlechtert haben. Die Teilnehmer·innen waren sich darin einig, dass die Perspektiven des in nahezu allen Ländern gegenwärtig noch eher kleinen Geflechts von Initiativen einer widerständigen Selbstverwaltung entscheidend davon abhängig sind, ob es gelingt, weitere Allianzen zu knüpfen; dass es noch viele Kämpfe braucht, um die Vorstellung zu nähren, dass eine gesellschaftliche Organisation jenseits des Kapitalismus möglich ist. Anlässlich der Verabschiedung einer Solidaritätserklärung für die Zapatistas (angesichts drohender Landenteignungen durch die neue Regierung) wurde an die inspirierenden Impulse der zapatistischen Bewegung erinnert.

Das nächste internationale Treffen wird im September 2019 in Kooperation mit Sem Terra in Brasilien stattfinden, das nächste Euromediterrane Treffen 2020 in Andalusien, organisiert von den spanischen Gewerkschaften SOC-SAT und CGT. Backe

  • siehe Artikel «Selbstverwaltung in Rimaflow», Archipel Nr. 279