Hamsterkäufe waren bei vielen Menschen die erste Reaktion auf den Ausbruch der Coronakrise. Die leeren Regale in den Supermärkten verschärften die instinktive Panik rund um das Essen. Direktvermarkter·innen konnten die fast über Nacht angewachsene Nachfrage für lokal oder biologisch produziertes Obst und Gemüse kaum noch befriedigen. Was bleibt heute in den Köpfen von so manchen Konsument·inn·en, die, kaum öffnen sich die Schweizer Grenzen, schon zu billigeren Lebensmitteln im Nachbarland unterwegs sind?
Als Resultat der Agrarpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg zerfallen die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse von Jahr zu Jahr. Millionen von Bäuerinnen und Bauern wurden wegrationalisiert, grossflächige Monokulturen propagiert und die verschiedenen Agrarproduktionen in dafür bestimmten Regionen konzentriert. Hunderttausende von migrantischen Landarbeiter·inne·n verdingten sich nun in spezialisierten Betrieben zu Billigstlöhnen in Ernte- und Spitzenzeiten. Die übrig bleibenden Landwirtschaftsbetriebe wurden mit der degressiven Preispolitik auf Grösse und Produktivität getrimmt: «Wachse oder weiche!»
Obwohl Lebensmittel ganz klar zu unseren wichtigsten Grundbedürfnissen gehören, wurden – und werden heute noch – die in der Landwirtschaft tätigen Menschen für ihren unentbehrlichen Einsatz nicht anerkannt. Trotz überdurchschnittlich langer Arbeitstage sind die Löhne der Beschäftigten vielerorts tiefer als die anerkannten Minimallöhne, und die Existenz vieler Bäuerinnen und Bauern auf ihren Höfen ist bedroht. Ein Grossteil unserer Nahrung geht durch die Hände von Menschen, die unwürdig behandelt werden und in Prekarität leben. Nach dieser Coronakrise müssen nun endlich Wege gefunden werden, damit die Wertschätzung der essentiellen Bedürfnisse in der Gesellschaft verankert und gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Mitwirkenden in der Nahrungsmittelproduktion sichergestellt werden. Eine Neuausrichtung der europäischen und der schweizerischen Landwirtschaftspolitik sind dafür dringend notwendig.
Aber auch die Konsument·inn·en sind gefordert, sich mehr mit der Herkunft und den Produktionsbedingungen der Lebensmittel auseinanderzusetzen und, wo immer möglich, auch selber Hand anzulegen. Die vielen bunten, in den letzten Jahren entstandenen Stadt-Land-Initiativen zeigen dafür neue Wege auf. Gleichzeitig müssen wir uns weiter gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft einsetzen.
Zwei neue Publikationen
In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auf zwei Publikationen zum Thema aufmerksam machen. Im Juni wurde die Studie "Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not" der beiden Historiker Jan Chiarelli und Gilles Bourquin publiziert, in welcher die Arbeitsbedingungen in verschiedenen Schweizer Kantonen zwischen 2000 und 2018 analysiert werden. Herausgerberin ist die «Plattform für eine sozial nachhaltige Landwirtschaft», eine durch das Europäische BürgerInnen Forum (EBF) mitbegründete Organisation, die sich seit zwanzig Jahren konsequent für die Rechte der Landarbeiter·innen einsetzt. Die Plattform fordert, dass die landwirtschaftliche Arbeit dem Arbeitsgesetz unterstellt und die Ungleichheit der Arbeitsbedingungen unter den Kantonen beendet werden. Diese Forderungen werden auch durch eine Interpellation von Meret Schneider in der Junisession des Nationalrats unterstützt.
In Deutschland engagieren sich junge Freiwillige im Verein Interbrigadas seit einigen Jahren für bessere Arbeitsbedingungen der Landarbeiter·innen durch internationale Einsätze in Südspanien. In der Broschüre Vom Anfang und Ende der Lieferkette schildert der Verein seine Erfahrungen im Kampf gegen Agrobusiness und Supermarktmacht zwischen Berlin und Almería. Er unterstützt auch die Anstrengungen für ein «Lieferkettengesetz», das, ähnlich wie die Konzerninitiative in der Schweiz, die Konzerne für die Arbeitsbedingungen und die ökologischen Folgen ihrer Tätigkeiten in die Pflicht nimmt. Beide Broschüren können beim EBF bestellt werden.
Die leeren Regale in den Supermärkten waren ein Warnsignal. Unsere Lebensmittelversorgung wird an immer weniger Menschen delegiert und ist zunehmend verletzlich. Um das Rad umzudrehen, braucht es mehr Menschen, die sich für eine nachhaltige Landwirtschaft einsetzen und vor allem eine breit abgestützte Solidarität mit denen, die schon in der Landwirtschaft tätig sind.