Die Schweiz hilft der Ukraine: Der Bundesrat hat 1,5 Milliarden Franken an Wiederaufbauhilfen bis 2028 vorgesehen. Davon sollen aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit allein 500 Millionen über die Schweizer Wirtschaft laufen.(1) Was als «Win-win-Situation» vom Bundesrat verkauft wird, sehen ukrainische zivilgesellschaftliche Initiativen und Schweizer Hilfswerke sehr kritisch.
«Alliance Sud», das mit Schweizer Hilfswerken verbundene Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, erklärte dazu am 20. März dieses Jahres: «Damit kehrt die Schweiz zur mittlerweile verpönten Strategie der gebundenen Hilfe (‘tied aid’) zurück, was bedeutet, dass Entwicklungsgelder an die Bedingung der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen aus den gebenden Ländern geknüpft werden. Dies ist nicht nur paternalistisch, sondern schadet auch der lokalen Wirtschaft und kostet im Durchschnitt mindestens 15 bis 30 Prozent mehr als eine freie Wahl der Anbieter·innen durch die Länder selbst. Auch andere Länder, wie beispielsweise Frankreich, unterstützen ihre Unternehmen beim Wiederaufbau der Ukraine; jedoch ist die Schweiz das einzige europäische Land, das dies aus dem bereits stark zusammengeschrumpften Entwicklungsbudget finanziert. Alliance Sud setzt sich weiterhin dafür ein, dass für den Wiederaufbau der Ukraine und vor allem für die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Privatsektor zusätzliche Mittel ausserhalb der Entwicklungszusammenarbeit gesprochen werden. Zudem fordert Alliance Sud vom Bundesrat volle Transparenz bezüglich des Staatsvertrages(2) und der Auswahl der Schweizer Firmen, welche Förderbeiträge erhalten sollen. Es sollen nur Firmen unterstützt werden, die Güter und Dienstleistungen anbieten, die nicht von ukrainischen Firmen angeboten werden können. Ausserdem müssen alle finanzierten Projekte einen klaren entwicklungsrelevanten Mehrwert bieten, strikte Kriterien bezüglich Nachhaltigkeit, Korruptionsbekämpfung und von Menschenrechten befolgen und zur Erreichung der Pariser Klimaziele beitragen.»(3)
Die Zivilgesellschaft berücksichtigen!
Transparenz ist auch eine der Hauptforderungen von verschiedenen Initiativen der ukrainischen Zivilgesellschaft. Wo der ukrainische Staat versagt – und der Staat versagt sehr oft – ist die Zivilgesellschaft aktiv: bei den Evakuierungen aus den bombardierten Gebieten, bei der Essensausgabe für zehntausende Menschen, bei der Betreuung von Kriegstraumatisierten und Geflüchteten sowie bei vielem mehr. Ohne diese Initiativen könnte die Ukraine nicht überleben. Doch die offizielle Schweiz berücksichtigt sie kaum in ihrem Hilfsprogramm. Umso mehr stellen sich Schlüsselfragen hinsichtlich der tatsächlichen Verteilung der Schweizer Gelder und ihrer Auswirkungen auf die ukrainische Bevölkerung:
● Transparenz und Rechenschaftspflicht: Wer sind die Hauptempfänger·innen der Schweizer Entwicklungsgelder in der Ukraine? Werden die Zuweisungen und Verträge öffentlich bekannt gegeben?
● Beteiligung des Schweizer Privatsektors: Welche Schweizer Unternehmen profitieren direkt oder indirekt? Werden Gelder in grosse Unternehmen geleitet, die nur begrenzten Nutzen für die betroffene Bevölkerung haben?
● Auswirkungen auf die ukrainische Bevölkerung: Wie führen diese Gelder zu spürbaren Verbesserungen für die ukrainische Bevölkerung? Profitieren lokale Unternehmen und Gemeinden davon?
Wenn nicht genau mit integren Partner·innen vor Ort geprüft wird, wohin die Gelder gehen, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass diese in korrupte Kanäle fliessen. Im Worst-Case-Szenario könnte es auch zu Mauscheleien und Verfilzungen zwischen Schweizer Entscheidungsträger·innen, Finanzinstituten, privatwirtschaftlichen Unternehmen und ukrainischen Oligarch·innen kommen, die dann jeweils von diesen Mitteln profitieren. Dies muss auf alle Fälle verhindert werden.
Wir vom Europäischen Bürger:innen Forum kennen, dank unserer jahrzehntelangen Erfahrung vor Ort, zahlreiche Projekte, die den Menschen direkt zugutekommen und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Wir verlassen uns auf vertrauenswürdige lokale Initiativen, Organisationen und Basisbewegungen. Sie haben wertvolle Ideen, wie der Bevölkerung am besten geholfen werden kann. Wir wollen erreichen, dass sie von der offiziellen Schweiz endlich gehört und berücksichtigt werden! Um dieses Anliegen zu unterstützen, kommen die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk vom «Center for Civil Liberties» und der ehemalige Euromaidan-Aktivist und Anti-Korruptionsexperte Mustafa Najjem am 18. Juni nach Bern. Sie sind von befreundeten Nationalräten eingeladen, um in einem Saal im Bundeshaus interessierten Parlamentarier·innen und (warum nicht?) Bundesratsmitgliedern Auskunft zu geben. Am Abend desselben Tages findet dann in einem Raum der «Französischen Kirche» in Bern (Predigergasse 3) eine öffentliche Veranstaltung mit unseren Gästen statt, zu der wir alle herzlich einladen: Aperitif 18.00 Uhr, Veranstaltungsbeginn 19 Uhr.
Michael Rössler
Die Gelder gehen zunächst an Unternehmen, die schon in der Ukraine tätig sind, in einer zweiten Phase dann auch an solche, die von der Schweiz aus operieren.
Der Ständerat hat im März 2025 eine Motion für die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Ukraine-Hilfe angenommen, der Nationalrat jedoch diese abgelehnt. Währenddessen treibt der Bundesrat in dieser Frage einen Staatsvertrag mit der Ukraine voran – im Gegensatz und als Alternative zu einem Gesetz.
www.alliancesud.ch