Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich einer Asylgesetzrevision zustimmen. Nicht, dass das neue Gesetz so toll wäre oder dass die neue Asylpolitik der Schweiz plötzlich fortschrittlich geworden wäre. Nein, es ist viel mehr so, dass die Ablehnung des neuen Gesetzes Tür und Tor für viel schlimmere Revisionen öffnen würde.
Worum es geht: am 5. Juni wird die Schweizer Stimmbevölkerung über ein Gesetz abstimmen, das im Oktober 2015 vom Parlament verabschiedet wurde. Es war unter der Federführung der SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die jetzt für das Asylwesen zuständig ist, erarbeitet. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ergriff das Referendum um die in diesem Gesetz vorgesehenen «Gratisanwälte» zu verhindern und erzwingt somit eine gesamtschweizerische Abstimmung. Das Gesetz wird nur in Kraft treten, wenn eine Mehrheit der Abstimmenden ihm zustimmt.
Kein Gesetz wurde so oft revidiert, wie das Asylgesetz – in den vergangenen zwanzig Jahren gab es mehr als zehn Revisionen. Die Grundtendenz besteht darin, die Rechte der Flüchtlinge immer mehr einzuschränken (Zwangsmassnahmen, Rayonverbote etc.), den Kontakt zur schweizerischen Bevölkerung zu verhindern und die Flüchtlinge zu isolieren. Auch dieses Gesetz geht in diese Richtung, indem eine Zentralisierung der Erstaufnahme in wenige Bundeszentren eingeführt wird. Damit werden die betroffenen Menschen noch mehr isoliert und kaserniert. Viel menschlicher und zukunftsweisender wäre ein Empfang in den Schweizer Familien und in Gemeinden, wo der Kontakt mit der Bevölkerung einfacher herzustellen ist als in anonymen geschlossenen Grosszentren.
Ein anderer wichtiger Kritikpunkt an dem Gesetz ist die Beschleunigung der Verfahren, auch wenn diese im Grunde nicht abzulehnen ist. Aber, wenn die Verkürzung der Beschwerdefristen ein Hauptelement der Beschleunigung ist, dann findet diese auf dem Buckel der Asylbewerber_in-nen statt.
Die «Gratisanwälte»
Es versteht sich fast von selbst, dass es nicht diese genannten negativen Entwicklungen sind, die die SVP stören. Mit ihrem Referendum will sie vielmehr «gegen die Gratisanwälte für alle Asylbewerber» und die «Enteignung von Liegenschaften» zu Felde ziehen. Sie meint damit zum einen die «in der Revision mit unseren Steuergeldern bezahlte kostenlose Rechtsvertretung» und zum andern die Möglichkeiten des Bundes, seine Asylzentren ohne Zustimmung von Gemeinden oder Kantonen auf deren Boden errichten zu können.
Ob die vorgesehene Rechtsvertretung wirklich eine spürbare Verbesserung der rechtlichen Situation der Flüchtlinge darstellt, wird sich erst noch weisen müssen, denn ihre Unabhängigkeit vom Sekretariat für Migration (SEM) ist nicht garantiert. Und auch ihre Bezahlung in Form von Fallpauschalen, birgt das Risiko, dass schwierige Rekurse nicht gemacht werden, weil sie zeitaufwendig sind. Aber selbst eine schlechte Rechtsvertretung ist besser als gar keine! Vor allem für die Flüchtlinge, die sich in abgelegenen Regionen befinden und keinen Kontakt zu Landsleuten oder engagierten Schweizer Gruppen haben, könnte diese Rechtsvertretung die einzige Hoffnung auf eine halbwegs gerechte Behandlung ihrer Gesuche sein.
Auf keinen Fall am 5. Juni die SVP unterstützen
Trotz der oben erwähnten Kritik am neuen Gesetz ist es für mich unmöglich ein «Nein» in die Urne zu geben und somit indirekt die SVP zu unterstützen. Ein «Nein» und die Ablehnung des Gesetzes würden in der Öffentlichkeit als Sieg der SVP betrachtet werden. Vor allem in der Deutschschweiz würde ein humanitäres oder linkes «Nein» weder verstanden noch gehört, den politischen Gewinn würde nur die SVP daraus ziehen. Und den Preis dafür müssten die Flüchtlinge bezahlen. Denn daran besteht kein Zweifel: Wenn dieses Gesetz vom Stimmvolk abgelehnt werden sollte, käme die nächste Revision postwendend und diese würde ganz bestimmt keine unentgeltliche Rechtsvertretung mehr beinhalten, sondern nur die Verschärfungsschraube weiter anziehen. Dass die SVP noch weitere Schnapsideen in der Schublade bereit hat, kann als sicher betrachtet werden. Und die neue rechtsbürgerliche Mehrheit des Schweizer Parlaments mit SVP und FDP, die im letzten Herbst gewählt wurde, hätte somit freie Fahrt für ihre Asylabbaupläne. Von der CVP mit ihrem neuen Präsidenten, der asylpolitisch rechtsaussen politisiert, ist rein gar kein Rückgrat gegen massiven Rechtabbau zu erwarten – ein Gruselkabinett mit freier Hand für freie Fahrt.
Ich werde am 5. Juni ohne Wenn und Aber ein «Ja» in die Urne legen, was aber keiner Liebeserklärung an Bundesrätin Simonetta Sommaruga gleichkommt, sondern eher einer realpolitischen Güterabwägung.