Am 8. Juli 2025 fand die Gerichtsverhandlung gegen Caroline Meijers, Präsidentin des «Mouvement jurassien de soutien aux sans-papiers»[1], in Porrentruy im Schweizer Kanton Jura statt. Sie hatte ihre Adresse einem abgelehnten syrischen Asylbewerber zur Verfügung gestellt, damit dieser von der Migrationsbehörde Post für die Wiederaufnahme seines Verfahrens empfangen konnte; er selbst war untergetaucht.
Eines Morgens erschienen mehrere Polizeibeamte bei Caroline und durchsuchten ihre Wohnung. Obwohl die Durchsuchung keinerlei Anzeichen einer Beherbergung des Syrers ergeben hatte, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen «Verstosses gegen das Gesetz über die illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt eines Ausländers.[2] Ein Delikt, für das ein Jahr Haft verhängt werden kann. Dieser Versuch der Behörden, die Solidarität mit Sans-papiers und Geflüchteten zu kriminalisieren, führte zu einer breiten Unterstützung der Beschuldigten.
Vollbesetzter Gerichtssaal
Am Verhandlungstag ist der Gerichtssaal vollbesetzt: Wir sind rund siebzig Personen aus der ganzen Schweiz mit Transparenten und Plakaten, die das «Solidaritätsdelikt» und die Unmenschlichkeit des Grenzregimes anprangern. Sogar ein Hund ist mit von der Partie; er schafft es, dem Richter ein leises Lächeln abzutrotzen, und stillschweigend ein Bleiberecht im Saal in Anspruch zu nehmen. Dass unsere bunte Schar im Gerichtssaal toleriert wird, überrascht uns in positiver Weise, ohne uns jedoch von der Ernsthaftigkeit der Verhandlung und der Sorge um die Angeklagte abzulenken. Die kantonale Staatsanwaltschaft hat es nicht für nötig befunden, eine·n Repräsentant·in zu schicken – vielleicht ein Zeichen dafür, dass sie bemerkt hat, dass ihre Anklage nicht wirklich standhält.
Caroline kommt ausführlich zu Wort und hält ein Plädoyer für Solidarität und zivilen Ungehorsam, der manchmal die einzige Möglichkeit sei, um in Not geratene Menschen zu schützen. Das Publikum applaudiert ausgiebig, ohne dass der Richter den Saal räumen lässt. Caroline verteidigt ihr Prinzip, verneint aber, dass sie den syrischen Asylbewerber bei sich beherbergt hätte. Ihr Anwalt hält fest, dass, selbst wenn sie dies getan hätte, eine kurze Beherbergung von beispielsweise bis zu drei Wochen keine Begünstigung für einen illegalen Aufenthalt darstellen würde. Denn das Bundesgericht hatte in einem Urteil entschieden, dass nur bei einer Person, die während mehreren Monaten einen «illegalen» Ausländer oder eine Ausländerin verstecken würde, von diesem Straftatbestand ausgegangen werden könne.
Das Gesetz gegen die Erleichterung der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts einer ausländischen Person gilt sowohl für Schlepper, die von ihren Klient·innen profitieren, als auch für Helfer·innen, die aus humanitären und solidarischen Gründen handeln. Bis ins Jahr 2008 konnten die Gerichte noch Personen wegen «ehrenhaften Motiven» freisprechen. Danach wurde diese Klausel abgeschafft – eine von vielen Verschärfungen im Ausländerrecht.
Glückliche Gesichter
Nach einer halbstündigen Unterbrechung der Verhandlung finden sich wieder alle im Gerichtssaal ein, um zu erfahren, ob das Urteil gefällt wird oder ob dafür ein anderer Termin festgelegt wird. Doch der Richter ist parat und verkündet also das Urteil: Freispruch in allen Punkten! Der Staat muss die Kosten übernehmen. Im Saal explodiert der Applaus. Die Spannung ist vorbei und überall sind glückliche Gesichter zu sehen.
Der Richter begründet den Freispruch damit, dass, selbst wenn Caroline den abgelehnten Asylbewerber während drei Wochen beherbergt hätte, dies nicht für eine Verurteilung ausreichen würde. Ausserdem habe sie nichts aktiv unternommen, um eine Ausschaffung zu verhindern oder eine solche zu erschweren; daran ändere sich auch nichts, dass sie ihre Adresse dem Asylbewerber zur Verfügung gestellt habe. Da es also keinen Verstoss gegeben habe, könne sie auch nicht für ihre Vereinsaktivitäten zu Gunsten der Sans-papiers belangt werden. Obwohl sich alle über den Freispruch freuen, bleibt der bittere Nachgeschmack, dass es überhaupt zu einem solchen Prozess kommen konnte. Caroline ist formell: «Diese ganze Affäre geht über meine kleine individuelle Geschichte hinaus. Es ist das Gesetz, das wir ändern müssen. Wir werden nicht aufgeben!»
Michael Rössler
www.mjssp.ch
Siehe Archipel Nr. 345: Axl van der Beke: «Solidaritätsdelikt im Jura»